Das rote Tuch – Nr. 96

  • Hinter den Politikern – die Diktatur der großen Unternehmer

    Die großen Parteien haben in letzter Zeit eigentlich jede Gelegenheit für ihren Wahlkampf genutzt. Doch zu der Ankündigung, dass die 30 größten deutschen Aktien-Konzerne über 31 Milliarden Euro Dividende an ihre Aktionäre verschenken – so viel wie nie zuvor – haben alle Parteien geschwiegen. Dabei sagt diese Nachricht mehr über die Zustände hier aus als ihre ganzen Wahlkampf-Reden. Von diesem Geld hätten fast eine Million Vollzeit-Arbeitsplätze zu Facharbeiterlöhnen geschaffen werden können. Aber nein, die Milliarden fließen in die Taschen der reichsten Aktionäre.

    Der BMW-Konzern zahlt allein den beiden größten Aktionären, den Geschwistern Susanne Klatten und Stefan Quandt, eine Milliarde Euro. Die beiden haben die BMW-Aktien von ihrem Vater Herbert Quandt geerbt, der sein Vermögen ebenfalls von seinem Vater geerbt hat. Einzig dank dieser geerbten Aktien können sich die Geschwister in einem Jahr eine Milliarde Euro des Reichtums aneignen, den zehntausende Arbeiter von BMW, Leiharbeiter und Subfirmen der BMW-Werke produziert haben. Das ist Kapitalismus: Wir arbeiten, und die Kapitalisten werden dadurch reicher.

    Die Quandt-Familie ist ein Beispiel für die reichen Unternehmerfamilien, die sich hinter den anonymen Aktiengesellschaften verbergen. In der Öffentlichkeit kaum bekannt, haben solche Kapitalisten-Familien in vielen deutschen Konzernen das Sagen. Bei BMW kann die Familie Quandt alles entscheiden. Sie entscheidet, wer Manager wird. Sie kann entscheiden, Arbeitsplätze zu vernichten, an Subfirmen auszulagern oder ein ganzes Werk zu schließen. Sie entscheidet, was mit den Profiten passiert.

    Ja, alle reden von Demokratie und dass wir bei den kommenden Wahlen entscheiden, wer uns regiert und wie wir leben. Doch in Wahrheit herrscht eine wirtschaftliche Diktatur. Die wesentlichen Entscheidungen für die Arbeiter, die Wirtschaft und die ganze Gesellschaft werden von einigen hundert Familien in Deutschland getroffen, die die großen Konzerne oder deren Aktien besitzen – und die keiner von uns wählen oder gar kontrollieren kann.

    Und eine Entscheidung mit massiven Folgen ist, dass sie alle ihre Konzerne darauf ausrichten, um jeden Preis noch mehr Gewinn zu machen und diesen als Dividende auszuzahlen. Denn in einer weltwirtschaftlichen Lage, die immer unsicherer wird und wo keiner weiß, was morgen ist, wollen die großen Aktionäre in möglichst kurzer Zeit so viel Gewinn wie möglich aus den Firmen herausziehen.
    Bei der Telekom bekommen die Aktionäre sogar mehr Dividende – also Gewinnbeteiligung – als überhaupt Gewinn gemacht wurde. Und E.ON hat sogar Verlust gemacht und entlässt 1.800 Arbeiter… und zahlt seinen Aktionären trotzdem eine halbe Milliarde Euro „Gewinnbeteiligung“.

    Dieser Drang, aus ihren Betrieben möglichst viel herauszupressen, ist ein wesentlicher Grund dafür, warum die Kapitalisten uns Arbeiter immer mehr ausbeuten. Warum sie ständig Arbeitsplätze vernichten, jeder Minute Arbeitszeit von uns hinterherjagen, warum für sie jede Lohnerhöhung, jede Festeinstellung, selbst jede Erneuerung ihrer Anlagen schon zu viel ist. Das so eingesparte Geld geht an die Aktionäre, die es größtenteils in riskante Spekulationsgeschäfte an der Börse stecken… wodurch sie die nächste Krise beschleunigen. Es ist ein parasitäres, verrücktes und gefährliches System!

    Keine der herrschenden Parteien stellt dieses System in Frage. Für sie alle ist selbstverständlich, dass sie den mächtigen Konzernen zu Diensten sind und ihnen helfen, noch mehr Gewinn zu machen – ganz gleich mit welchen bedrohlichen Folgen für die Arbeiter und die Allgemeinheit.
    CDU, FDP und AfD sagen es ganz offen. Sie predigen uns „Bescheidenheit“ bei Löhnen, Renten und allen nützlichen öffentlichen Diensten, um „der Wirtschaft nicht zu schaden“.

    Die SPD versucht dies etwas zu verschleiern, indem sie die hohen Gehälter der Manager kritisiert, die zum Teil hundert Mal so viel verdienen wie ein Arbeiter. Doch dass die Aktionäre der Konzerne noch tausend (!) Mal mehr aus den Betrieben heraussaugen als ihre Manager, das findet die SPD normal. Und sie findet auch ihre gesellschaftliche Diktatur richtig. Sie findet es normal, dass diese Großaktionäre und ihre Manager mit einer Unterschrift ein Werk schließen können. Normal auch, dass eine Handvoll Kapitalisten entscheiden darf, was wo wieviel produziert wird, einzig unter der Maßgabe des Profits, statt danach, was für die Menschheit notwendig ist. Ja, die SPD lenkt die Aufmerksamkeit auf den eitrigen Pickel der Managergehälter, während das Krebsgeschwür in Ruhe weiter wachsen kann.

    Wir Arbeiter hingegen müssen dieses System in Frage stellen. Die 31 Milliarden Euro Dividende führen uns erneut vor Augen: Alle, die uns erzählen wollen, es gäbe kein Geld für mehr Arbeitsplätze, für mehr Lohn, für mehr Geld im Gesundheitswesen oder Schulen – ja die uns gar erzählen wollen, wir würden die Wirtschaft zugrunde richten, wenn wir deutlich höhere Mindestlöhne oder mit 60 ohne Abzüge in Rente gehen wollen – die lügen!

    Im Gegenteil, jeder Cent, den wir ihnen hierfür abtrotzen, ist für die gesamte Gesellschaft tausendmal nützlicher, als wenn er auf dem Konto der Großaktionäre landet, die damit spekulieren und die Welt nach und nach zugrunde richten. Um dies auf Dauer zu verhindern, muss die Wirtschaft von der Diktatur einiger hundert Familien befreit und unter die Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung gestellt werden.

  • Die syrische Bevölkerung, Opfer der Machtkämpfe beider Seiten

    Über 80 Menschen, unter ihnen viele Kinder, wurden am 4. April bei dem hinterhältigen Nervengas-Angriff auf die syrische Stadt Chan Schaichun auf grausame Art ermordet. Das Regime des syrischen Diktators Assad wird für diesen Anschlag verantwortlich gemacht.
    Zwei Tage später hat daraufhin die US-Armee einen Militärstützpunkt der Regierung Assad mit über 50 Raketen beschossen. Das ist neu. Bisher hatte die USA ausschließlich die Gegenden bombardiert, in denen der Islamische Staat (IS) die Macht hat.
    US-Präsident Trump begründet den Angriff damit, man dürfe solche Taten nicht ungestraft lassen und müsse dafür sorgen, den Schrecken für die Zivilbevölkerung zu beenden. Eine größere Heuchelei kann es kaum geben. In Wahrheit interessieren sich Donald Trump und die Staatschefs der anderen Großmächte einen Dreck um das Leid der syrischen Zivilbevölkerung.

    Sie sind nicht nur maßgeblich für diesen grausamen Krieg verantwortlich. Sie haben auch längst entschieden, dass sie Assad in Syrien an der Macht lassen wollen. Und die jüngsten Raketenangriffe bedeuten keinesfalls, dass sie den skrupellosen Diktator Assad nicht morgen wieder am Tisch der Staatschefs begrüßen werden.

    Als alle Regionalmächte (Saudi-Arabien, Türkei, Iran…) anlässlich der Proteste gegen das Assad-Regime 2011 dschihadistische Milizen bewaffneten, um ihre Interessen in Syrien durchzusetzen, da haben auch die USA und die großen EU-Staaten bei der Bewaffnung dieser sogenannten Rebellen mitgeholfen. Dieser Stellvertreterkrieg hat Syrien in ein unbeschreibliches Chaos gestürzt. In diesem Chaos ist der IS geboren, der sich in dem zerrütteten Land schnell ausbreiten konnte und allen anderen Kriegsparteien Probleme machte.

    Die USA versuchten daraufhin, eine große Koalition gegen den IS auf die Beine zu stellen. Doch auch das gelang nur mäßig.
    Außerdem hielt sich das Assad-Regime weiterhin, und keine der zahlreichen dschihadistischen Rebellengruppen erwies sich als fähig, Assad zu ersetzen und die Macht in Syrien zu übernehmen.

    Nachdem die westlichen Staaten also mehrere Jahre lang dazu beigetragen hatten, Syrien ins Chaos zu stürzen, um angeblich die syrische Bevölkerung von Assad zu befreien, fingen sie nun an, in der Assad-Diktatur doch die für sie beste und stabilste Lösung zu sehen. Das war der Moment (im Jahr 2015), wo Russland eingegriffen hat und seitdem Assad hilft, die verlorenen Gebiete zurückzuerobern.
    Als jetzt die US-Botschafterin der UNO am 30. März erklärte, die Absetzung Assads habe für sie keine Priorität mehr, hat sie nur offen ausgesprochen, was schon lange ein Fakt ist.

    Und was den jüngsten Raketen-Angriff betrifft, so scheint es im Moment am Wahrscheinlichsten, dass er ein Teil des Machtpokers der USA ist, die den Diktator Assad in Syrien anerkennen, ihm und dem Rest der Welt aber gleichzeitig zu verstehen geben wollen, dass die USA noch immer die Mächtigeren sind.

    Bezahlen tut für all diese imperialistischen Manöver die syrische Bevölkerung. Sie ist das Opfer der Bombardierungen und Giftgasangriffe durch die syrische Regierung und Russland. Sie ist das Opfer der terrorisierenden Rebellenmilizen und des Islamischen Staates. Sie ist auch das Opfer all der Bombardierungen durch die USA und mehrere europäische Staaten, die in Syrien im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus Bomben auf Schulen, Dörfer und Flüchtlingslager werfen und jeden Monat hunderte Zivilisten töten.

    Und ganz gleich, wie das Kräftemessen zwischen USA, Assad und Russland weitergeht, haben sie alle der syrischen Bevölkerung keine andere Zukunft zu bieten als weitere Unterdrückung, weiteres Leid und höchstwahrscheinlich weiteren Terror und Krieg – genau wie im Irak.

  • Russland: Wie geht es weiter mit den Protesten gegen die Regierung?

    Es scheint wahrscheinlich, dass der Terroranschlag, der am 3. April in der U-Bahn von St. Petersburg 14 Menschen getötet und viele verletzt hat, tatsächlich das Werk einer islamistischen Terrorgruppe ist. Es wäre nicht der erste Anschlag dieser Art. Doch für Präsident Putin und seinen Premierminister Medwedjew hätte der Anschlag zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können. Bis dahin nämlich hatten sie im Mittelpunkt gestanden. Sie waren die Zielscheibe von Protesten gewesen, die sich gegen die Korruption richteten, die die gesamte Gesellschaft durchdringt, und gegen die Regierung, die diese Korruption schützt und fördert.

    Begonnen hatten die Proteste, nachdem ein Film des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny öffentlich gemacht hatte, wie sich der Premierminister Medwedjew durch Betrug und Korruption ein riesiges Immobilien-Imperium aufgebaut hat. Der Film wurde selbstverständlich sofort verboten, doch im Netz haben ihn sich 14 Millionen Menschen angeschaut – mehr als jeden kommerziellen Film.

    Nawalny selbst hat dabei natürlich seine eigenen Pläne. Er ist Putins gefährlichster Gegenkandidat bei den Wahlen, und Putin hat ihn daher schon mehr als einmal vor Gericht stellen lassen. Doch auch wenn die Presse hier Nawalny gerne als Hoffnung der Demokratie für Russland bezeichnet, nennt Nawalny sich selber Monarchist. Seine Basis ist vor allem das liberale Bürgertum der Großstädte; Anwälte, Händler, Geschäftemacher aller Art, denen er verspricht: Wenn er an die Macht komme, könnten sie sich mehr bereichern und müssten weniger an die korrupten Politiker abgeben. Darüber hinaus vertritt Nawalny eine sehr nationalistische Politik, die sich massiv gegen Einwanderer richtet.

    Bei den großen Demonstrationen jedoch, zu denen sein Film am 26. März geführt hat, kamen neben diesen bürgerlichen Schichten auch viele andere: Zahlreiche Schüler, die die Politik gerade erst entdecken und von der Korruption der Politiker angewidert sind. Außerdem Rentner und Arbeiter. Einige von ihnen ergriffen das Wort in den Versammlungen und redeten über die Probleme, die die arbeitende Klasse direkt betreffen: Über die Löhne, die nicht gezahlt werden, über die Schulen und Straßen, die verfallen… Sie warfen Fragen auf, die weit über das Problem der Korruption hinausgingen.

    Die Regierung hat die Proteste mit Gewalt niederschlagen und 1000 Teilnehmer zeitweilig verhaften lassen. Eine Woche später versuchten erneut Menschen in Moskau zu demonstrieren, wieder wurden dutzende von ihnen verhaftet. Putin und Medwedjew hoffen nun, dass der Terroranschlag in Petersburg und die Jagd nach den Terroristen bei der Bevölkerung alles in Vergessenheit geraten lassen. Ob dies der Fall sein wird, kann niemand mit Sicherheit sagen. Doch sicher ist, dass die arbeitende Bevölkerung ihre täglichen, wachsenden Probleme auf Dauer nicht vergessen kann und keine andere Wahl hat, als ihre Empörung darüber zum Ausdruck zu bringen.

    (nach einem Artikel unserer Genossen von Lutte Ouvrière vom 5. April 2017)

  • Vorschlag der SPD: Arbeiter sollen den Lohn selber zahlen

    Die SPD hat einen neuen Punkt ihres „sozialen“ Wahlprogramms verkündet: Unternehmen, die einen Langzeitarbeitslosen einstellen (jemanden, der länger als ein Jahr arbeitslos war) sollen ein Jahr lang keinen Cent Lohn bezahlen müssen. Der gesamte Lohn soll von der Agentur für Arbeit übernommen werden. In den vier darauffolgenden Jahren soll ebenfalls ein Teil des Lohns von der Agentur für Arbeit bezahlt werden.

    Anders gesagt: Geht es nach der SPD, dann dürfen die Unternehmen demnächst fünf Jahre lang einen Arbeiter in vollen Zügen ausbeuten und aus seiner Arbeitskraft Profit schlagen, doch der Großteil des Lohns wird von dem Geld bezahlt, das wir in die Arbeitslosenversicherung einzahlen. Wir Arbeiter sollen den Unternehmern den Lohn bezahlen!

    Das ist das Wahlprogramm der SPD für die „hart arbeitenden kleinen Leute“.

  • Amazon: eine kranke Gesundheitsolympiade

    Seit einem Jahr gibt es in fünf Versandzentren von Amazon etwas mit dem zynischen Namen „Gesundheitsbonus-System“. Wer den ganzen Monat gesund ist, hat Goldstatus. Wer einen Tag fehlt Silber, bei zwei Tagen Bronze. Ein Bonus von 70-150 € (6 Prozent vom Bruttolohn) ist daran gekoppelt. Je schlechter der Medaillenspiegel, desto weniger Bonus bekommt man. Nicht nur das! Nur ein Teil des Bonus ist an die eigenen Krankentage gekoppelt, der andere Teil an die Krankentage der Gruppe, in der man arbeitet.
    Die Amazon-Bosse hoffen, dass sie mit einer Prämie zum mageren Lohn und mit Gruppenzwang das erreichen, was sie mit all der Leiharbeit und den Einschüchterungsversuchen der Chefs bislang nicht geschafft haben: Dass sich die Arbeiter auch noch unter Schmerzen zur Arbeit schleppen.

    Und Amazon ist kein Einzelfall. Auch Daimler, Grohe, Opel und andere Konzerne versuchen es mit solchen Methoden. All diese Konzerne jammern, sie müssten schließlich etwas gegen den „zu hohen Krankenstand“ tun. Was meinen sie damit: Dass wir Arbeiter nicht genug arbeiten kommen?
    Wir Arbeitenden malochen mehr als genug. Und wenn den Bossen so viel an unserer Gesundheit liegt, dann sollen sie für gesündere Arbeitsbedingungen sorgen.

  • Knorr-Bremse: Bei der Ausbeutung kennen sie nur das Gaspedal

    Der Konzern „Knorr-Bremse“, der Bremsen für Züge und andere Nutzfahrzeuge herstellt, will alle 150 Arbeiter seiner Berliner Tochterfirma Hasse&Wrede entlassen.

    Vor zehn Jahren hatten sie den Arbeitern gesagt: „Wenn ihr bereit seid, 42 Stunden zu arbeiten, aber für die gleiche Bezahlung wie vorher für 35 Stunden, dann könnt ihr eure Arbeitsplätze dauerhaft sichern.“ Und jetzt, nachdem sie die Arbeiter jahrelang zu diesen Bedingungen ausgebeutet haben, will Knorr-Bremse das Werk schließen und die Produktion nach Tschechien verlagern, um dort die nächsten Arbeiter zu noch schlechteren Bedingungen auszubeuten. Gleichzeitig verlangt Knorr-Bremse von den Arbeitern einer anderen Tochterfirma, PowerTech, dass sie nun 42 Stunden die Woche arbeiten. Natürlich… um ihre Arbeitsplätze zu sichern!

    Knorr-Bremse geht es prächtig. Der Konzern hat im letzten Jahr über eine halbe Milliarde Euro Reingewinn gemacht. Und sein Besitzer, der Milliardär Heinz Hermann Thiele, hat allein im letzten Jahr sechs Firmen aufgekauft: Und das Geld dafür will er aus seinen Arbeitern herausholen. Dafür sollen 150 Arbeiter ihren Job verlieren, und mehrere hundert Arbeiter zig Stunden pro Woche zusätzlich umsonst arbeiten!
    Am 17. März gab es eine erste gemeinsame Protestaktion, mit Arbeitern beider Tochterfirmen, mit Festangestellten und Leiharbeitern. Sie sagen sich: Auch wenn wir die Werksschließung nicht verhindern, wollen wir zumindest zu besseren Bedingungen gehen – und vor allem mit erhobenem Kopf.

  • Nicht zu viele Patienten, sondern zu wenige Ärzte

    Seit 1. April sollen die Notaufnahmen der Krankenhäuser jeden wegschicken, der nicht dringend vom Krankenhaus behandelt werden muss. Die Notaufnahmen wären zu voll, argumentieren gemeinsam die Regierung, Krankenkassen und Ärzteverbände, die diese Regelung beschlossen haben.
    In Zukunft sollen die Ärzte in der Notaufnahme innerhalb von zwei Minuten (!) entscheiden, ob ein Patient dort behandelt werden muss, und ansonsten sollen sie ihn zum Hausarzt oder hausärztlichen Notdienst schicken, wo sie oft weniger gründlich untersucht werden.
    Selbst bei Patienten, die „nur“ mit starken Bauchschmerzen in die Notaufnahme kommen, kann kein Arzt innerhalb von zwei Minuten entscheiden, ob er sie gefahrlos zum Hausarzt schicken kann. Viele Ärzte der Notaufnahmen haben daher bereits angekündigt, dass sie die unverantwortliche Regelung boykottieren und weiter alle Patienten behandeln wollen. Und einige haben hinzugefügt: „Wir haben nicht zu viele Patienten in den Notaufnahmen, sondern zu wenige Ärzte.“

  • Envio: Unternehmer sind kriminell… außer vor dem Gesetz

    Nach fast 5 Jahren ist das Verfahren gegen die Manager des Dortmunder Entsorgungsbetriebs Envio einfach eingestellt worden. Jahrelang hatten diese Manager dutzende Arbeiter mit PCB vergiftet, weil sie bei Schutzkleidung und Absauganlagen sparten oder ausgelaufenes PCB mit einfachen Lappen wegwischen ließen. Manche Arbeiter hatten 25.000mal so viel PCB im Blut wie erlaubt und leiden unter Lungenschäden, Kopfschmerzen, Haarausfall und Hautkrankheiten. Doch für das Gericht sind die Envio-Manager unschuldig. Die Krankheiten der Arbeiter, so ihr zynisches Urteil, könnten ja auch andere Ursachen haben als das PCB!

    Auch für das verseuchte Gelände und Grundwasser werden die Manager nicht verurteilt. Laut dem Urteil hätte die Verseuchung nämlich auch passieren können, wenn das Unternehmen „nur“ die legalen Mengen an PCB in die Umwelt geleitet hätten. Die 7,5 Millionen Euro für die Entgiftung des Geländes müssen damit die Öffentlichen Kassen aus Steuergeldern bezahlen.

    Falls noch irgendjemand Zweifel hatte: Gerichte sind nicht für die Gerechtigkeit da, sondern für das Recht der Unternehmer.

  • Eine Leserin schreibt: Nur schlechte Gesetze dürfen bleiben

    Ich bin seit zehn Jahren Krankenschwester am Essener Uniklinikum. Doch wie die meisten meiner Kolleginnen habe ich dort keinen Arbeitsvertrag, sondern bin Vereinsmitglied bei der Schwesternschaft vom Deutschen Roten Kreuz und werde von ihr an das Klinikum ausgeliehen. Bei der Einstellung hat man mir gesagt, dies wäre die einzige Möglichkeit, um als Krankenschwester am Klinikum anzufangen. Im Alltag auf der Station merkt man auch keinen Unterschied zwischen uns DRK-Schwestern und denen, die beim Uniklinikum angestellt sind. Wir bekommen auch das gleiche Gehalt. Doch weil ich offiziell Vereinsmitglied und keine Arbeitnehmerin bin, habe ich keinen Arbeitsvertrag, keinerlei Kündigungsschutz, kein Recht auf einen Betriebsrat, kein Recht, vor dem Arbeitsgericht zu klagen. Ich habe nicht mal das grundgesetzliche Recht zu streiken. Bei jedem Warnstreik für mehr Gehalt, mehr Urlaub oder gegen längere Arbeitszeiten hat uns unsere Oberin (so heißt die Leiterin beim DRK, wie bei den Nonnen) gepredigt, das wir nicht streiken dürften.

Kein Artikel in dieser Ausgabe.