Die Streikenden müssen ihre Bewegungen selber leiten… und sie können es auch am besten!

2018 und 2022: Erfahrungen aus zwei Streikbewegungen am Uniklinikum Essen

Die Broschüre über die Erfahrungen aus den zwei Streikbewegungen am Uniklinikum Essen können Sie auch bestellen, für 3 Euro zzgl. Porto. Schreiben Sie hierzu einfach eine Email an: das-rote-tuch@gmx.de

Einleitung

Seit Jahren verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern zunehmend. Denn die Regierung spart immer massiver bei allen nützlichen öffentlichen Diensten und verschenkt dafür große Mengen Geld an die Konzerne und Banken. In den letzten Jahren hat sich diese Sparpolitik weiter verschärft – nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Regierung seit 2020 gleich mehrere hundert Milliarden Euro neue Schulden gemacht hat, um die Profite der Kapitalisten in der Pandemie und der Wirtschaftskrise zu schützen und die Bundeswehr aufzurüsten.

Hinzu kommt, dass die Regierungen nach und nach die Finanzierung der Krankenhäuser so umgebaut haben, dass private Kapitalisten mit ihnen Gewinn machen können, als wären es Fabriken! Unter anderem wurden dafür die Fallpauschalen eingeführt: Mit ihnen nimmt ein Krankenhaus vor allem dann Geld ein, wenn es in möglichst kurzer Zeit eine möglichst hohe „Stückzahl“ an Patientinnen durchschleust. Sprich: Jedes Krankenhaus muss mit so wenig Arbeitenden und Betten wie möglich so viele Patientinnen wie möglich behandeln und diese möglichst schnell wieder entlassen.

Massenhaft Arbeitsplätze wurden aus diesen Gründen über die Jahre vernichtet. Mit immer weniger Personal müssen die Beschäftigten in den Krankenhäusern immer mehr Arbeit bewältigen. Die Arbeitsbelastung ist über die Jahre drastisch gestiegen und für viele unerträglich geworden.

Dagegen haben im Sommer 2018 jeweils mehrere hundert Arbeitende an den Unikliniken Düsseldorf und Essen an insgesamt 35 Tagen gestreikt. Sie forderten mehr Personal und eine Verringerung der Arbeitsbelastung. Vier Jahre später haben dann Beschäftigte aller sechs Unikliniken in NRW hierfür gestreikt. Der Streik, der im Mai 2022 begann, dauerte drei Monate ohne Unterbrechung.

Über mehrere Tage oder gar Wochen hinweg im Krankenhaus zu streiken, ist gar nicht so einfach. Man kann nicht die Maschinen anhalten wie in einer Fabrik. Hier werden kranke, teils schwer kranke Menschen behandelt. Und die Stationen sind bereits ohne Streik so unterbesetzt, dass viele Pflegekräfte sofort für den Notdienst zwangsverpflichtet werden, wenn sie streiken wollen. Den Streikenden gelang es jedoch insbesondere beim zweiten Mal, dass Betten und ganze Stationen für die Dauer des Streiks geschlossen wurden, was die Teilnahme der Pflegekräfte am Streik sehr viel einfacher gemacht hat.

Ein Teil der Patient*innen wurde von anderen Krankenhäusern versorgt. Bei einem anderen Teil wurde die Behandlung verschoben. Dies geht natürlich nur bei einigen der Erkrankungen und auch nicht unendlich lang. Genau dies bereitete der Klinikleitung und der für die Unikliniken zuständigen Landesregierung im Laufe des Streiks zunehmend Probleme.

Entscheidend für den Charakter des Streiks war allerdings auch, dass nicht nur Pflegekräfte streikten. Auch Arbeitende anderer Berufe schlossen sich dem Streik an: aus der Reinigung und dem Service, Laboren und Röntgenabteilungen, der Kita und der Verwaltung… Das ist nicht selbstverständlich im Krankenhaus, da hier die Hierarchien zwischen den Berufen sehr stark ausgeprägt sind, die angeblich „höher gestellten“ Berufsgruppen den übrigen Anweisungen geben und sie manchmal nicht einmal grüßen. Damit verbunden ist auch eine hohe Identifikation mit dem Beruf. Man sieht sich spontan eher als Pflegekraft, Ärztin oder Ergotherapeut und weniger als Krankenhausbeschäftigte mit gemeinsamen Interessen.

2018 haben in Düsseldorf darüber hinaus Arbeiter*innen der Tochtergesellschaften mitgestreikt. Der Vorstand hatte diese Bereiche (unter anderem Reinigung, Krankentransport und Sicherheitsdienst) bewusst in Tochterfirmen ausgegliedert, um Geld zu sparen. Dadurch wurden sie von den anderen Beschäftigten des Klinikums getrennt, mit dem Ergebnis, dass die Arbeitenden dort noch mehr ausgebeutet werden konnten. Die Löhne wurden Großteils auf den Mindestlohn gesenkt.

Mit dieser Spaltung sind die Unternehmen oft sehr erfolgreich. Doch im Streik von 2018 haben die Beschäftigten der beiden Kliniken gemeinsam gefordert, dass die Beschäftigten der Tochterfirmen in Düsseldorf endlich wieder einen Tarifvertrag bekommen, und zwar mit denselben Bedingungen wie am Klinikum.

Sowohl der Streik von 2018 wie der von 2022 waren Minderheitenstreiks. Es gab in jedem Klinikum einen harten Kern zwischen 50 und 200 Kolleginnen und Kollegen, der durchgehend gestreikt hat. Hinzu kamen in einigen Kliniken mehrere hundert Kolleg*innen, die einzelne Tage mit streikten. Mit dieser kleinen Minderheit stellten sie sich gegen die Spar- und Profitlogik der Klinikvorstände und der Regierung, die in der zunehmenden Krise absolut nicht bereit waren, davon abzurücken.

Doch die Streikenden waren hartnäckig und entschlossen nicht aufzugeben. Trotz wochenlanger Ignoranz seitens der Vorstände und der Regierenden und trotz Verleumdungen in der Presse haben sie durchgehalten. Nicht zuletzt ermutigte sie die große Solidarität, die ihnen die arbeitende Bevölkerung entgegenbrachte. So haben sie es in beiden Streiks am Ende geschafft, einen Teil ihrer Forderungen durchzusetzen. Sie haben jeweils mehrere hundert zusätzlicher Stellen und weitere Maßnahmen erkämpft und gleichzeitig viele wertvolle Erfahrungen gesammelt.

In der Broschüre möchten wir von diesen Erfahrungen erzählen und insbesondere vom Uniklinikum Essen berichten.

Sommer 2018:
35 Tage Streik an den Unikliniken Düsseldorf und Essen

Wie es zu dem Streik kam

Genau wie in allen anderen Krankenhäusern haben der Personalmangel, die Überlastung und die unmöglichen Arbeitszeiten an den Unikliniken in den letzten Jahren immer weiter zugenommen. Viele können und wollen dies nicht mehr ertragen. Die meisten Arbeitenden jedoch suchen nach individuellen Lösungen. Viele halten sich nur durch Krankenscheine über Wasser. Insbesondere in der Pflege reduzieren viele ihre Arbeitszeit, wechseln das Krankenhaus oder gleich ganz den Beruf. Oder sie wechseln in die Zeitarbeit, da sie dort zumindest mehr verdienen und vor allem planbarere Arbeitszeiten haben und nicht so sehr dem Druck ausgesetzt sind, ständig an freien Tagen einspringen zu müssen. Aber natürlich sind es meist keine Lösungen. Denn die Arbeitsbedingungen sind auch in den anderen Krankenhäusern nicht besser und auch in der Zeitarbeit schwer. Bei reduzierter Arbeitszeit fehlt einem das Geld, und außerdem wird trotzdem erwartet, dass man zusätzlich an freien Tagen einspringt.

An den Unikliniken in Düsseldorf und Essen gibt es gewerkschaftlich Aktive, die schon seit langem versuchen aufzuzeigen, dass die einzige Perspektive darin besteht, sich mit möglichst Vielen gemeinsam gegen die zunehmende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu wehren. Viele Monate lang sind sie herumgegangen und haben mit den Kolleg*innen gesprochen. Sie haben sich angehört, was diese tagtäglich erleiden und was sich ändern müsste. Diese wenigen gewerkschaftlich Aktiven haben wesentlich dazu beigetragen, dass sich das Leid 2018 in Wut verwandelt hat, in Entschlossenheit, gemeinsam dagegen etwas zu unternehmen.

Zunächst haben sie dann kleinere Aktionen organisiert, zum Beispiel eine Aktion, bei der sie Pflegekräfte in zwei Gruppen hintereinander von den Stationen abgeholt haben, damit sie zusammen in der Kantine Pause machen konnten, während jeweils die andere Gruppe die Versorgung der Patient*innen aufrechterhalten hat. Aufgrund des Stress und der Unterbesetzung machen zumindest die Pflegekräfte im Alltag quasi nie Pause in der Kantine – ungestört von Alarmen und Telefonklingeln – und schon gar nicht zusammen. Solche Aktionen ermöglichten den Pflegekräften überhaupt erst einmal etwas gemeinsam zu machen und herauszufinden, wie viele sich wehren wollen.

Parallel dazu erwirkten sie von der Gewerkschaftsführung die Zusicherung, dass diese zu einer Tarifbewegung für mehr Personal in den zwei Unikliniken aufrufen und so den rechtlichen Rahmen für Streiks schaffen und diese auch finanziell unterstützen würden. Allerdings setzte die Gewerkschaftsführung anfangs sehr enge Grenzen in Bezug auf Umfang und Ziele der Bewegung.

Normalerweise ist es so, dass die Gewerkschaftsführung festlegt, in welchem Umfang (z.B. an wie vielen Tagen) und in welchen Zeiträumen gestreikt werden darf. Hauptamtliche der Gewerkschaft leiten zusammen mit einer betrieblichen Streikleitung, die zum Beispiel aus den Reihen der Vertrauensleute stammen kann, den Streik.

So begann auch diese Bewegung. Anders als üblich organisierten die Aktiven im Betrieb jedoch tägliche Versammlungen aller Streikenden, auf denen die Streikenden gemeinsam diskutierten und selber entschieden, wie sie weitermachen wollten. Schnell zeigte sich, dass viele Streikende deutlich entschlossener waren und weitergehen wollten als die gewerkschaftlich Aktiven gedacht hatten: Fast sofort wollten sie nicht nur einzelne Tage, sondern die ganze Woche streiken – und schon kurz darauf unbefristet.

Diese Entschlossenheit hat den ganzen Streik geprägt. Der Streik war ein absoluter Minderheitenstreik. Von den über 6.000 Beschäftigten in jeder der beiden Unikliniken streikten in Essen durchschnittlich zwischen 200 und 350 pro Tag, in Düsseldorf rund hundert mehr. Die meisten von ihnen hatten noch nie in ihrem Leben gestreikt. Aber sie haben sich von nichts entmutigen lassen – jetzt, wo sie endlich angefangen hatten, für das zu kämpfen, was sie schon so lange brauchten und forderten: mehr Personal und Entlastung in den Krankenhäusern.

Auch auf einer anderen Ebene ging der Streik an beiden Kliniken schnell über den ursprünglich von der Gewerkschaftsbürokratie gesetzten Rahmen hinaus. Eigentlich hatte die Gewerkschaftsführung nur einen Streik für die Pflege geplant. Doch Aktive in beiden Krankenhäusern hatten im Vorfeld des Streiks auch die Diskussion mit den Beschäftigten anderer Berufe gesucht. Sie sprachen darüber, dass der Streik auch für sie eine Gelegenheit ist, Forderungen aufzustellen und durchzusetzen. Arbeitende verschiedener anderer Berufe schlossen sich daraufhin mit eigenen Forderungen dem Streik an. Aus einem „Pflegestreik“ wurde ein Streik der Arbeitenden am Krankenhaus, was seinen Charakter verändert und geprägt hat.

Unter der Kontrolle der Streikenden

Das Streikkomitee

Es gibt am Uniklinikum Essen seit mehreren Jahren eine kleine Gruppe um den Bund Revolutionärer Arbeiter (BRA), der dort unter anderem die monatliche Betriebszeitung „Sauerstoff“ herausbringt. Eben weil wir als Sozialist*innen der Ansicht sind, dass die Arbeitenden die gesamte Gesellschaft selber in die Hand nehmen sollten und diese viel besser leiten könnten, ist es uns wichtig, dass die Streikenden damit bei ihren eigenen Arbeitskämpfen anfangen. Das bedeutet, dass sie über alle Aspekte ihres Kampfes selber entscheiden und auch alle Streikenden Teil der Streikleitung werden können, egal ob sie vorher schon aktiv waren, gewerkschaftliche Verantwortung hatten oder nicht.

Wenn es keine Aktivist*innen gibt, die sich für eine solche demokratische Streikführung einsetzen, übernehmen am Ende immer ganz natürlich diejenigen die Leitung des Streiks, die schon vorher im Betriebsrat, bzw. Personalrat und in der Vertrauenskörperleitung aktiv waren. Wir aber sind der Meinung, dass es dafür keinen Grund gibt. Sie sind deshalb nicht kompetenter als andere Streikende. Außerdem haben sie fast zwangsläufig Beziehungen zu Hauptamtlichen und somit zum Gewerkschaftsapparat, in anderen Betrieben sogar zur Geschäftsführung, wodurch sie manchmal weniger frei überlegen und handeln. Auch daher ist es gut, wenn auch nicht gewerkschaftlich Aktive in der Streikleitung sind. Vor allem jedoch sollten die Arbeitenden, die sonst überall als Untergeordnete behandelt werden, dies nicht auch während ihres eigenen Streiks erleben müssen.

Daher schlugen Aktive vom BRA am Anfang des Streiks vor, ein Streikkomitee zu wählen – ein Vorschlag, der in der Streikversammlung mit großer Mehrheit angenommen wurde. Von da an wurde es am Anfang jede Woche, später alle zwei Wochen neu gewählt. Über 30 Streikende, von denen die Mehrheit vorher nie gewerkschaftlich aktiv war, haben sich an ihm beteiligt.

Das Streikkomitee hat sich jeden Tag getroffen. Die Mitglieder haben die Aktionen und das tägliche Streikleben geplant. Auf Anregung von Genoss*innen um den BRA im Streikkomitee schätzten sie außerdem gemeinsam die Stimmung und die Entwicklung des Kräfteverhältnisses ein, besprachen mögliche Manöver der Vorstände, und auch der Gewerkschaftsführung und überlegten, wie sie die Manöver zum Scheitern bringen können.

Diese Art, demokratisch den Streik zu leiten, verändert nicht nur diejenigen, die im Streikkomitee aktiv sind, sondern das Bewusstsein und Selbstvertrauen aller Streikenden vor Ort. Denn das Streikkomitee entscheidet nichts, sondern entwickelt Vorschläge, die es allen Streikenden unterbreitet und die dann von allen Streikenden diskutiert und abgestimmt werden. Dadurch, dass alle einbezogen werden und mitentscheiden, machen sie sich auch Gedanken über den Streik, werden bewusster und bringen sich aktiv ein.

Tägliche Vollversammlungen aller Streikenden

Jeden Tag fand dafür eine Versammlung aller Streikenden statt. Alle großen und kleinen Fragen des Streiks und alle Vorschläge des Streikkomitees wurden hier diskutiert und per Handzeichen abgestimmt: die täglichen Aktionen der Streikenden, die Inhalte der Flugblätter, die Bewertung der Verhandlungen, die Frage, ob man weiterstreiken soll…

Viele unterschiedliche Arbeitende haben in der Versammlung das Wort ergriffen. Und die große Mehrheit der Streikenden hat über Wochen fast täglich bei Aktionen nach innen wie nach außen mitgemacht. Sie haben ihren Streik selber in die Hand genommen.

Diese Art den Streik zu leiten, widerspricht den üblichen gewerkschaftlichen Regeln, die letztlich darauf abzielen, dass die Gewerkschaftsführung den Streik immer unter ihrer Kontrolle behält. Und sie traf auch auf Widerstand.

Ein Teil des Personalrates hatte zwar anfangs kein Problem mit einem Komitee, das den Streik organisatorisch unterstützt (Verpflegung organisiert, Aktionen vorbereitet usw.). Doch sie waren davon ausgegangen, dass die eigentliche Leitung des Streiks weiterhin in den Händen von erfahrenen Gewerkschaftsaktivist*innen liegen würde und dass diese auch darüber entscheiden sollten, was man den Streikenden sagen dürfe und was nicht.

Doch insbesondere Alexandra Willer vom BRA, die selber im Personalrat ist, argumentierte aus den oben genannten Gründen immer wieder konsequent dafür, warum die Streikenden über ihren Arbeitskampf selber entscheiden müssten – und dass sie hierfür alles wissen und auch ihre Leitung und ihre Verhandler*innen selber wählen müssten. Dies trug unter anderem entscheidend dazu bei, dass das Streikkomitee und die Vollversammlung der Streikenden an Selbstsicherheit und Bewusstsein gewannen und sich die Dinge nicht aus der Hand nehmen ließen. Einige Personalräte, die damit nicht einverstanden waren, zogen sich daraufhin zurück. Doch andere Personalräte und Vertrauensleute brachten sich bis zum Ende aktiv in das Streikkomitee ein.

Was die Gewerkschaftsbürokratie angeht, so war sie selbstverständlich mit einer demokratischen Streikleitung gar nicht einverstanden und versuchte – wie wir gleich sehen werden – mehrfach, diese auszuhebeln oder zu unterlaufen.

Gemeinsame Aufstellung der Forderungen

Die Rechtsprechung schreibt vor, dass die Gewerkschaft die Forderungen vor Beginn des Streiks festlegen muss. Doch diesmal waren es die Streikenden, die die sehr allgemein gehaltenen Forderungen nach mehr Personal und Entlastung mit Leben füllten. Zu Beginn des Streiks setzten sie sich nach Beruf und Bereich zusammen und entwickelten eine Liste ihrer konkreten Forderungen.

Anschließend hat jede Gruppe ihre Forderungen in der Vollversammlung vorgestellt. Viele Streikenden haben dadurch zum ersten Mal die Arbeitssituation der anderen Berufe kennengelernt. Gemeinsam haben die Streikenden daraus ihre Hauptforderungen entwickelt und durchgesetzt, dass über diese auch verhandelt wurde.

Jahrelang hatten Vorstand und Regierung den Beschäftigten eingetrichtert, dass „es halt nicht anders gehe“, dass „kein Geld da sei“. Jahrelang hatte man das resigniert hingenommen. Nun setzten sich die Streikenden zusammen und überlegten, wie viel Personal und welche Bedingungen sie brauchen, um selber gesund zu bleiben und die Patient*innen vernünftig versorgen zu können – ohne sich zu sagen, dass das sowieso utopisch wäre. Anders als die meisten Streiks der letzten Jahrzehnte war der Streik damit kein Abwehrkampf, sondern ein offensiver Kampf für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

Mehr Personal für alle Berufe

Die ganze Zeit über haben die Vorstände der Kliniken versucht, die Streikenden nach Berufen zu spalten. Sie haben den Pflegekräften ein klein wenig mehr Personal versprochen, wenn sie aufhören zu streiken. Den Arbeitenden der anderen Berufe aber wollten sie nichts geben.

Noch massiver haben sie diese Spaltung gegenüber den Tochterfirmen in Düsseldorf (also den Subfirmen) versucht. Vorstände und Politikerinnen haben den Streikenden versucht zu „erklären“, dass die Beschäftigten des Uniklinikums und der Tochterfirmen keinen gemeinsamen Streik machen dürften, da sie „rechtlich“ nicht zum gleichen Betrieb gehören – obwohl sie alle im Klinikum arbeiten. Sie wollten erreichen, dass die Streikenden gerade die Kolleginnen fallen lassen, die es ohnehin am schwersten haben: meistens Migrant*innen, die in diesen Tochterfirmen viel unsicherere Verträge, schlechtere Bedingungen und Löhne haben.

Über Wochen haben beide Vorstände mit unsäglicher Arroganz erklärt, dass sie ausschließlich über die Pflege verhandeln würden. Denn Pflegekräfte sind auf dem Arbeitsmarkt begehrt und erfreuen sich gesellschaftlicher Anerkennung. Auf keinen Fall aber wollten sie über die Nicht-Pflege-Berufe verhandeln, und erst recht nicht über die Tochtergesellschaften.
Die Gewerkschaftsführung übte ebenfalls Druck aus. Sie war der Ansicht, ein Streik nur für Pflegekräfte hätte mehr Erfolgschancen.

In Wahrheit hätte eine solche Spaltung die Arbeitenden nicht nur im Streik, sondern auch für die Zukunft geschwächt. Deshalb haben die bewussten Aktivist*innen von Anfang an vor dieser Gefahr gewarnt. Sie diskutierten im Streikkomitee, was man tun könne, um den Zusammenhalt zu stärken und was man der Streikversammlung vorschlagen könne, um den Spaltungsversuchen der Vorstände und dem Druck der Gewerkschaftsführung entgegenzutreten und sie nach Möglichkeit abzuwehren.

Nicht zuletzt deshalb gelangen die Spaltungsversuche nicht. Im Gegenteil: Der Streik, in dem man sich besser kennengelernt und zusammen gekämpft hat, hat alle Kolleg*innen zusammengeschweißt. Sie wurden zu einer eng verbundenen Gemeinschaft, die sich ihrer gemeinsamen Interessen bewusst war und der Tatsache, dass ihre Stärke in ihrem Zusammenhalt liegt. Und so haben sie den Vorständen stets geantwortet „entweder alle oder keiner“.

Versuchte die Gewerkschaftsführung anfangs noch den Streik wieder auf die Pflege einzugrenzen – bei einem frühen Besuch des damaligen Bundesvorsitzenden bei den Essener Streikenden sprach dieser noch konsequent von einem Streik der Pflegekräfte und dankte allen anderen Berufsgruppen dafür, dass sie die Pflegekräfte in ihrem Kampf unterstützen wollten – so akzeptierte sie schließlich die Bewegung in ihrer Gesamtheit zu sehen. Die Streikenden machten ihr mehr als einmal deutlich, dass eine Spaltung für sie Verrat wäre.

Erpressungen der Vorstände – und die Haltung der Gewerkschaftsbürokratie


Mehr als einmal gab es Auseinandersetzungen zwischen dem Streikkomitee, das den Streik in Essen leitete, und den Gewerkschaftsbürokraten, die von Seiten der Gewerkschaftsführung die Verhandlungen und den gesamten Streik leiten sollten und die versuchten, den Streik vollständig unter ihrer Kontrolle zu behalten.
 
Nachdem die Klinikvorstände die Streikenden einige Wochen hatte schmoren lassen, erklärten sie sich bereit zu verhandeln, aber nur… wenn der Streik sofort unterbrochen werde. Im Essener Streikzelt wurde ausführlich darüber diskutiert.
 
Die Aktivist*innen vom BRA versuchten in der Versammlung deutlich zu machen, dass ernsthafte Verhandlungen im Gegenteil nur möglich sind, wenn man weiter streikt. Dass nur der Streik Druck auf die Vorstände ausübt und diese gar keinen Grund mehr hätten, in den Verhandlungen auch nur irgendetwas herauszurücken, wenn sie den Streik unterbrechen und damit keinen Druck mehr auf den Vorstand ausüben würden. Und dass die Vorstände genau deshalb eine Unterbrechung des Streiks fordern.

Alle waren der Ansicht, dass die Essener und Düsseldorfer Streikenden dies auf einer gemeinsamen Streikversammlung entscheiden müssten. Die meisten Streikenden vertrauten den erfahrenen Gewerkschaftsfunktionären, die ihnen rieten, den Streik zu unterbrechen, da die Vorstände sonst verärgert wären und vielleicht gar nicht mehr verhandeln würden. Doch einige schlugen vor, zumindest bis zum Morgen des angesetzten Verhandlungstermins weiter zu streiken, um ein Zeichen zu setzen. Auch davon rieten die Funktionäre mit denselben Argumenten ab.
Doch das Essener Streikkomitee hatte seit drei Wochen die Gewohnheit gewonnen, über alle Vorschläge aus den Reihen der Streikenden abstimmen zu lassen und setzte dies auch hier durch. Die große Mehrheit der Streikenden entschied sich dafür, bis zum Beginn der Verhandlungen weiter zu streiken.

Die Streikenden in Essen hatten auf Vorschlag des Streikkomitees auch vereinbart, sich während der Streikunterbrechung regelmäßig mit möglichst vielen Kolleg*innen zu treffen, um zu beraten, wie es weitergehen soll und so ihre Bewegung weiter in ihren Händen zu halten. Nach zwei Tagen kam ein hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär zu diesem Treffen ins Essener Streikzelt, um über den Stand der Verhandlungen zu berichten. Als dabei deutlich wurde, dass – seit der Streik unterbrochen worden war – die Klinikvorstände absolut gar nichts mehr angeboten hatten, gab es eine einstündige ernste und harte Diskussion, ob man den Streik nicht sofort wieder aufnehmen müsse, um Druck auf die Verhandlungen auszuüben. Die Meinung hierzu war gespalten. Als ein Mitglied des Streikkomitees wie üblich darüber abstimmen lassen wollte, nahm der Hauptamtliche ihr das Mikrofon aus der Hand und verhinderte die Abstimmung. Mit Verweis auf seine langjährige Erfahrung erklärte er den Streikenden, dass es absolut üblich sei, für Verhandlungen die Streiks zu unterbrechen und es sonst nie zu Verhandlungen käme. Etwas verblüfft nahmen die Streikenden dies zunächst hin. Doch nur wenige Tage später – nachdem die Vorstände natürlich auch weiterhin nichts Nennenswertes anboten – nahmen sie den Streik wieder auf.
 
Zwei Mal nun hatten die Streikenden die Erfahrung gemacht, dass die Gewerkschaftsbürokraten den Streik überhaupt nicht klüger leiten konnten als sie selbst und dass eine Streikunterbrechung nicht nur sinnlos, sondern gefährlich und schädlich ist. Danach unterbrachen sie den Streik nicht mehr. 

Die nächste Erpressung der Vorstände bestand darin, dass sie immer nur mit Hauptamtlichen und maximal zwei Vertretern der Streikenden (einem pro Klinikum) verhandeln wollten. Also zwei Streikende – bei fünf Vertretern der Arbeitgeber und drei Hautamtlichen! Anfangs ließen die Streikenden sich darauf ein. In Essen wählten sie in der Streikversammlung die Vertreterin, die für sie teilnehmen sollte.
 
Doch schon bei den ersten Treffen stellte sich heraus, dass die Vorstände und die Hauptamtlichen verlangten, dass die Vertreter der Streikenden Stillschweigen darüber bewahren sollten, was dort diskutiert wurde. Wieder einmal kamen die Vorstände mit der Drohung, dass sie sonst die Verhandlungen sofort abbrechen würden, wenn die vertraulichen Gespräche „an die große Glocke“ gehängt würden. Einmal wurden die beiden Vertreter der Streikenden sogar angerufen und zu einem geheimen Treffen mit den Vorständen eingeladen, von dem sie keinem der Streikenden erzählen dürften, sonst würden die Vorstände die Verhandlungen angeblich endgültig abbrechen.
 
Die Hauptamtlichen waren jedes Mal bereit, sich auf diese Erpressungen einzulassen. Letztlich sahen sie auch nicht wirklich Schlimmes darin, da sie grundlegend der Überzeugung waren, ohnehin besser als die Streikenden zu wissen, was man in den Verhandlungen tun müsse und durchsetzen könne. Und sie setzten darauf, dass die Vertreter der Streikenden aus Verantwortungsgefühl und Angst, für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich zu sein, ebenfalls schweigen würden. Doch dank des von allen Streikenden beschlossenen Prinzips, dass alle Fragen im Streikkomitee offen besprochen werden mussten, gelang ihnen dies in Essen letztlich nicht. Die gewählte Vertreterin berichtete dem Streikkomitee. Das Streikkomitee wiederum berichtete in der Streikversammlung davon, dass die Vertreter zum Stillschweigen verpflichtet werden sollten und fragten die Gesamtheit der Streikenden, wie sie damit umgehen sollten. Schon dadurch war die verordnete Geheimhaltung eigentlich dahin. Die Streikenden verlangten, zumindest das Wesentliche zu erfahren und man fand Wege, dass das auch geschah.
 
Auf diese Weise setzten sie trotz aller Widerstände der Gewerkschaftsführung letztlich durch, dass die Verhandlungen von mehr als nur zwei Vertretern der Streikenden geführt wurden und zumindest unter einer gewissen Kontrolle der Streikenden stattfanden.
 
Entgegen ihren Drohungen brachen die Vorstände die Verhandlungen daraufhin natürlich nicht ab. Schließlich verhandelten sie nur deshalb, weil sie den Streik, der ihnen doch langsam Probleme bereitete, endlich beendet sehen wollten. Die Haltung der Streikenden trug im Gegenteil eher dazu bei, dass die Vorstände deren Entschlossenheit realisierten und sich am Ende überhaupt auf ernsthafte Verhandlungen für alle Berufsgruppen einließen.
 
Auch hier führte die demokratische Streikführung also dazu, dass der Streik weiter gehen konnte als es sonst möglich gewesen wäre. Mehrfach waren die Streikenden – nach Abwägung aller Risiken – mutiger als die Hauptamtlichen und eine Reihe langjähriger Gewerkschafterinnen. Sie ließen sich auf viel weniger Erpressungen ein und haben gerade damit letztlich gewonnen.   Die Vorstände hatten nicht zuletzt deshalb Geheimhaltung gefordert, weil sie die Vertreter der Streikenden dadurch nach und nach dem Einfluss der übrigen Streikenden entziehen wollten. Durch die Geheimhaltung hätten die Streikenden keine Möglichkeit gehabt, Druck auf die Verhandlerinnen auszuüben. Die Vorstände hingegen würden viel Zeit mit ihnen verbringen und bei jedem Verhandlungstag mit ihren Drohungen und „Argumenten“ Druck auf sie ausüben. Sie wussten, dass dieses Gift zwangsläufig anfangen würde zu wirken.
 
Aus demselben Grund wollten sie auch, dass immer dieselben Vertreter verhandelten. Denn nur so konnten sie versuchen, diese nach und nach „weichzukochen“.
Anfangs fanden es auch die Streikenden normal, dass immer die gleichen Vertreter zu den Verhandlungen gingen. Sie wählten zwar vor jeder Verhandlung neu, wer sie vertreten sollte. Doch sie wählten jedes Mal dieselben langjährig gewerkschaftlich Aktiven, denen sie vertrauten. Denn die meisten waren überzeugt, dass die Verhandlungen eine komplizierte Sache wären, für die man langjährige Erfahrung bräuchte.
 
Dabei ist es genau umgekehrt! In Wahrheit sind gerade die einfachen Streikenden die besten Experten für diese Gespräche. Denn sie wissen besser als jeder andere, welche Arbeitsbedingungen sie brauchen und wofür sie zu streiken bereit sind. Die einzige Qualifikation, die sie benötigen, ist, dass man ihnen vertrauen kann; dass sie in den Gesprächen die Interessen der Streikenden vertreten und sich daran halten, was sie von den Streikenden als Auftrag mitbekommen haben. Es ist außerdem gerade gut, wenn den Vorständen nicht erfahrene Gewerkschaftsaktivistinnen gegenübersitzen, die sie seit Jahren kennen – sondern ganz normale Beschäftigte, die sie viel schlechter einschätzen können und mit denen sie absolut nicht gewohnt sind zu verhandeln.   Ebenso verunsichert es die Vorstände, wenn die Gesichter derjenigen, die ihnen gegenübersitzen, wechseln. Dann kann auch ihr Gift weniger oft wirken. Wer jede Verhandlung ertragen muss, neigt auch eher dazu, es schon als Erfolg zu empfinden und zugreifen zu wollen, wenn die Vorstände einem nach ewigem Hin und Her überhaupt einen Krümel hinwerfen. Wenn hingegen verschiedene Kolleginnen und Kollegen dabei sind, bekommen letztlich alle Streikenden einen vielseitigeren Eindruck von den Gesprächen und können besser einschätzen, wie sie weitermachen wollen.   Nach den ersten paar Verhandlungstagen sprach Alexandra Willer, die zu den gewählten Verhandlerinnen gehörte, dies an und erklärte, warum sie es für sinnvoll halte, dass die nächsten Male nicht sie, sondern andere zu den Verhandlungen gehen sollten. Anfangs waren nur wenige von der Richtigkeit dessen überzeugt, und dieselben Verhandlerinnen wurden weiter gewählt. Doch für die entscheidenden Verhandlungen am Schluss wurden nach einer weiteren Diskussion dann teilweise neue Verhandlerinnen gewählt.

Aktiv gegenüber den Arbeitenden inner- und außerhalb des Krankenhauses

Da die Regierung und auch die Klinikvorstände seit Monaten erzählten, sie würden etwas gegen den Personalmangel in den Krankenhäusern unternehmen wollen, dachten viele anfangs, dass ihr Streik schnell Erfolg haben würde.

Genossinnen aus dem Umfeld des BRA bemühten sich aufzuzeigen, dass der unerträgliche Personalmangel kein Versehen oder das Ergebnis der Entscheidungen „inkompetenter“ Politikerinnen ist, sondern eine bewusste Sparpolitik im Interesse der Kapitalisten und um die Krankenhäuser zu einer neuen Profitquelle für Banken und private Konzerne zu machen. Dadurch wurde vielen nach und nach bewusster, dass es eine harte Auseinandersetzung werden würde und man zumindest versuchen sollte, den Streik auszuweiten.

Solidarischer Austausch mit den Nicht-Streikenden

Immer wieder sind die Streikenden auf die Nicht-Streikenden zugegangen und haben mit ihnen diskutiert. Zwar ist es nicht gelungen, den Streik auszuweiten. Doch durch den regelmäßigen Kontakt hat es der Vorstand trotz aller Verleumdungsversuche nicht geschafft, einen Keil zwischen Streikende und Nicht-Streikende zu treiben.

Die Streikenden haben entdeckt, dass die allermeisten Kolleginnen und Kollegen mit dem Streik solidarisch waren und ihn unterstützen, auch wenn sie aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mitstreikten. Daher hat das Streikkomitee Möglichkeiten entwickelt, wie diese Sympathie und Solidarität für alle sichtbar werden konnte. So haben sie Solidaritätsbuttons hergestellt, die eine Reihe nicht-streikender Kolleg*innen sowie Pflegekräfte im Notdienst ab da getragen haben. Außerdem haben sie verschiedene Solidaritätsaktionen organisiert, an denen nicht-streikende Beschäftigte sich beteiligt haben. Eine der erfolgreichsten war das gemeinsame Waffelessen.

Ohne Moos nichts los

Die Streikenden haben auch Geld gesammelt, um insbesondere die Arbeitenden mit niedrigen Löhnen zu unterstützen, die trotz gewerkschaftlichem Streikgeld finanziell unter Druck gerieten.

Es gibt in Deutschland keine Tradition, Geld für Streiks zu sammeln. Als Zwischenweg kam das Streikkomitee auf die Idee, Streikunterstützungs-Buttons herzustellen, die gegen Spende verkauft wurden – überall dort, wo die Streikenden im und außerhalb des Betriebs für ihren Streik warben. Im Streikzelt entstand eine regelrechte Button-Werkstatt, an der sich viele beteiligten.

Besuche anderer Krankenhäuser und Betriebe

Die Streikenden sind in gut 20 Krankenhäusern gegangen, um den Beschäftigten dort von ihrem Streik zu erzählen und sie zu ermutigen, ebenfalls den Kampf aufzunehmen. Naheliegenderweise fuhren sie auch zu den Unikliniken Münster und Köln. In beiden Kliniken wurden sie auf den Stationen mit offenen Armen von den Pflegekräften empfangen, die sofort verstanden, dass sie in der gleichen Lage sind und eigentlich auch streiken müssten (was sie vier Jahre später dann auch gemacht haben). Die dortigen freigestellten Personalräte (ebenfalls ver.di-Mitglieder) hingegen kamen nicht einmal, um die ankommenden Streikenden zu begrüßen, sondern verbarrikadierten sich hinter ihren Schreibtischen. So groß war ihre Angst vor dem Widerstands-Virus, den die Streikenden hätten weitergeben können.

Die Streikenden gingen außerdem zum Schichtwechsel zu den Verkehrsbetrieben, zu Amazon und weiteren Betrieben anderer Branchen, verteilten Flugblätter, sammelten Unterschriften und Spenden für den Streik. Überall sagten die Arbeitenden ihnen: „Eigentlich müssten wir das auch machen. Denn uns geht es genauso. Haltet durch!“

Die Streikenden erlebten, dass ihre Forderungen (nach mehr Personal, weniger Arbeitsbelastung und dem Stopp von Auslagerungen und Niedriglöhnen) nicht nur innerhalb des Betriebs über die Berufsgruppen hinweg vereinenden Charakter hatten, sondern die Arbeitenden der unterschiedlichsten Branchen und Berufe angesprochen haben. So entstand bei einem Teil der Streikenden ein allererstes Gefühl für etwas, das vorher gar nicht vorhanden gewesen war. Sie fingen an zu spüren, dass sie Teil einer Gemeinschaft sind: der arbeitenden Klasse, die überall die gleichen Probleme und Interessen hat und zusammen kämpfen kann!

Solidarität von Patient*innen und der arbeitenden Bevölkerung

Die Klinikvorstände haben versucht, den Streik mit Hilfe der Medien zu verleumden. Sie haben insbesondere ihre Beziehungen zu den bedeutenden Regionalzeitungen genutzt, um in großen Artikeln zu verbreiten, dass der Streik Patientenleben gefährden würde. Eine dreiste Verleumdung! Die Sparpolitik der Herrschenden gefährdet tagtäglich die Gesundheit und manchmal sogar das Leben von Patient*innen. Die Streikenden hingegen kämpften genau dafür, dass sich diese Zustände ändern.

Die Streikenden gingen ihrerseits in die Offensive unter dem Motto: „Nicht der Streik, sondern der Normalzustand gefährdet Menschenleben“. Sie gingen in zahlreiche Stadtteile Essens und auch gezielt zu den Patient*innen des Uniklinikums. Sie informierten darüber, dass Klinikvorstände und Landesregierung sich weigerten, mehr Personal einzustellen.

Fast ausnahmslos erfuhren die Streikenden Solidarität. Die Propaganda der Vorstände funktionierte absolut nicht. Im Gegenteil. Ganz viele fühlten sich von dem Kampf der Klinikbeschäftigten angesprochen, als potenzielle Patienten wie auch als Arbeitende mit ähnlichen Sorgen. Die Menschen unterstützten die Streikende mit ihrer Unterschrift und teilweise auch finanziell. Innerhalb weniger Wochen sammelten die Streikenden über 10.000 Unterschriften zur Unterstützung ihres Kampfes. Sogar Patient*innen, deren Untersuchungen oder Operationen aufgrund des Streiks verschoben werden mussten, unterschrieben. Darüber hinaus gab es hunderte Solidaritätsbotschaften und zahlreiche Besuche aus Betrieben der Umgebung.

Kein Streikender wird wohl jemals vergessen, wie viel Solidarität und Unterstützung sie überall erlebt haben, wo sie hingekommen sind. Dies hat nicht nur allen enorm geholfen, den Streik so lange durchzuhalten. Diese erlebte Solidarität war auch eine wichtige Erfahrung für die Zukunft.

Besuche von Organisationen und Parteien

Die Streikenden erhielten auch eine Reihe Solidaritätsbesuche von verschiedenen linken und sozialistischen Organisationen und Parteien (insbesondere Die Linke, DKP, MLPD, BRA). Sie alle halfen bei der Unterschriftensammlung und sammelten auch Spenden in ihrem Umfeld. Mitglieder dieser Organisationen erzählten in ihren Betrieben vom Streik und organisierten Solidaritätsbotschaften und -besuche im Streikzelt. Die Mehrheit der Streikenden hatte zu diesen sozialistischen und kommunistischen Gruppen bislang überhaupt kein Verhältnis und stand solchen Ideen eher misstrauisch bis ablehnend gegenüber. Dennoch erlebten sie im Streik, dass diese Parteien sie wirklich solidarisch unterstützten, während die Regierungsparteien auf Seiten der Klinikvorstände standen.

Allerdings begannen Mitglieder einer stalinistischen Organisation (der MLPD) irgendwann, nicht mehr zur Unterstützung zu kommen, sondern mehr, um das Streikzelt als Werbefläche für Kampagnen ihrer Partei zu ganz anderen Themen zu nutzen. Auch bei Demonstrationen der Streikenden traten sie immer massiver auf. Sie versuchten, die Streikbewegung immer mehr für sich auszunutzen. Dies taten übrigens auf andere Art auch die Politikerinnen der regierenden Parteien (SPD, CDU, Grüne…), die ebenfalls nur vorbeikamen, um den Streik für Parteiwerbung zu nutzen. Das Verhalten der MLPD führte verständlicherweise zu einer wachsenden Unzufriedenheit unter den Streikenden. Erste Stimmen wurden laut, dass „Politik“ im Streik nichts zu suchen habe. Dies hätte den Streik auf verschiedenen Ebenen geschwächt. Denn ein Streik ist politisch, die Streikenden müssen in ihm viele politische Einschätzungen und Entscheidungen treffen: gegenüber den Vorständen, den Regierenden, der Gewerkschaftsführung usw. Politische Aktivistinnen können einem Streik daher viel bringen – aber nur, wenn sie sich offen in den Dienst der Streikenden stellen.

Das Streikkomitee entwickelte daraufhin einen Vorschlag, der die Anwesenheit und Unterstützung von politischen Organisationen im Streik weiterhin ermöglichte, jedoch eine Ausnutzung des Streiks verhinderte.

Streiken macht selbstbewusst

Der Streik veränderte die Streikenden. Arbeitende, die sich noch nie irgendwo engagiert hatten, zogen in kleinen Trupps los, um bei wildfremden Menschen Unterschriften zu sammeln. Sie tricksten Sicherheitsdienste und Chefs in anderen Krankenhäusern aus, um dort mit den Beschäftigten zu sprechen. Streikende, die vor dem Streik noch nie auf einer Demonstration gewesen waren, überlegten irgendwann, um wie viel Uhr morgens man am unauffälligsten ein Transparent an einer Autobahnbrücke befestigen könne.

„Einfache“ Pflegekräfte und Serviceassistentinnen stellten sich vor den Vorstand des Klinikums und vor Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU) und sagten ihnen ihre Meinung ins Gesicht. Frauen, denen die ganze Gesellschaft immer eingetrichtert hatte, sie wären ja „nur“ ungelernte Arbeiterinnen und könnten „gar nicht richtig deutsch“, diskutierten die wichtigen Fragen des Streiks.

Die Erfolge des Streiks

Nach 35 Tagen Streik machte der Vorstand ein Angebot, das die Streikenden entschieden anzunehmen. 140 zusätzliche Pflegestellen sollten geschaffen werden und 40 zusätzliche Stellen für die anderen Berufe. Die Streikenden konnten durchsetzen, dass fast keine Pflegekraft nachts mehr alleine auf einer Station sein muss. Überhaupt wurde nun zum ersten Mal verbindlich festgelegt, wie viele Pflegekräfte mindestens auf einer Station sein müssen – und dass bei Unterschreitung Maßnahmen bis hin zu Bettenschließungen ergriffen werden müssen.

Die Reinigungskräfte konnten durchsetzen, dass ihre tägliche Arbeitszeit verändert wird und sie so acht freie Tage im Monat haben anstatt nur fünf. Ein Teil der Serviceassistentinnen mit Zwangs-Teilzeitverträgen erhielt die Möglichkeit, unbefristet auf Vollzeit aufzustocken.
Und die Tochterfirmen am Uniklinikum Düsseldorf bekamen die Zusage zu Verhandlungen über einen Tarifvertrag mit deutlich höheren Löhnen.

Sobald der Streik vorbei war, hat der Vorstand versucht, seine Versprechen nicht oder nur halb umzusetzen. Aus dem Streik hat sich jedoch eine Gruppe von knapp zehn Streikenden gebildet, die vorher nicht aktiv waren und die sich eine Zeit lang weiter getroffen haben, um zumindest die erste Umsetzung der Errungenschaften des Streiks zu überwachen. Die Mehrheit von ihnen blieb auch danach weiterhin im Betrieb aktiv.

Die eingeschworene Gemeinschaft der Streikenden aber wurde mit dem Ende des Streiks auseinandergerissen. Jeder war wieder allein in seinem Bereich, allein in seiner Schicht. Die Durchsetzung der Mindestbesetzung auf den Stationen blieb von da an ein täglicher Kleinkrieg gegen die Leitungen.

Der größte Erfolg allerdings ist und bleibt der Streik selber. Durch die demokratische Streikleitung konnte die Bewegung bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gehen.

Während des Streiks wurden die starren und hierarchischen Berufsgrenzen überwunden und die Streikenden bekamen Mut und Selbstbewusstsein, sich nicht alles gefallen zu lassen. Sie haben Zusammenhalt, Bewusstsein und die Erfahrung gewonnen, dass man einen Streik selber in die Hand nehmen und gemeinsam entscheiden kann.

2022: Diesmal sechs Unikliniken im Streik – 77 Tage am Stück

Mit der Zeit haben die Vorstände sich immer weniger an die Zusagen aus dem Streik von 2018 gehalten. 2021, mitten in der Corona-Pandemie, sind sie dann zum Angriff übergegangen. Bis dahin hatte die Klinikleitung die Unterbesetzung auf den Stationen zumindest abgemildert, indem sie eine größere Zahl Leiharbeiter*innen einsetzte. Nun wurden diese am Essener Uniklinikum aus Kostengründen eingespart. In den meisten anderen Berufsgruppen wurden die Stellen derjenigen, die kündigten oder in Rente gingen, bis zu einem Jahr lang nicht wiederbesetzt. All das hat die Arbeitsbelastung überall weiter verschlechtert.

Ein Teil der Arbeitenden in den beiden Unikliniken war durch diese Erfahrungen resigniert. Andere jedoch haben angefangen sich zu sagen: „Wir können doch nicht zulassen, dass alles noch weiter zurückgedreht wird.“ Hinzu kam, dass viele Beschäftigte der vier anderen Unikliniken ebenfalls mit ihrer Arbeitssituation unzufrieden waren und sich einige zu engagieren begannen. Unter den betrieblich Aktiven entstand die Idee eines neuen, diesmal gemeinsamen Streiks aller sechs Kliniken: mit dem Ziel, einen gemeinsamen Tarifvertrag für alle sechs Kliniken zu erkämpfen. In diesem „Tarifvertrag Entlastung“ sollte festgeschrieben werden, wie viele Beschäftigte man pro Patient bzw. für bestimmte Arbeiten braucht – und was man als Ausgleich bekommt, wenn man unterbesetzt arbeitet.

Fast ein Jahr lang diskutierten die gewerkschaftlich Aktiven mit den Kolleg*innen in ihren jeweiligen Kliniken: in Düsseldorf und Essen, um den Frust über das alte Ergebnis zu überwinden und in Münster, Köln, Aachen und Bonn, um die Idee eines Streiks für mehr Personal zu verbreiten.

Für die letzten Monate engagierte die Gewerkschaft außerdem sogenannte Organizer*innen, die ebenfalls fast täglich durch die Betriebe gingen. Sie organisierten wöchentliche Treffen, zu denen alle Kolleginnen und Kollegen kommen konnten, die sich für ihre Forderungen engagieren und einen möglichen Streik mit vorbereiten wollten. Ausgehend von diesen Treffen wurden erste kleinere Aktionen organisiert, die auch helfen sollten einzuschätzen, wie viele überhaupt bereit wären mitzustreiken. Zum Beispiel ließen sich ganze Teams fotografieren, und diese Fotos wurden den Klinikvorständen und der Landesregierung öffentlichkeitswirksam übergeben, zusammen mit einem „100 Tage-Ultimatum“: Wenn unsere Forderung nach einem „Tarifvertrag Entlastung“ am 1. Mai noch nicht erfüllt ist, treten wir in den Streik – was am 4. Mai 2022 dann auch geschah.

An den Erfahrungen aus 2018 anknüpfen

Auch diesmal handelte es sich in allen Unikliniken um einen Minderheitenstreik. Maximal haben in ganz NRW 2.000 Beschäftigte pro Tag gestreikt. Hinzu kamen diejenigen, die zum Notdienst verpflichtet wurden.

Die Allermeisten streikten zum allerersten Mal in ihrem Leben. Viele traten erst kurz vor dem Streik oder währenddessen in die Gewerkschaft ein. Da insbesondere in der Pflege viele Beschäftigte nicht lange im Betrieb bleiben, war sogar an den Unikliniken Düsseldorf und Essen rund zwei Drittel der Streikenden zum ersten Mal im Streik.

Ein Drittel jedoch hatte bereits im letzten Streik wertvolle Erfahrungen gesammelt und Lehren daraus gezogen, die sie aktiv in den Streik mit einbrachten. Diese Erfahrungen waren vor allem deshalb bei zahlreichen Streikenden noch so präsent, weil es im letzten Streik politische Aktivistinnen gegeben hatte, die zu einer Reihe Fragen überhaupt erst eine andere Meinung als die der Gewerkschaftsführung eingebracht hatten, und weil diese Fragen auf Streikversammlungen von allen gemeinsam diskutiert, abgestimmt und die Erfahrungen mit den Entscheidungen auf späteren Streikversammlungen gemeinsam ausgewertet wurden. Außerdem haben Aktivistinnen vom BRA sowie Kolleg*innen, die im letzten Streik sehr aktiv gewesen waren, nach dem Streik und zu Beginn der neuen Auseinandersetzung dazu beigetragen, dass diese Lehren nicht in Vergessenheit gerieten.

So konnte der Streik von 2022 in vielerlei Hinsicht an den Erfahrungen des Streiks von 2018 anknüpfen.

Stationsschließungen durchsetzen

2018 waren sehr viele Pflegekräfte täglich zum Notdienst verpflichtet worden. Diesmal kämpften die Pflegekräfte an den ersten Streiktagen vor allem darum, dass für die Dauer des Streiks mehr Stationen ganz oder zumindest teilweise geschlossen würden als vier Jahre zuvor, damit sie überhaupt streiken konnten.

In manchen Abteilungen akzeptierten die Leitungen dies aufgrund der Mobilisierung der vorherigen Wochen von Anfang an und legten dies in den Notdienstvereinbarungen fest. In anderen Bereichen jedoch drohten sie den Pflegekräften mit Konsequenzen, wenn sie sich wagen würden zu streiken. Gruppen von Pflegekräften und ganze Teams, die sich das noch wenige Tage vorher nicht hätten vorstellen können, hielten zusammen und gingen trotz aller Drohungen streiken – und erzwangen auf diese Weise, dass auch ihre Stationen für die Dauer des Streiks ganz oder teilweise geschlossen wurden.

Streikversammlungen und Streikkomitee in Essen

Zu den oben genannten Lehren gehörte in Essen auch die Überzeugung, dass der Streik nicht nur von einer kleinen Minderheit langjähriger Gewerkschaftsaktiver, sondern von den Streikenden selber kontrolliert und geleitet werden sollte. Deshalb gab es hier auch diesmal wieder tägliche Streikversammlungen, in denen alle Fragen des Streiks offen diskutiert und entschieden wurden. Und damit das überhaupt möglich war, wurde wie schon vor vier Jahren ein Streikkomitee gewählt: also eine Streikleitung, die von den Streikenden in der Streikversammlung wöchentlich gewählt wurde.
2018 gab es keinen Widerstand gegen die Gründung eines Streikkomitees, da die Gewerkschaftsbürokratie nicht sofort verstanden hatte, was das ist. Diesmal waren sie vorgewarnt und hätten es gerne verhindert. Sie haben Propaganda dagegen gemacht. Doch Aktive im Umfeld des BRA haben sich ihrerseits offen für das Streikkomitee eingesetzt und dabei unter anderem die Unterstützung mehrerer Gewerkschafter*innen der Basis bekommen, die vor vier Jahren gerade durch das Streikkomitee erst angefangen hatten sich zu engagieren. Die Gründung des Streikkomitees wurde erneut mit sehr großer Mehrheit der Essener Streikenden beschlossen.

Rund 20 Streikende haben sich im Streikkomitee engagiert. Ungefähr die Hälfte von ihnen war vorher bereits gewerkschaftlich aktiv, die andere Hälfte nicht. Für ein Drittel von ihnen war es sogar der erste Streik ihres Lebens. Gerade diese Mischung macht eine solche Streikleitung viel effektiver und demokratischer, als wenn diese nur aus langjährigen Gewerkschafterinnen bestanden hätte. Und diejenigen, die sich daran beteiligen, machen die Erfahrung, wie viel sie können – was das Selbstbewusstsein aller Streikenden steigert. Hatten 2018 einfache Arbeiterinnen aus den sogenannten „ungelernten“ Arbeiterberufen sich oftmals nicht zugetraut, sich im Streikkomitee zu engagieren, waren dieses Mal aus fast allen Berufsgruppen Kolleginnen und Kollegen dabei.

2018 hatte das Streikkomitee einige Wochen gebraucht, um seine Rolle zu finden und über die organisatorischen Fragen hinaus zu einer vollumfänglichen Streikleitung zu werden. Durch Erfahrungen aus 2018 – insbesondere durch all die Fragen und Probleme, die sich damals im Streikkomitee und den Streikversammlungen gestellt haben – war das Streikkomitee diesmal von Anfang an eine echte Streikleitung.

Es traf sich fast täglich und diskutierte über alle Fragen des Streiks. Die Mitglieder des Streikkomitees haben eingeschätzt, wie sich die Streikzahlen und das Kräfteverhältnis entwickelten und welche Probleme und Ideen sie von den Streikenden zugetragen bekamen. Sie haben diskutiert, wie man den Streik nach innen stärken und vielleicht noch ausweiten kann und ob es irgendwo Spannungen mit nicht-streikenden Kolleg*innen gab. Sie haben ebenfalls überlegt, wie sie den Streik nach außen stärken könnten, also zum Beispiel, zu welchen anderen Krankenhäusern, anderen Betrieben oder auch in welche Stadtviertel sie gehen könnten, um den Streik bekannt zu machen, Unterschriften zu sammeln und die Idee verbreiten können, dass sich der Streik auf andere Betriebe und Branchen ausweiten müsste. Und nicht zuletzt haben sie eingeschätzt, wie man mit den jeweiligen Aussagen, Tricks und Verhandlungsangeboten der Landesregierung und der Klinikleitungen umgehen sollte, welche Fallen sie stellen könnten und auch, welche Probleme durch die im Vorfeld des Streiks festgelegte Streikstrategie entstehen und was man dagegen unternehmen könnte.

Einige Streikende waren nur einzelne Wochen im Streikkomitee. Einige stießen später dazu. Aber die große Mehrheit war die ganze Zeit dabei. Man kann sich vorstellen, wie viel mehr man versteht und wie man sich verändert, wenn man sich elf Wochen jeden Tag trifft und diese Fragen diskutiert.

Alle Einschätzungen und Vorschläge inklusive aller Flugblätter und Reden wurden zwar im Streikkomitee vorbereitet. Aber all das wurde in der Streikversammlung vorgestellt, wo alle Streikenden gemeinsam darüber diskutiert und alle großen und kleinen Fragen offen mit Abstimmung per Hand entschieden haben. Auf diese Weise war sichergestellt, dass die Streikenden in Essen ihren Streik selber unter Kontrolle hatten, dass nichts hinter ihrem Rücken passieren konnte und sie – die ja schließlich auch die Folgen der Entscheidungen tragen müssen – auch selber und bewusst über alle Fragen des Streiks entscheiden konnten.

All dies galt jedoch nur für das, was die Streikenden in Essen – als eine von sechs streikenden Betrieben – selber entscheiden und beeinflussen konnten.

Ein Streik im Kontext von Tarifverhandlungen

Die Streikbewegung als Ganze fand wie gesagt im Rahmen offizieller, NRW-weiter Tarifverhandlungen für einen „Tarifvertrag Entlastung“ statt.

Die Regeln der Gewerkschaft legen fest, dass für solche Verhandlungen Monate vor der eigentlichen Bewegung eine Tarifkommission aus Gewerkschafter*innen gebildet wird. Diese Tarifkommission, die dann für die gesamte Dauer der Bewegung üblicherweise nicht neu gewählt wird, entscheidet zum Beispiel darüber, ob und wann zu einer Urabstimmung unter allen Gewerkschaftsmitgliedern über einen unbefristeten Streik aufgerufen wird. Nur aus der Tarifkommission werden diejenigen ausgewählt, die – zusammen mit von der Gewerkschaftsführung bestimmten Hauptamtlichen – mit den Vorständen verhandeln, die sogenannte Verhandlungskommission. Sie alleine dürfen darüber entscheiden, ob man im Laufe der Verhandlungen bestimmten Teilvorschlägen zustimmt, bestimmte Kompromisse anbietet usw. Und selbst das können sie nur, wenn die kleine Verhandlungskommission entscheidet, die Tarifkommission zusammenzurufen.

Vor allem jedoch darf diese Tarifkommission – ohne die Gesamtheit der Streikenden vorher fragen zu müssen – entscheiden, ob ein Angebot akzeptabel ist. Wenn ja, dann wird dies meist nicht nur sofort in der Presse verkündet, sondern vor allem wird der Streik in der Regel sofort ausgesetzt. Statt dass sich die Streikenden treffen und gemeinsam darüber beraten können, ob sie das Angebot annehmen wollen oder Kraft haben, noch weiter zu streiken, findet später eine „Urabstimmung“ statt, in der alle Gewerkschaftsmitglieder (egal ob sie mitgestreikt haben oder nicht) individuell darüber entscheiden sollen, ob sie dieses Angebot annehmen. Und sobald auch nur mehr als 25% dafür sind, wird der Kampf endgültig beendet.

Die Aktivist*innen aus Essen haben versucht, diesen gewerkschaftlichen Regeln entgegenzuwirken, die die Mehrheit der Streikenden außen vor lässt.

Einiges war diesmal bereits im Vorfeld deutlich abgemildert worden. Basierend nicht zuletzt auf einem bereits mit Unterstützung von Organizer*innen anders geführten Streik am Berliner Klinikum Charité war in der gewerkschaftlichen Streikplanung aller Kliniken von Anfang an vorgesehen, dass über die Verhandlungen regelmäßig und ausführlich berichtet werden sollte. Außerdem sollten Entscheidungen während und über das Ende der Verhandlungen von der Tarifkommission nicht ohne Rücksprache mit einer größeren Gruppe Delegierter der Streikenden beschlossen werden dürfen.

Aktive vom BRA setzte sich in dieser Tarifkommission außerdem dafür ein, dass die Tarifkommission zumindest nicht einfach über eine Unterbrechung des Streiks entscheiden darf. Gemeinsam mit weiteren gewerkschaftlich Aktiven aus Essen und Düsseldorf, die sich lebhaft an das Streikende 2018 erinnerten, setzten sie als Regel für den Streik durch, dass die Streikenden in solchen Fällen ausreichend Zeit erhalten müssen, um ein mögliches Verhandlungsergebnis in allen Streikzelten und gegebenenfalls mit allen Kliniken zusammen zu beraten und abzustimmen. Und dass die Tarifkommission erst danach und auf Basis dieses Ergebnisses der Form halber über ein Ende des Streiks und die Einleitung der Urabstimmung entscheiden darf.

In Essen wurde in einer der ersten Streikversammlungen außerdem entschieden, dass die Essener Tarifkommissionsmitglieder immer dahin wirken sollten, dass die Tarifkommission keine wichtige Entscheidung treffen dürfe, die nicht vorab in allen Streikzelten diskutiert und entschieden wurde. Sie verpflichteten sich dazu, sich auf jeden Fall immer vorab mit dem Streikkomitee zu beraten und diesem auch keine Informationen vorzuenthalten, selbst dann nicht, wenn die Gewerkschaftsführung von der Tarifkommission Geheimhaltung verlangen sollte.

Sie konnten allerdings die Aktiven der übrigen Kliniken nicht davon überzeugen, wie wichtig es ist, dass sich die Streikenden eine von allen Streikenden des Betriebs gewählte und jederzeit abwählbare Streikleitung geben und alle entscheidenden Fragen in Streikvollversammlungen von allen Streikenden beraten und entscheiden zu lassen. Die Bewegung in ihrer Gesamtheit lag damit weitgehend weiterhin in den Händen der Gewerkschaftsführung. Dies hatte auch damit zu tun, dass die Gewerkschaft diesmal sogenanntes Organizing im Streik einsetzte und viele darauf vertrauten, dass dies eine Kontrolle der Streikenden über die Verhandlungen sicherstellen würde.

Die zwiespältige Rolle der Organizer*innen

Organizerinnen sind in der Regel jüngere Leute, die von der Gewerkschaft engagiert werden, um bestimmte Betriebe in Tarifbewegungen zu unterstützen. Sie ziehen extra für ein paar Wochen oder Monate in die Stadt, in der dieser Betrieb liegt. Im Vorfeld der Bewegung gehen sie als Gewerkschafterinnen durch die Betriebe und versuchen so viele Beschäftigte wie möglich davon zu überzeugen, in die Gewerkschaft einzutreten und sich selber für ihre Interessen zu engagieren. Sie versuchen, die Entwicklung von Kämpfen durch Team- und Abteilungstreffen und kleinere Aktionen im Vorfeld zu unterstützen und begleiten dann auch die gesamte Streikbewegung.
Erst nach ihrem Ende verlassen sie den Betrieb und die Stadt wieder. Dies ist allerdings oft der Moment, in dem die Beschäftigten einerseits die Enttäuschung der nicht erfüllten Erwartungen an den Streik verarbeiten und den Arbeitsalltag wieder ertragen müssen und andererseits mit Unterstützung an Erfahrungen aus dem Streik anknüpfen könnten, um sich auch bei kleinen Auseinandersetzungen besser wehren zu können.

Im Streik an den Unikliniken hatte eine größere Gruppe Organizer*innen von Seiten der Gewerkschaft vor allem die Aufgabe, so viele Beschäftigte wie möglich vor allem in der Pflege zu organisieren. Insbesondere in den Kliniken, die bis dahin noch fast nie länger gestreikt hatten und in denen es nur wenige gewerkschaftlich Aktive gibt, spielten sie eine entscheidende Rolle dabei, ganze Bereiche dafür zu gewinnen, selber aktiv zu werden und zu streiken. Durch ihre sehr aktive Rolle im Vorfeld des Streiks und betrieblich Aktive, die sehr unerfahren waren, spielten sie in mehreren Kliniken auch eine entscheidende Rolle in der Streikleitung.

Die Organizerinnen haben die Streikstrategie der Gewerkschaft in vielen Punkten geprägt. Sie sind dafür eingetreten, dass die Streikenden zu Beginn des Streiks ihre Forderungen selber aufstellen. Genau wie 2018 in Düsseldorf und Essen – und ganz anders, als es in gewerkschaftlichen Tarifrunden üblich ist – setzten sich die Streikenden nach Bereichen zusammen und entwickelten ihre Forderungen. Anders als 2018 trafen sie sich dabei auch über die Kliniken hinweg: Serviceassistentinnen, Pflegekräfte, Erzieher*innen usw. aller sechs Unikliniken trafen sich und überlegten gemeinsam, was sie für ihre Berufsgruppe fordern sollten. Die Kontakte, die dabei geknüpft wurden, halten zum Teil bis heute – und nutzen den Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel, wenn ein Vorgesetzter in einem Klinikum behauptet, etwas müsse so gemacht werden, weil es „in den anderen Unikliniken auch so“ wäre.

Sie bemühten sich auch darum, dass „einfache“ Streikende bei möglichst vielen Gelegenheiten zu Wort kamen, und nicht wie sonst üblich hauptsächlich hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionäre. Das galt für Veranstaltungen und Demonstrationen ebenso wie für erste Treffen mit den Klinikvorständen und Politiker*innen.

Die Organizer*innen traten ebenfalls grundsätzlich dafür ein, dass die Verhandlungen unter breiter Kontrolle von Beschäftigten stattfinden sollten, was den Aktiven aus Düsseldorf und Essen gegenüber der Gewerkschaftsführung geholfen hat – nicht zuletzt um eine Reihe schwieriger Situationen und Erpressungen wie 2018 von vornherein zu verhindern.

Allerdings hatten die Organizerinnen quasi ein fertiges „Erfolgsrezept“, das um jeden Preis so umgesetzt werden sollte. Sehen wir mal davon ab, dass dies sehr wenig Freiraum für eigene Ideen und Entscheidungen der Streikenden lässt – was das genaue Gegenteil von dem ist, was sie eigentlich versprochen hatten. Durch dieses fertige Schema war anfangs zum Beispiel alles auf die Landtagswahlen ausgerichtet, die als fast genauso wichtig dargestellt wurden wie der Streik. Das hat viele falsche Hoffnungen und Illusionen in die Wahlversprechen und die Rolle der Politikerinnen geschürt, die dann enttäuscht wurden.

Auch die Organizer*innen betonten, dass die Verhandlungen unter möglichst breiter Kontrolle und Beteiligung der Beschäftigten stattfinden sollten. Dies sollte dadurch gewährleistet werden, dass die gesamte Tarifkommission und weitere 200 von den streikenden Berufsgruppen im Vorfeld des Streiks gewählte Delegierte jeden Verhandlungstag die ganze Zeit am Verhandlungsort anwesend sein sollten, während die kleine Verhandlungskommission mit den Klinikvorständen sprach. All diese großteils sehr aktive Streikende haben viele Tage lang jeden Tag in Köln verbracht.

Dies hat den Streik real geschwächt. Denn das waren über 200 Streikende, die die Zeit hätten nutzen können, um in den Betrieb zu gehen und mit Nicht-Streikenden zu sprechen, um andere Krankenhäuser für die Bewegung zu gewinnen, um zu anderen Betrieben oder auf die Straße zu gehen, um mit sonstigen Aktionen Druck zu machen – sprich, um den Streik zu stärken und damit letztlich das einzige schlagkräftige Argument in den Verhandlungen.
Indem sie den Verhandlungen einen so hohen Stellenwert verliehen, schürten sie de facto die Illusion, die auch die Gewerkschaftsführung verbreitet: Die Illusion, dass die wahren Entscheidungen am Verhandlungstisch getroffen werden und nicht durch das Kräftemessen im Streik, während es in Wahrheit genau anders herum ist.

Es hat den Streik auch nicht demokratischer gemacht, im Gegenteil. Denn für die meisten Kliniken war Köln so weit weg, dass diejenigen, die dort waren, nicht am nächsten Morgen in den Streikversammlungen waren. Die in Köln Anwesenden bekamen also ganze Teile der Stimmung und der Diskussionen der Mehrheit der Streikenden gar nicht mit. Und die übrigen Streikenden wurden in den meisten Kliniken weder über die Verhandlungen wirklich informiert, noch konnten sie den Anwesenden in Köln Rückmeldungen und Entscheidungen mitgeben. Die Mehrheit der Streikenden hatte so gar keinen Einfluss auf die Entwicklung.

Dies war besonders schwierig, weil diejenigen, die verhandelten, leider immer dieselben waren und nie durchtauschten, sodass sie immer mehr unter dem Druck der unangenehmen Verhandlungssituation und immer weniger in Kontakt mit den Streikenden in den Streikzelten waren. In einem Klinikum führte nicht zuletzt dies zu einer ernsthaften Entfremdung und am Ende zu Verbitterung.

Auch die Organizer*innen hielten damit letztlich an starren Strukturen fest, die alle vor dem Streik geschaffen worden waren, statt die lebendige Entwicklung unter den Streikenden abzubilden und damit auch das Schönste, was in einem Streik passiert: dass Menschen sich verändern!

Da alle sechs Kliniken zusammen streikten, konnten sich die Streikenden in Essen diesen Strukturen und der Vorgehensweise nicht ganz entziehen – auch wenn es wachsende Kritik gab. Das Streikkomitee hat versucht, möglichst viel Bewusstsein für die Problematik zu schaffen und ihr zumindest in Essen so gut wie möglich entgegenzuwirken. So haben sie zumindest versucht, dass diejenigen, die nach Köln fuhren, nicht immer dieselben waren. Und vor allem setzten sie sich dafür ein, dass möglichst viele immer morgens bei den Streikversammlungen und auch bei Streikaktivitäten waren und erst danach die anderthalb Stunden nach Köln fuhren, und dass wichtige Fragen aus Köln immer in der Streikversammlung diskutiert und abgestimmt wurden. Dies war extrem kräftezehrend, aber auch extrem lehrreich für die Streikenden, die dabei waren.

In einer ganzen Reihe anderer kritischer Fragen gelang es den Streik-Aktivisten aus 2018, ihre Erfahrungen an alle Streikorte weiterzugeben und viele Probleme zu vermeiden.

Eine wichtige Erfahrung aus 2018: Spaltung verhindern

Seit dem letzten Streik hatten Regierung und Klinikvorstände weiter versucht, die Pflegekräfte von den anderen Beschäftigten abzuspalten – ganz nach dem Motto „Teile und Herrsche“. Sie gaben den Pflegekräften winzige Brotkrumen: In den Tarifrunden bekamen Pflegekräfte mehr Lohnerhöhung und zwei Corona-Prämien im kleinen vierstelligen Bereich, während die übrigen Berufsgruppen nur eine symbolische oder gar keine Prämie erhielten. Und vor allem redeten sie immer nur von der Pflege, nie von den anderen Berufsgruppen. Dieses Gift der Spaltung hat in den Kliniken durchaus Spuren hinterlassen. Einige fragten sich, ob sie überhaupt mitstreiken sollten, weil sie davon ausgingen, dass es nur ein Ergebnis für die Pflege geben würde. Auch das Organizing richtete sich viel an die Pflege.

Dennoch gelang es dadurch, dass gewerkschaftlich Aktive in mehreren Kliniken explizit in diesem Sinn mobilisierten, dass letztlich wieder viele verschiedene Berufsgruppen gemeinsam gestreikt haben: Pflegekräfte, Arbeitende aus dem Service, der Verwaltung, der Physiotherapie, dem Transportdienst, der Küche und viele mehr.

Wie 2018 haben Landesregierung und Klinikvorstände versucht, die Streikenden gegeneinander auszuspielen. Bis zur 9. Streikwoche haben sie immer wieder erklärt, für die Pflege würden sie vielleicht ein bisschen was geben, aber für die anderen Berufsgruppen wäre kein Geld da. Doch besonders diejenigen, die in Düsseldorf und Essen schon 2018 im Streik dabei waren, haben auf die Gefahr aufmerksam gemacht und aufgezeigt, dass eine solche Spaltung am Ende alle schwächen würde.

An allen sechs Kliniken haben bis zum Schluss alle zusammengestanden und gesagt: Wir hören erst auf zu streiken, wenn für alle Berufsgruppen, die streiken, auch etwas herauskommt. Bis heute ist zumindest unter den Streikenden die alte Hierarchie teilweise durchbrochen. Beschäftigte mit sechs Lohngruppen Unterschied, die sich vorher teilweise nicht einmal gegrüßt haben, sehen sich als Gemeinschaft, unterhalten sich spontan…

Während der letzten Streikversammlung in Essen hat einer der am schlechtesten bezahlten Arbeiter das Wort ergriffen. Er und seine Kollegen arbeiten versteckt im Keller, wo sie die Betten reinigen. Vor dem Streik hatte die Mehrheit der Beschäftigten des Klinikums sie gar nicht wahrgenommen. Er erklärte, für ihn sei der größte Erfolg des Streiks, dass nun alle wüssten, dass sie existieren.

Eine weitere wichtige Erfahrung: Erpressungen vorhersehen und abwehren

Im Streik vier Jahre zuvor haben die Streikenden – auch durch harte Diskussionen und schmerzliche Erfahrungen – einige Lehren gezogen: zum Beispiel, dass man für Verhandlungen auf keinen Fall den Streik unterbrechen sollte. Oder auch, dass man sich nicht erpressen lassen sollte, ganz schnell über das Ende eines Streiks zu entscheiden. Diese Erfahrungen richteten sich vor allem gegen die Manöver von Klinikvorständen und Regierung, aber beinhalteten auch ein gewisses Misstrauen gegenüber der Gewerkschaftsführung.

In mehreren wichtigen Momenten haben eine ganze Reihe derjenigen, die beim letzten Streik aktiv dabei waren, diese Erfahrungen eingebracht. So gab es in Essen dieses Mal eine Situation, in der der Klinikvorstand mit nur ganz kurzer Bedenkzeit von den Streikenden verlangte zuzustimmen, dass einige für den Streik gesperrte Betten bzw. Stationen wieder geöffnet würden. Ansonsten würden sie die gesamte Notdienstvereinbarung kündigen und versuchen, alle streikenden Pflegekräfte zu zwingen zu arbeiten. Ein anderes Mal stand die Forderung von Klinikvorständen nach einer Schlichtung mit Streikunterbrechung im Raum. Diejenigen, die beim letzten Mal bereits die Erpressungen miterlebt hatten, gerieten nicht in Panik, sondern machten Vorschläge, wie man dieser Erpressung begegnen könnte. Durch ihre Erfahrung und ihre Ideen konnten diese und andere problematische Situationen besser bewältigt werden.

Die Vorstände versuchen, den Streik verbieten zu lassen

In die gleiche Kategorie fällt der Versuch der Klinikvorstände, den Streik gerichtlich verbieten zu lassen. Die Vorstände der zwei Kliniken, in denen quasi noch nie gestreikt worden war, waren bei diesem Manöver vorneweg. Sie waren empört, dass es „ihre“ Beschäftigten dieses Mal gewagt hatten mitzustreiken. Und offensichtlich setzten alle Vorstände darauf, dass bereits die Androhung, den Streik zu verbieten, einen Teil der Streikenden verunsichern und dazu bringen würde, wieder arbeiten zu gehen – und dass die Gewerkschaft in dem Versuch, das Streikverbot durch einen Kompromiss zu verhindern, der Wiederbelegung weiterer Betten und Stationen und der Ausweitung des Notdienstes zustimmen würde.

Gestärkt durch die Erfahrungen mit den Erpressungen im letzten Streik diskutierten die Streik-Aktivistinnen, dass die einzige Chance im Gegenteil darin bestehe, den Streik auszuweiten und auch in der Bevölkerung für den Streik zu werben, um Druck auf die Politik und das Gericht auszuüben. War die Zahl der Streikenden in den Wochen davor zurückgegangen, suchten sie nun in allen Kliniken offensiver wieder die nicht-streikenden Kolleginnen auf und versuchten sie erneut vom Streik zu überzeugen. Dabei fuhren auch Streikende aus Kliniken mit mehr Streikenden zu den Kliniken, in denen es wenig Streikende gab, um sie zu unterstützen. In Essen gingen sie von da an auch verstärkt in Stadtteile und vor anderen Betriebe oder „störten“ mit ihrem Anliegen die Ratssitzung. In der Streikversammlung fingen die Streikenden in Essen auch bereits an Pläne zu schmieden, wie sie die Bewegung fortsetzen könnten, auch wenn der Streik verboten würde.

Letztlich wurde die Klage der Vorstände zwei Mal abgewiesen. Die Entschlossenheit der Streikenden zahlte sich aus: Statt kleiner zu werden, stieg die Zahl der Streikenden um ein Viertel. Und die waren nun erst recht entschlossen nicht nachzugeben. Das Manöver der Vorstände ging so vollständig nach hinten los.

Die Arbeitenden haben in vielen Dingen mehr Ahnung als die Vorstände, die die Entscheidungen treffen

Noch mehr als 2018 wurde ganz viel in diesem Streik nicht von Hauptamtlichen und auch nicht von langjährigen betrieblichen Gewerkschaftsaktiven gemacht, sondern von den ganz „normalen“ Arbeitenden. Diejenigen, die durch ihren Arbeitsalltag am besten wissen, welchen Besetzungsschlüssel, welche Bedingungen und welche Ausstattung sie brauchen, haben die Forderungen für ihre Bereiche entwickelt. Und sie selber haben auf den Demonstrationen, vor der Presse und zu Beginn bei den Verhandlungen gesprochen und ihre Forderungen Auge in Auge mit den Vorständen der sechs Kliniken vertreten.

Viele hätten sich das vorher nicht zugetraut. In dieser Gesellschaft bekommt man als Arbeitende von klein auf beigebracht, dass man keine Ahnung habe und nicht reden könne. Aber all diese Arbeitenden standen den Vorständen und Politiker*innen gegenüber und haben ihnen ihre Meinung ins Gesicht gesagt. Und gerade weil sie ihren Arbeitsalltag kennen, haben sie sich von der Gegenseite nicht einwickeln lassen.

Auf diese Weise konnten sie feststellen: Selbst wenn sie die besten Argumente der Welt haben, zählt in den „Verhandlungen“ einzig das Kräfteverhältnis des Streiks. Und sie haben ebenfalls entdeckt, dass diejenigen, die über sie und die Krankenhäuser entscheiden, keine Ahnung davon haben, wie die Arbeit dort funktioniert. Bei den Verhandlungen hat ein Vorstandsmitglied einer der Kliniken ernsthaft die Delegation der Streikenden gefragt, warum sie denn nachts auf der Intensivstation dieselbe Besetzung fordern würden wie tagsüber. Nachts würden die Patient*innen doch schlafen! Nach mehreren Erfahrungen dieser Art haben nicht wenige Streikende gesagt, dass die Krankenhäuser besser laufen würden, wenn die Beschäftigten dort die Entscheidungen selber treffen würden.

Ein Streik in einem gesellschaftlichen Kontext von Inflation und Krise

Illusionen in Wahlen und herrschende Parteien, die schnell verschwanden

Der Streik hat einige Wochen vor den Landtagswahlen in NRW begonnen. Gewerkschaftsführung und Organizerinnen haben die Illusion geschürt, dass die politischen Parteien auf der Jagd nach Wählerstimmen schneller bereit sein würden, die Forderungen der Streikenden zu erfüllen. Sie nannten die Wochen vor den Wahlen das „goldene Zeitfenster“ für die Bewegung. Und natürlich ließen sich die Politikerinnen quasi aller Parteien gerne auf Streikversammlungen sehen und gaben allgemeine Floskeln zum Besten, wie sehr sie sich angeblich für bessere Zustände und Personal in den Krankenhäusern einsetzen würden… wenn viele sie wählen würden.

Die politisch bewussten Aktivistinnen in Essen haben von Anfang an versucht, über diese Illusionen aufzuklären, die nur zu Enttäuschung führen und das Bewusstsein für die Härte der Auseinandersetzung vernebeln würden, auf die die Streikenden sich vorbereiten mussten. Für die Aktiven vom BRA war es entscheidend, dass die Streikenden über das notwendige Wissen verfügten, um das reale Kräfteverhältnis einschätzen zu können. Nur so konnten sie schließlich wirklich über ihren Streik entscheiden. Im Streikkomitee entwickelten sie gemeinsam Fragen, die sie den Politikerinnen im Streikzelt gestellt haben und bei deren Beantwortung diese sich selbst entlarvten. Es wurde deutlich, dass sie hinter den allgemeinen Wahlkampffloskeln keinerlei konkrete Zusagen machen wollten, da in Wahrheit keine Partei die Absicht hat, die von ihnen seit Jahrzehnten bewusst geführte Sparpolitik freiwillig auch nur ein winziges bisschen wieder zurückzudrehen.

Die Aktivist*innen in Essen machten deutlich, dass die Regierungen gerade erst in 2020 und 2021 über 400 Milliarden Euro neue Schulden gemacht hatten, um vor allem die Profite der Konzerne und der Reichen in der Pandemie und Wirtschaftskrise zu schützen – und dass die Regierung nun weitere 100 Milliarden Euro Schulden für gigantische Aufträge an die Rüstungskonzerne machte und die Konzerne bereits die nächsten Geschenke als Ausgleich für die Verluste durch Krieg und Sanktionen verlangten. Sie machten außerdem deutlich, dass die Regierenden deswegen umso massiver bei allen öffentlichen Diensten für die Bevölkerung sparen wollen und eben auch bei den Krankenhäusern. Und dass sie daher noch weniger als 2018 bereit sein würden, irgendetwas herauszurücken ohne einen hartnäckigen und ausdauernden Kampf mit dem einzigen wirklichen Druckmittel: dem Streik.

Schnell haben die Streikenden dies ebenfalls feststellen können. Noch während des Streiks wurde eine der letzten drei Geburtsstation in Essen geschlossen, wurde bundesweit die Einsparung von tausenden Pflegestellen durch die Krankenkassen angekündigt und angedroht, in den nächsten zehn Jahren bis zu einem Drittel der Krankenhäuser zu schließen.

Als die Streikenden am Düsseldorfer Landtag nach der Wahl verschiedene Parteien zur Rede stellten, hat ein FDP-Politiker aus Versehen ausgeplaudert, dass die Regierung ihnen auch deshalb nicht mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen gewähren könnte, weil das „unfair“ gegenüber den privaten Krankenhäusern (Sana, Helios usw.) wäre. Deren Pflegekräfte würden dann ja vermehrt in die Unikliniken wechseln, wenn die privaten Krankenhauskonzerne ihnen nicht ebenfalls bessere Bedingungen zugestehen würden. Die Streikenden hatten verstanden: Die Regierung wollte ihnen also auch deshalb nichts geben, um die privaten Krankenhauskonzerne zu schützen. Sonst müssten diese nachher auch etwas mehr Geld für Personal ausgeben und könnten damit weniger Gewinn aus ihren Krankenhäusern ziehen und an ihre Aktionäre verschenken.

Doch die Streikenden haben nicht locker gelassen. Nach den Wahlen tauchten sie überall auf, wo Parteivertreter der neuen Landesregierung sich zusammenfanden: ob in den Stadträten, bei den Landesparteitagen oder der ersten Sitzung des Landtages, bei der die Landesregierung nach mehreren Wochen zähneknirschend die erste vage Zusage gab, etwas Geld für die Streikenden herauszurücken.

Die Streikenden in Essen erlebten bei diesen „Besuchen“ zwei Mal ein fast identisches Szenario. So haben alle Streikenden den Vorstand der Essener Uniklinik und eine Woche später eine Gruppe Streikender den Essener Stadtrat mit einem Besuch überrascht. Und beide haben sich ganz schnell verbarrikadiert und eingeschlossen. Der Stadtrat holte seine eigenen Ordnungskräfte, der Klinikvorstand sogar die Polizei zu seiner Unterstützung. Die Streikenden haben sich sehr darüber amüsiert, wie unangenehm es den Vorständen und Politikerinnen offensichtlich war, den Streikenden spontan gegenüberzustehen und mit ihnen reden zu müssen. So sehr, dass sie lieber die Polizei holten, um die Streikenden zu entfernen. Es war für viele Streikenden eine neue Erfahrung zu sehen, auf wessen Seite das Gesetz und die „Gesetzeshüter“ in einem Streik stehen. Überhaupt: All die Klinikvorstände, Politikerinnen und Medien, die sich immer so verständnisvoll mit den leidenden Klinikbeschäftigten und ihren schrecklichen Arbeitsbedingungen zeigten, waren auf einmal viel weniger verständnisvoll, als diese Arbeitenden nicht mehr leiden und hinnehmen wollten, sondern zu kämpfen anfingen.

Wir sind eine Arbeiterklasse

In Essen haben die Streikenden ihren Kampf auch gestärkt, indem sie sich in- und außerhalb des Klinikums an andere Beschäftigte gewandt haben.

Sie wandten sich immer wieder an die nicht-streikenden Beschäftigten, erzählten vom Stand des Streiks, von ihren Erfahrungen, schufen Bewusstsein für das Kräfteverhältnis und sorgten so dafür, dass kein Bruch und keine Feindseligkeiten zwischen Streikenden und Nicht-Streikenden entstanden.

Sie wandten sich mit Flugblättern und Gesprächen an die Arbeitenden der Tochterfirmen (z.B. der Reinigung) und der Fremdfirmen (z.B. an die Arbeitenden von MeDiTA, die den Transport von Blutproben im Klinikum durchführen). Diese alle haben noch deutlich schlechtere Löhne und Arbeitsbedingungen als diejenigen, die direkt beim Klinikum angestellt sind. Die Streikenden sagten deutlich, dass „unser Kampf auch euer Kampf ist“. Sie luden sie ein, sich anzuschließen und versicherten, dass sie jetzt und auch in Zukunft zusammengehören und zusammen kämpfen sollten.

Auf ähnliche Weise wandten sie sich an die Beschäftigten anderer Krankenhäuser. Trotz der zahlreichen Betretungs- und Kontakteinschränkungen in den Kliniken aufgrund der Pandemie fanden sie Mittel und Wege, mit vielen Arbeitenden ins Gespräch zu kommen.

Im Streikkomitee sammelten sie außerdem Ideen von Streikenden, wer Angehörige oder Freunde in anderen Betrieben der Umgebung hat, von denen sie Informationen über die Arbeitszeiten und die Bedingungen in den Betrieben bekommen konnten und fuhren dann mit kleinen Gruppen von Streikenden dorthin.

Außerdem fuhren Gruppen von Streikenden zu Protestaktionen oder Warnstreiks von anderen Arbeitenden, um diese zu unterstützen und gleichzeitig von ihrem Streik zu berichten. So nahmen Essener Streikende des Klinikums unter anderem an einer Protestaktion des Sicherheitspersonals am Düsseldorfer Flughafen teil, die mehr Personal forderten, sowie an Warnstreiks der Amazon-Beschäftigten und der Stahlarbeiter*innen für höhere Löhne.

Sie unterstützten so die Arbeitenden der anderen Betriebe mit ihrer Solidarität und stärkten den Zusammenhalt der Arbeitenden über die Branchen hinweg. Und sie versuchten damit bei der Gegenseite die Sorge zu verstärken, dass der Streik ansteckend sein und in den nächsten Betrieben für Unruhe sorgen könnte. Dadurch erhöhten sie den Druck auf die Vorstände und die Regierung. Die Solidarität, die sie bei diesen Besuchen von anderen Arbeitenden erfuhren, gab ihnen außerdem Kraft durchzuhalten und weiterzumachen. Aus mehreren Betrieben, die sie besucht hatten, kamen Arbeitende zum Solidaritätsfest ans Uniklinikum Essen. Allein von der Ruhrbahn (den örtlichen Verkehrsbetrieben) kamen an die zehn Kolleg*innen!

Ein gutes Beispiel für all das ist der Austausch mit Arbeiterinnen der Druckerei Barthel aus Essen. Einige von ihnen waren zum Solidaritätsfest am Klinikum gekommen, um ihre Solidarität zu zeigen und weil sie – wie sie sagten – von den Streikenden am Klinikum lernen wollten. Denn wenige Wochen später wollten sie zum allerersten Mal streiken: in einem Betrieb, in dem es keinen Tarifvertrag gibt, in dem die Anzahl der Urlaubstage sinkt, wenn man Krankenscheine hat und in dem Frauen für die gleiche Arbeit weniger Lohn bekommen. Eine Gruppe Streikender vom Uniklinikum hat sie bei diesem ersten Streiktag vor Ort unterstützt, was bei ihnen Begeisterung ausgelöst hat. Und durch den Mut der Kolleginnen, die ganz bei null anfingen, schöpften auch die Streikenden vom Klinikum in ihrem schon lange anhaltenden Kampf neue Kraft.

All das passierte nicht spontan. An den anderen streikenden Kliniken gab es solche Besuche bei anderen Arbeitenden nur selten. Solche Gewohnheiten gibt es kaum noch. Spontan sehen viele erst einmal keinen Zusammenhang zu Beschäftigten und Kämpfen anderer Betriebe, erst recht nicht in anderen Branchen. Und sie können sich schon gar nicht vorstellen (auch durch das stark eingeschränkte Streikrecht), dass sich Kämpfe ausweiten können. Die Gewerkschaftsfunktionäre noch viel weniger. Auch dort, wo (wie bei Amazon) dieselbe Gewerkschaft zeitgleich Warnstreiks organisierte, kamen diese nie von sich aus darauf, gemeinsame Streiktage zu organisieren. In Essen fand all dies statt, weil unter anderem Aktivist*innen vom BRA dies vorschlugen und Bewusstsein dafür schufen, warum dies so wichtig und notwendig ist.

Im Rahmen des Streiks gab es alle ein bis zwei Wochen einen Tag, an dem sich die Streikenden aller sechs Kliniken an einem Klinikum trafen, sich dort austauschten und gemeinsam demonstrierten. In den letzten Streikwochen fand ein solcher Streiktag zum ersten Mal in Essen statt. Aufgrund der zahlreichen Aktionen sprachen hier auch Beschäftigte anderer Betriebe und Branchen auf der Kundgebung und die Demonstration endete vor einem anderen Krankenhaus, in dem gerade die Geburtsstation geschlossen wurde. Essener Streikende erhielten in den Tagen danach zahlreiche Nachrichten von ihren Kolleg*innen aus den anderen Kliniken, in denen diese betonten, dass ihnen gerade die Reden der Arbeitenden aus anderen Branchen besonders an dem Essener Streiktag gefallen hatten – und dass sie entdeckt hatten, wie viele Gemeinsamkeiten sie doch mit ihnen haben.

Kampf für mehr Personal UND mehr Lohn

Der Streik an den Kliniken fand in einem Moment statt, in dem die Preise explodierten und viele Beschäftigte Existenzsorgen plagten. In ersten Betrieben gab es Streiks für mehr Lohn. Insbesondere fand gerade die Tarifrunde in der Stahlindustrie statt und Tarifrunden in mehreren anderen großen Branchen standen kurz bevor. In den ersten Wochen versuchten die Medien und die Politikerinnen im Wahlkampf, die Bewegungen gegeneinander auszuspielen. So wurde der Streik der Kliniken teilweise als „Streik für die Allgemeinheit“ gelobt, im Vergleich zu angeblich „egoistischen“ Streiks für mehr Lohn. Spontan fingen auch einzelne Gewerkschafterinnen und manche Streikende an zu betonen, dass sie ja nicht für mehr Lohn, sondern für mehr Personal und damit für die Allgemeinheit kämpfen würden.

Die revolutionären Aktivist*innen haben versucht, solchen gefährlichen Aussagen entgegenzuwirken. Sie machten deutlich, dass Streiks für höhere Löhne nicht egoistisch sind. Die Arbeiterklasse ist täglich für die Allgemeinheit da, denn sie hält mit ihrer Arbeit die gesamte Gesellschaft am Laufen. Sie hat alles Recht, dafür sowohl vernünftige Arbeitsbedingungen wie vernünftige Löhne zu fordern.

Die Aktivist*innen erinnerten daran, dass beim letzten Mal in Düsseldorf auch Tochterfirmen für mehr Lohn mitgestreikt hatten und dass es eine Schwächung war, dass sie dieses Mal nicht dabei waren. Sie zeigten auf, dass die Streikenden sich mit solchen Aussagen letztlich selber schadeten. Denn angesichts der explodierenden Preise würden auch sie bald für mehr Lohn kämpfen müssen. Sie machten deutlich, dass die Arbeitenden sich im Gegenteil zukünftig über die Einschränkungen des Tarifrechts würden hinwegsetzen müssen, die den Arbeitenden eines Betriebs verbieten, außerhalb bestimmter kleiner Zeitfenster für eine bestimmte Forderung zu kämpfen – eine Einschränkung, die es ihnen auch erschwerte, ihren Streik auf andere Krankenhäuser auszuweiten.
Wie in allen Auseinandersetzungen im Betrieb versuchten sie, nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame an der Situation und den Interessen aller Beschäftigten hervorzuheben.

Nicht zuletzt machten sie deutlich, dass es eine Schwächung für alle wäre, wenn sich die wenigen Arbeitenden, die sich gerade wehrten, auch noch untereinander in die Pfanne hauen würden, und dass es im Gegenteil wichtig sei, zusammenzuhalten und sich gegenseitig zu unterstützen. Und das setzten sie auch in die Tat um. So besuchte eine Gruppe von Streikenden zwei Kundgebungen der streikenden Stahlarbeiter*innen, die 8,2% mehr Lohn forderten. Das Streikkomitee entwarf hierfür eine Rede, die im Streikzelt diskutiert und abgestimmt wurde.

Das Ende des Streiks und seine Perspektiven

Das Angebot

Nach elf Wochen hartnäckigem Streik haben die Streikenden folgendes Angebot der Klinikvorstände bekommen:

Pro Station wurde dort festgelegt, wie viele Patientinnen eine Pflegekraft maximal zu betreuen hat. Für alle Schichten, in denen sie trotzdem mehr Patientinnen versorgen muss, soll sie künftig einen Ausgleich bekommen: bis zu 18 zusätzliche freie Tage im Jahr. All das aber erst ab Mitte 2024; bis dahin sollen alle Pflegekräfte nur pauschal fünf zusätzliche freie Tage im Jahr bekommen.

Für die Berufsgruppen außerhalb der Pflege, die gestreikt haben, sollen pro Klinikum rund 60 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Und wenn Stellen längere Zeit nicht besetzt sind, soll der betroffene Bereich als Ausgleich ebenfalls drei bzw. fünf zusätzliche freie Tage erhalten.

Demokratisch entscheiden

2018 hatten sich die Streikenden davon überrumpeln lassen, dass die Vorstände ein Ultimatum gesetzt hatten. Ein um 3 Uhr morgens erreichtes Verhandlungsergebnis musste bis zum Mittag von den Streikenden angenommen oder abgelehnt werden. Auch die Hauptamtlichen übten einen starken Druck aus, das Ergebnis schnell anzunehmen. Dadurch hatten die Streikenden weder die Zeit noch die Möglichkeit, sich wirklich eine Meinung zum Verhandlungsergebnis zu bilden und diese wichtige Frage zu entscheiden. Dass sie so überrumpelt und unter Druck gesetzt wurden und sich dadurch betrogen fühlten, hat auch noch lange nach dem Streik viele empört und teilweise auch verbittert.

2022 konnten Streik-Aktivist*innen aus Essen – wie bereits erwähnt – durchsetzen, dass die Streikenden der sechs Unikliniken sich die notwendige Zeit nehmen konnten, um das Angebot in Ruhe einzuschätzen und zu entscheiden, ob sie den Streik beenden oder fortführen wollen.

In Essen hat das Streikkomitee außerdem nach jedem Verhandlungstag detailliert in der Streikversammlung über den Stand der Verhandlungen berichtet, Probleme diskutiert und bei Bedarf abgestimmt. Dadurch konnten sich viele Streikende frühzeitig eine Meinung zu den möglichen Verhandlungsergebnissen bilden, das Für und Wider abwägen und dabei auch das Kräfteverhältnis realistisch einschätzen.

Am letzten Streiktag hat das Streikkomitee die Abschlussdiskussion vorbereitet und darauf geachtet, dass alle wirklich frei diskutieren und entscheiden konnten. Zuerst haben die Streikenden in kleinen Gruppen diskutiert, damit sich möglichst viele einbringen konnten und nicht nur die reden, die sich am ehesten trauen, vor vielen Leuten zu sprechen. Sie haben erstens eingeschätzt, ob sie das Ergebnis akzeptabel finden oder nicht, und zweitens, ob sie der Ansicht sind noch mehr durchsetzen zu können, wenn man weiterstreikt. Alle Gruppen haben ihre Einschätzungen vorgetragen, die dann nochmal gemeinsam diskutiert wurden. Erst danach wurde abgestimmt. So hat das Streikkomitee sichergestellt, dass die Entscheidung keine von oben aufgezwungene, sondern eine gemeinsame Entscheidung der Streikenden war.

Nach elf Wochen hat die große Mehrheit entschieden, das letzte Angebot anzunehmen – stolz auf ihren Streik, aber auch mit dem Bewusstsein, dass angesichts der Verschlechterung der Lage noch viele weitere Kämpfe notwendig sein werden.

Was seitdem passiert ist

Die Vorstände haben im Streik argumentiert, dass sie bis Mitte 2024 Zeit bräuchten, um ein Computersystem einzuführen, das in jeder Schicht automatisch festhält, wie viele Patient*innen und Pflegekräfte auf einer Station sind und so automatisch festhält, wie oft man unterbesetzt arbeitet. Schon während des Streiks sind alle davon ausgegangen, dass die Vorstände die unterschiedlichsten Tricks bei und nach der Einführung dieses Systems versuchen werden – und dass die Umsetzung daher ein weiterer Kampf werden wird.

In den Berufen außerhalb der Pflege haben die Vorstände alles versucht, um die Umsetzung des Ergebnisses herauszuzögern. Auch haben sie Vereinbarungen aus dem Tarifvertrag auf einmal anders „interpretiert“, um weniger Stellen schaffen oder einem Teil der Betroffenen keine freien Tage gewähren zu müssen. Erneut war es notwendig, dass sich eine Gruppe Streikender auch weiterhin getroffen und engagiert hat, um die Umsetzung zu überwachen. In einem Bereich gab es eine Unterschriftensammlung und eine kleine Aktion der Beschäftigten, um „ihrer“ Interpretation der Vereinbarung Nachdruck zu verleihen. Letztlich konnte so durchgesetzt werden, dass die ursprünglichen Zusagen in der großen Mehrheit der Bereiche eingehalten und ein Teil der zusätzlichen Stellen zumindest noch 2023 ausgeschrieben wurden.

Eine Vorbereitung für zukünftige Kämpfe

Der größte Erfolg des Streiks jedoch sind all die Erfahrungen, die gemacht wurden, ist das Bewusstsein und Selbstbewusstsein, das hunderte Streikende gewonnen haben und der Zusammenhalt, der in dem Kampf entstanden ist. Und all dies ist für die Zukunft und die Situation der Beschäftigten noch viel entscheidender als das materielle Ergebnis.

In diesen großen Unikliniken mit so vielen Bereichen und Häusern ist vieles sehr anonym. In über elf Wochen Streik jedoch haben die Streikenden in ihren eigenen Bereichen und darüber hinaus Kolleg*innen kennengelernt, auf die sie zählen und denen sie vertrauen können. Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Berufsgruppen und sogar unterschiedlicher Kliniken sind gerade durch die vielen Spaltungsversuche während des Streiks zusammengewachsen.

Durch den Streik wurden neue Servicekräfte eingestellt, von denen beispielsweise in Essen einige bis jetzt als Reinigungskräfte in der ausgegliederten Tochterfirma gearbeitet haben. Diese erfahren nun, dass ihre Arbeitsplätze durch einen Streik geschaffen wurden und können diese Erfahrungen an ihre ehemaligen Kolleg*innen in der Reinigungsfirma weitergeben. So kann der Streik auch dazu beitragen, hier neue Brücken zu schaffen und vielleicht künftige gemeinsame Kämpfe vorzubereiten.

In einer Zeit, in der die Kapitalisten und die herrschende Politik die Arbeitenden permanent versuchen zu spalten (ob nach Berufen, in „Stammbelegschaft“, Befristete, Leiharbeit und Subfirmen oder auch nach Religion, Herkunft oder Hautfarbe) ist all dies eine der wichtigsten Errungenschaften des Streiks.

In diesem Streik zeigte sich bereits, wie wertvoll all die Erfahrungen und Lehren waren, die die Streikenden 2018 gewonnen hatten. Nun haben sie noch weitere Erfahrungen gesammelt, die ihnen und anderen für die Zukunft nützen können.

So realisierten diesmal deutlich mehr Streikende als beim letzten Mal das Ausmaß der Krise und die Rolle der Politikerinnen, die die Interessen der Konzerne in dieser Krise schützen – auf Kosten aller Arbeitenden. Insbesondere denjenigen, die auf vielen Streikversammlungen dabei gewesen waren, fiel es so deutlich leichter, das Kräfteverhältnis einzuschätzen. Einigen Streikenden war bewusster als beim Streik davor, dass ein Streik nicht die Angriffe aufhalten kann, dass Streiks aber gerade deshalb umso nötiger sind und größer werden müssen. Mehrere Kolleginnen erklärten am letzten Streiktag, dass man beim nächsten Mal versuchen müsste, mit mehr Krankenhäusern und vielleicht sogar mit Betrieben anderer Branchen zusammen zu streiken.
Dieses Bewusstsein ist umso entscheidender in der heutigen Zeit, in der die kapitalistische Krise immer größer und tiefgreifender wird und größere, entschlossene Kämpfe, über die Betriebe und Branchen hinweg immer notwendiger werden.

Nach zwei langen Streiks mit täglichen Streikversammlungen, dort regelmäßig neu gewählter Streikleitung und demokratischer Kontrolle aller Aspekte des Streiks durch die Gesamtheit der Streikenden werden sie sicher nicht mehr so einfach zulassen, dass in künftigen Auseinandersetzungen andere über ihre Kämpfe entscheiden.

Die Streikenden am Uniklinikum Essen haben nun bereits zwei Mal bewiesen, dass eine wirklich demokratische Leitung eines Streiks sicher nicht einfach durchzusetzen, aber sehr wohl möglich und sehr viel erfolgversprechender für den Streik und seinen Ausgang ist.

Diese Erfahrung ist wichtig, ganz besonders angesichts der Tatsache, dass sich die wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise immer weiter verschärft. Im Moment ist die Resignation zwar sehr groß, es streikt und kämpft fast niemand. Und wenn mal eine Gewerkschaft zum Streik aufruft, dann müssen die gewerkschaftlich Aktiven viel Energie hineinstecken, damit überhaupt jemand streikt, so wie am Klinikum. Doch wenn sich die Krise weiter verschärft, könnte es sehr wohl sein, dass es zu Wutausbrüchen kommt, weil Arbeitende zum Beispiel nicht bis zu den nächsten Tarifverhandlungen auf die nächste Lohnerhöhung warten oder eine zu niedrige Lohnerhöhung nicht hinnehmen wollen. Und wenn die Krise sich sehr zuspitzt, könnte es wie in anderen Ländern auch zu größeren Kämpfen kommen.

Eine solche Zuspitzung der Krise ist sehr wahrscheinlich. Der Konkurrenzkampf zwischen den Konzernen und Staaten und ihr Handelskrieg verschärfen sich bereits. Welche drastischen Verschlechterungen würden auch in Deutschland auf die arbeitende Bevölkerung zukommen, wenn der zunehmende wirtschaftliche und militärische Konflikt mit China auch nur zu größeren Wirtschaftssanktionen gegen China führen würde – ganz zu schweigen von einem größeren Krieg!

Genau für solche Momente ertragen die Kapitalisten in den reichen, imperialistischen Staaten den teuren und für sie nervigen Apparat aus Betriebsräten, Tarifverträgen und Gewerkschaftsfunktionären. Denn dieser gewerkschaftliche Apparat dient seit hundert Jahren dazu, in solchen Momenten die Wutausbrüche der Arbeitenden zu verhindern oder zumindest so zu kanalisieren und unter ihre Kontrolle zu bekommen, dass die herrschende Klasse und ihr System nicht angetastet werden.

Gerade für solche Krisenmomente ist es daher lebenswichtig, dass die Arbeitenden sich eigene Organe schaffen, um ihre Kämpfe selber und unabhängig von der Gewerkschaftsbürokratie zu leiten. Und das passiert am ehesten, wenn sie heute schon die Erfahrung machen, dass sie – von kleinsten Auseinandersetzungen in der Abteilung bis zu größeren Streiks – ihre Bewegungen selber leiten können und müssen.