Das rote Tuch – Nr. 65

  • Wie es nach dem Sturm weitergeht – und weitergehen könnte

    Nach dem Sturm, der Pfingstmontag 6 Menschen getötet und das Ruhrgebiet verwüstet hat, kehrt langsam wieder so was wie Normalität ein. Dass dies so schnell möglich war, ist auch der spontanen Hilfe vieler Nachbarn und zum Teil Fremder zu verdanken, die sich zusammentaten, um Äste von den Straßen zu räumen, Wohnungen trocken zu legen, kleinere Bäume zu zerlegen.

    Und vor allem ist es den Arbeitenden des Öffentlichen Dienstes zu verdanken. Die Arbeiter von Feuerwehr, THW und Landschaftsbetrieben, die Monteure der öffentlichen Verkehrsbetriebe, sie alle haben Tag und Nacht bis zur Erschöpfung gearbeitet, so dass schon nach 2-3 Tagen fast alle Straßen sowie der Nahverkehr benutzbar und die größten Gefahren beseitigt waren.

    All das ist ihnen gelungen, obwohl sie überall mit fehlendem Personal und fehlender Ausrüstung zu kämpfen hatten. Ja, wenn der Sturm eines ganz deutlich gemacht hat, dann wie lebenswichtig diese öffentlichen Dienste sind! Und wie kriminell es werden kann, wenn die Regierungen hier immer weiter sparen: wenn noch mehr Feuerwehrwachen schließen, noch weniger Grünpfleger den Zustand der Bäume kontrollieren, noch weniger Arbeiter Züge und Gleise reparieren….

    Der Sturm hat auch vor Augen geführt, wie viel besser diese Öffentlichen Dienste – trotz aller Einsparungen – im Vergleich zu den Bereichen funktionieren, die privaten Firmen überlassen sind. Während die Deutsche Bahn sich trotz Personal- und Materialmangel bemühte, allen kostenlos eine Weiterfahrt mit Taxis oder Bussen zu ermöglichen, hieß es für die Fahrgäste mancher privatisierter Bahnlinien einfach „Wir fahren derzeit nicht. Bitte wenden Sie sich in allen Fragen an die Deutsche Bahn.“ Andere, wie Abellio, waren gar nicht zu erreichen. Und was die Taxigesellschaften angeht, so nahmen diese Fahrgäste mit DB-Gutscheinen nur dann, wenn sie gerade keine noch profitableren Fahrten in Aussicht hatten. Egal, dass dadurch die Fahrgäste an den Hauptbahnhöfen drei bis vier Stunden warten mussten!

    Wie sollte es auch anders sein? In der kapitalistischen Wirtschaft steht jeder Betrieb in Konkurrenz und lebt davon, eben nicht an andere zu denken, sondern nur an seine Interessen. In dieser Logik sind auch Naturkatastrophen nur eine „neue wirtschaftliche Lage“, durch die man als Firma bloß kein Geld verlieren, sondern am liebsten noch Profit machen möchte, wie heute Baumärkte oder Handwerksbetriebe. In einer solchen Logik können Verantwortung für die Gemeinschaft oder Hilfsbereitschaft keinen Platz haben.

    Und diese kapitalistische Logik wird viele in der arbeitenden Bevölkerung vor allem jetzt, wo der Sturm vorbei ist, mit voller Wucht treffen. Denn für sie beginnt nun der Kampf mit ihren Versicherungen oder ihren Vermietern, den Immobilienfirmen, die alles versuchen werden, um die Schäden wenig oder gar nicht zu erstatten.

    Wie viele – insbesondere der Ärmsten – werden am Ende ohne Reparaturen in ihrer beschädigten oder vor Nässe schimmelnden Wohnung sitzen! Wie viele werden nur wenig oder gar nichts für zerquetsche Autos und beschädigte Häuser erhalten! Für wie viele wird die Gier dieser Versicherungs- und Miethaie eine größere Katastrophe sein als der Sturm selber!
    Der Staat hätte die Mittel, in einer solchen Situation gegen den Indvididualismus und Egoismus der Privatbetriebe vorzugehen. Er hätte in der Woche nach dem Sturm die Bus- und Autovermietungen sowie Taxigesellschaften verpflichten können, gegen eine geringe Aufwandsentschädigung Fahrzeuge und Fahrer zur Verfügung zu stellen. Damit hätte die Bahn all die ausgefallenen Züge kostengünstig und ohne stundenlange Warteschlangen ersetzen können.

    Und um nicht jeden Geschädigten in der ungleichen Auseinandersetzung mit den Versicherungen und Vermietern allein zu lassen, könnte er heute Beratungsstellen einrichten, die sich um eine schnelle Schadensregelung im Sinne der Opfer kümmern. Auch könnte er alle Schadensmeldungen zentral sammeln und organisieren, dass die Handwerksbetriebe diese nach Dringlichkeit und zu angemessenen Preisen abarbeiten.

    Nicht zuletzt könnte der Staat problemlos dafür sorgen, dass die Autovermietungen denen, deren Auto zerstört wurde, übergangsweise Autos zum Selbstkostenpreis zur Verfügung stellen. Und sicherstellen, dass die Autohändler ihnen den Neukauf eines Autos zu gemäßigten Preisen und mit zinslosen Raten ermöglichen.

    All dies würde die vielen Sorgen und finanziellen Probleme bedeutend verringern, mit denen heute vor allem die Geschädigten aus der arbeitenden Bevölkerung konfrontiert sind – alle diejenigen nämlich, die kein Geld für Rundum-Versicherungen, teure Autos und Handwerkerrechnungen haben.
    Doch dafür dürfte der Staat sich nicht darauf beschränken, mit öffentlichen Mitteln gegen die Sturmfolgen vorzugehen. Er müsste darüber hinaus das Recht der privaten Firmen antasten, an den Katastrophen zu verdienen und sie stattdessen dazu verpflichten, auch ihre Mittel in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Gerade dazu aber ist der heutige Staat nicht bereit.

  • Irak: Das heutige Chaos ist das Ergebnis des imperialistischen Krieges

    Elf Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins und nach Jahren US-amerikanischer Besatzung ist der Irak dabei, tiefer denn je im Chaos zu versinken – in einem Chaos, das sich zu einem religiösen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten zu entwickeln droht.
    Der fundamentalistischen Gruppe ISIS (Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien) ist es in den letzten Monaten gelungen, größere Teile der vorwiegend sunnitischen Provinzen im Norden unter ihre Kontrolle zu bekommen. Am 10. Juni hat sie die zweitgrößte Stadt des Iraks Mossul erobert und hat nun eine Offensive Richtung Bagdad begonnen.

    Die irakische Armee, von der US-Regierung ausgebildet und für teures Geld ausgestattet, hat sich als vollkommen unfähig erwiesen, sich den Milizen entgegen zu stellen. Meist sind ihre Soldaten lieber desertiert oder geflohen und haben Ausrüstung und Militärstützpunkte den islamistischen Milizen überlassen.
    Geholfen hat den Milizen sicher auch der Unmut der sunnitischen Bevölkerung über die Regierung von Premierminister Nuri Al-Maliki, die aus zwei religiösen Parteien besteht – und zwar beides schiitische Parteien, während die Schiiten nur 54% der irakischen Bevölkerung ausmachen.

    Diese Einteilung der Bevölkerung in Religionsgruppen (Schiiten, Sunniten,…) haben die Herrschenden im Irak schon seit langem dazu genutzt, um ihren jeweiligen Einfluss in der irakischen Bevölkerung zu festigen. So hat sich das Regime von Saddam Hussein zum Beispiel besonders auf die sunnitische Minderheit gestützt, aus der er stammte – auch wenn offiziell Religion und Staat getrennt waren.
    Vor allem jedoch haben ab 2003 die amerikanischen Besatzer gezielt den religiösen Hass geschürt. Das war ihre Methode, um ein Fundament für die neue Regierung zu schaffen, die sie nach dem Sturz von Saddam Hussein einsetzten. Die USA verboten seine Partei, die Baath-Partei, und lösten die irakische Armee auf. Anstelle dessen errichteten sie ein neues Regime, das von Anfang an eine religiöse, konfessionelle Grundlage hatte. Das von den USA eingeführte Regime berief und beruft sich bis heute auf das islamische Gesetz, die Scharia, und stützte sich ausschließlich auf die schiitischen Parteien und Milizen.

    Diese Politik der USA hat die religiösen Spannungen dramatisch verschärft. Und ihr erstes Ergebnis war, dass schon 2006 ein blutiger Bürgerkrieg zwischen schiitischen und sunnitischen Milizen begann, der bis 2009 dauerte. In diesen ersten Jahren der amerikanischen Besatzung gründete sich übrigens auch ISIS.

    Nachdem sich die Lage vorübergehend etwas beruhigt hatte, haben sich seit einiger Zeit die religiösen Auseinandersetzungen erneut verschärft. Die Regierung ist geschwächt, weil sie seit dem Abzug der US-Soldaten Ende 2011 alleine ihre Macht durchsetzen muss – und zwar gegen eine wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Hinzu kommt der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien. ISIS hat von Beginn an Kämpfer nach Syrien geschickt. Wie alle fundamentalistischen Kämpfer haben sie dort viel Unterstützung und Geld bekommen, und zwar von all den Staaten, die im syrischen Konflikt eingreifen wollen und dafür Truppen gesucht haben: die Türkei, Saudi-Arabien, Katar… Diese Staaten haben ISIS und den anderen Milizen all die Waffen geliefert, die sie brauchten, und zwar mit der wohlwollenden Zustimmung der USA und der westlichen Staaten insgesamt, die alle froh über diese Möglichkeit waren, das Regime von Assad zu schwächen.
    Die USA haben mit dieser Politik in Syrien selber zu dem beigetragen, was heute im Irak passiert. Denn diese nun gut ausgerüsteten und kampferfahrenen fundamentalistischen Milizen sind aus Syrien in den Irak zurückgekehrt und kämpfen hier. Unter ihren Angriffen droht das Regime, das die USA an die Macht gebracht haben, zusammenzubrechen.

    Ganz offensichtlich wissen die USA nicht mehr wirklich, wie sie in dem Chaos überhaupt noch eingreifen sollen; in diesem Chaos, zu dessen Entstehung sie selber beitragen haben; in diesem Zerfall einer ganzen Region, den sie verursacht haben, aber den sie selber nicht mehr unter Kontrolle haben. So wenig, dass sie sogar über ein Bündnis mit dem Iran nachdenken, nach all den Jahren, in denen sie mit dem iranischen Regime auf Kriegsfuß standen.

    In der Zwischenzeit bezahlt die einfache Bevölkerung auf fürchterliche Weise die Folgen dieser zynischen Politik und der amerikanischen Militärintervention, die ihnen – welch ein schlechter Scherz! – Freiheit und Fortschritt versprochen hatte. Zerstörung, Verarmung, Verfolgung, Herrschaft religiöser Milizen, Ausbreitung mittelalterlicher Weltanschauungen und Zerfall des Landes, das ist die Bilanz ihres imperialistischen Kriegseinsatzes.

    (nach einem Artikel unserer französischen Genossen von Lutte Ouvrière vom 20.6.2014)

  • Flughafen Düsseldorf: Arbeiten auf Abflug?

    8 Tage weniger frei im Jahr, bei Bedarf kurzfristig eine Stunde länger arbeiten und die Krönung: ein Schichtplan mit je fünf (!) verschiedenen Anfangszeiten bei Früh- und Spätschicht. Das ist der neue Dienstplan in der Gepäckverladung am Düsseldorfer Flughafen.

    Erst drei Wochen vorher erfahren die Arbeitenden nun, ob sie um 4,5,6,7 oder 8 Uhr morgens anfangen und wann zwischen 12 und 16 Uhr sie entsprechend Feierabend haben. Dasselbe bei der Spätschicht. Bislang war das anders. Da gab es nur zwei verschiedene Anfangszeiten, und die kannte man für das ganze Jahr im Voraus. Doch weil erst vier Wochen vorher klar ist, wie viele Flugzeuge wann genau starten und landen, wollen die Flughafenbesitzer (Hochtief und die Stadt Düsseldorf) die Arbeitszeiten kurzfristig daran anpassen können.

    Mit dem neuen Dienstplan können sie nun genau rechnen und stets nur so viele Arbeiter kommen lassen, dass diese immer bis zum Rand voll Arbeit haben und bloß nicht mal einen Moment wenig zu tun haben. Dadurch sparen sie Arbeitsplätze – auf dem Rücken der Lebensplanung und Freizeit der Arbeiter.

    Es ist wie in vielen Betrieben: Die Bosse bezahlen die Arbeitenden 8 Stunden am Tag, aber möchten, dass sie ihr ganzes Leben, ihre ganze Freizeit 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr danach ausrichten, wie es dem Betrieb am besten passt – und wie er am meisten Gewinne machen kann.

    Wir Arbeitenden sehen das anders: Nur dank unserer Arbeit existieren die Betriebe und machen Gewinne. Und das Mindeste ist, dass die Arbeit uns auch ermöglicht, ein vernünftiges und planbares Leben außerhalb der Arbeitszeit zu führen.

  • Ein Blick in die Zukunft

    Schon wieder hat BMW große Summen an seine Aktionäre verteilt, vor allem an seine drei größten Aktionäre, die drei Mitglieder der Familie Quandt. In nur drei Jahren ist damit die unglaubliche Summe von zwei Milliarden (!) Euro an Firmengeldern als „Gewinnbeteiligung“ auf die privaten Konten der Familie Quandt gewandert, deren einziges Verdienst es ist, die Erben von bereits reichen Eltern zu sein.
    2 Milliarden Euro, herausgepresst aus den Muskeln und den Nerven ihrer über hunderttausend Arbeiter, erbeutet durch schneller laufende Fließbänder, weggefallene Pausen, extreme Flexibilisierung der Arbeitszeit und schlecht bezahlte Zulieferer. 2 Milliarden Euro, die die Familie Quandt für nichts Nützliches verwendet, sondern einzig dazu, andere Aktien zu kaufen und zu spekulieren.
    Die Arbeiter hingegen stellen nützliche Autos her und letztlich alle nützlichen Dinge in dieser Gesellschaft. Und wenn diese riesigen Reichtümer der Allgemeinheit zu Gute kämen, statt solch nutzlose Parasiten zu mästen, dann stünde der Menschheit eine ganz neue Zukunft offen.

  • „Flexibel“ arbeiten bis zum Ende? Nein, danke!

    Im Schatten der Rente mit 63 hat die Regierung still und heimlich die Einführung einer „Flexi-Rente“ beschlossen. Und das heißt nichts anderes als: Arbeiten über das Rentenalter hinaus, sprich arbeiten mit 68 oder 70!

    Bislang gibt es dabei noch eine Reihe Einschränkungen, insbesondere den Kündigungsschutz. Dadurch ist es für Unternehmen nicht besonders interessant, Arbeiter über das Rentenalter hinaus zu beschäftigten – außer mit einem Minijob. Diese Einschränkungen aber will die CDU-SPD-Regierung nun abschaffen. In Zukunft „dürfen“ sich dann Arbeiter in Teilzeit oder sogar Vollzeit bis zu ihrem Tod ausbeuten lassen, wenn ihre Rente ansonsten nicht zum Leben reicht. Das sind die wahren Rentenpläne der Herrschenden.

    Hinter fortschrittlich klingenden Namen verstecken sie Angriffe, die uns Arbeitende weit in die Vergangenheit zurückschleudern. Unsere Zukunftspläne sehen anders aus: Wir wollen nicht arbeiten bis zum Ende, sondern eine würdige Rente für alle – allerspätestens mit 63 – damit wir auch etwas haben von unserem verdienten Lebensabend.

  • Milliardengeschäft mit dem Tod

    SPD-Vizekanzler Gabriel tut so, als wäre er ganz erschrocken darüber, wie viele Waffen Deutschland exportieren würde. Ja, es sind viele – und es werden immer mehr. Um 24% haben die deutschen Rüstungskonzerne wie EADS, Rheinmetall, KMW und ThyssenKrupp allein im letzten Jahr ihre Waffenverkäufe gesteigert, auf 5,8 Milliarden Euro. Damit ist Deutschland der größte Waffenexporteur Europas und der drittgrößte der Welt.
    Doch Gabriel und die anderen Regierungsmitglieder brauchen nicht so zu tun, als wüssten sie davon nichts. Sie genehmigen diese Waffenverkäufe nicht nur. Sie sorgen sogar dafür, dass diese Konzerne diese Aufträge überhaupt erst bekommen. Und das fängt bei jedem Staatsbesuch an. Als Merkel letztes Mal den saudi-arabischen Diktator besuchte, waren in ihrer Begleitung wie zufällig Manager der Rüstungskonzerne ThyssenKrupp, EADS und MTU.
    Während Merkel, Gabriel und Co. uns hier was von Demokratie erzählen und die schlimmen Diktatoren verurteilen, ermöglichen sie eben diesen Diktatoren, sich an der Macht zu halten, ihre Bevölkerung zu unterdrücken und Kriege zu führen – weil dadurch die deutsche Rüstungsindustrie ein immer größeres Geschäft mit ihnen machen kann.

  • Mindestlohn beim Spitzen schneiden

    „Wenn wir nächstes Jahr wegen dem Mindestlohn 8,50 Euro statt wie bisher 7,50 Euro zahlen müssen, dann müssen wir die Preise für die Haarschnitte erhöhen“, behauptet Klier, eine der großen Frisörketten mit 800 Filialen (Klier, Hairworld, Cut & Color…) sowie dem Frisörbedarf Cosmo.
    „Wenn die Löhne steigen, steigen die Preise“ – dieses Argument der Bosse ist so alt wie Methusalem. Es ist ein uraltes Argument in dem ewigen Kampf der Kapitalisten gegen unsere Löhne, mit dem sie schon immer die wichtigste Tatsache zu verschleiern versucht haben: nämlich dass es da auch noch die Profite gibt.
    Und was die angeht, so gilt nicht nur für Klier: Einmal die Spitzen der Profite abschneiden – und schon reicht’s für die Lohnerhöhung, auch ohne dass die Preise steigen.

  • Evonik: Schluss mit dem Arbeiter-Roulette!

    Dutzende Leiharbeiter will Evonik im Chemiepark Marl vor die Tür setzen. Viele von ihnen sind schon fast zwei Jahre da, manche sogar noch länger. Die Begründung von Evonik: Laut Betriebsvereinbarung muss Evonik die Azubis nach der Ausbildung übernehmen, und deshalb sei kein Platz mehr für die Kollegen mit Leiharbeitsverträgen.

    Evonik versucht, Leiharbeiter gegen Azubis auszuspielen – letztlich zum Nachteil von beiden. Denn am Ende hat keiner einen festen Job. Es läuft nämlich immer gleich: Die Azubis werden nur sechs Monate oder höchstens mal ein Jahr übernommen. Und dann werden sie entlassen, und dafür kommen wieder Leiharbeiter. Und manchmal kommen sogar die ehemaligen Azubis wieder… als Leiharbeiter.

    Es gibt keinen Grund, dass sich die einen Arbeiter gegen die anderen ausspielen lassen. Evonik ist ein milliardenschwerer Konzern, da sind problemlos feste Jobs für alle möglich. Und nebenbei: Allein die 3,5 Millionen Euro, die Evonik gerade ausgegeben hat, um die Essener Gruga-Halle vollständig im „Evonik-Design“ zu dekorieren und dort zwei Tage seine Aktionärsversammlung abzuhalten, würden reichen, um alle betroffenen Leiharbeiter und Azubis mindestens ein Jahr weiter zu beschäftigen.

  • Eine merkwürdige Großzügigkeit

    Die meisten Arbeitenden konnten am Dienstag nach dem Sturm gar nicht zur Arbeit gelangen oder standen erst einmal drei oder vier Stunden im Stau. Doch viele Unternehmen haben erklärt, dass sie in dieser besonderen Situation „großzügig“ sein werden. Die Arbeiter „dürfen“ diese Stunden nacharbeiten oder dafür einen Urlaubstag nehmen. Das aber heißt nichts anderes, als dass die Arbeitenden diese verlorenen Stunden bezahlen.
    Wenn Bäume und Staus den Weg zu ihren Betrieben komplett versperren, dann ist das das Problem der Unternehmer, nicht der Arbeitenden. Doch wie immer halten es die Unternehmer für selbstverständlich, dass die Arbeitenden ihre Probleme bezahlen; sodass diese erst vier Stunden für den Betrieb im Stau standen, um diese vier Stunden dann später noch einmal gratis zu arbeiten. Das verstehen die Bosse unter „großzügig sein“.

  • Aus 9,50 Euro mach 2,50 Euro

    9,50 Stundenlohn auf dem Papier – aber in Wirklichkeit wieder 2,50 Euro Stundenlohn? Was die Arbeitenden derzeit bei der Firma Mesenhohl erleben, gibt eine kleine Idee davon, worauf wir uns mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns einstellen können.

    Jahrelang hatte Mesenhohl, die für die Stadt Essen die Schul- und Behindertenbusse fahren, seinen 200 Arbeitern dreiste 2,88 Euro die Stunde gezahlt. Im letzten Jahr allerdings zogen 30 Arbeitende dagegen vor Gericht und gewannen: Im Schnitt 15.000 Euro musste Mesenhohl ihnen nachzahlen. Ermutigt klagten daraufhin immer mehr Kollegen.

    Damit die Arbeiter sie nicht länger verklagen können, hat Mesenhohl nun einen schriftlichen Arbeitsvertrag mit offiziell 9,50 Euro Stundenlohn eingeführt. Doch dafür wollen sie einen Großteil der Arbeiten plötzlich nicht mehr als Arbeitszeit zählen, zum Beispiel alle Fahrten mit dem leeren Bus vom Busdepot zur Schule und wieder zurück, das Abholen der Begleitperson… so dass die Fahrer doch wieder auf einen mickrigen realen Stundenlohn zwischen 5 Euro und 2,50 Euro kommen.
    Ähnliche Erfahrungen machen Arbeiter in Branchen wie dem Reinigungsdienst, in denen tarifliche Mindestlöhne eingeführt wurden. Denn (gesetzliche) Löhne auf dem Papier reichen nicht. Wie viel Lohn die Arbeitenden tatsächlich bekommen, entscheidet letztlich das Kräfteverhältnis in den Betrieben.

Kein Artikel in dieser Ausgabe.