Leitartikel
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Wie es nach dem Sturm weitergeht – und weitergehen könnte
Nach dem Sturm, der Pfingstmontag 6 Menschen getötet und das Ruhrgebiet verwüstet hat, kehrt langsam wieder so was wie Normalität ein. Dass dies so schnell möglich war, ist auch der spontanen Hilfe vieler Nachbarn und zum Teil Fremder zu verdanken, die sich zusammentaten, um Äste von den Straßen zu räumen, Wohnungen trocken zu legen, kleinere Bäume zu zerlegen.
Und vor allem ist es den Arbeitenden des Öffentlichen Dienstes zu verdanken. Die Arbeiter von Feuerwehr, THW und Landschaftsbetrieben, die Monteure der öffentlichen Verkehrsbetriebe, sie alle haben Tag und Nacht bis zur Erschöpfung gearbeitet, so dass schon nach 2-3 Tagen fast alle Straßen sowie der Nahverkehr benutzbar und die größten Gefahren beseitigt waren.
All das ist ihnen gelungen, obwohl sie überall mit fehlendem Personal und fehlender Ausrüstung zu kämpfen hatten. Ja, wenn der Sturm eines ganz deutlich gemacht hat, dann wie lebenswichtig diese öffentlichen Dienste sind! Und wie kriminell es werden kann, wenn die Regierungen hier immer weiter sparen: wenn noch mehr Feuerwehrwachen schließen, noch weniger Grünpfleger den Zustand der Bäume kontrollieren, noch weniger Arbeiter Züge und Gleise reparieren….
Der Sturm hat auch vor Augen geführt, wie viel besser diese Öffentlichen Dienste – trotz aller Einsparungen – im Vergleich zu den Bereichen funktionieren, die privaten Firmen überlassen sind. Während die Deutsche Bahn sich trotz Personal- und Materialmangel bemühte, allen kostenlos eine Weiterfahrt mit Taxis oder Bussen zu ermöglichen, hieß es für die Fahrgäste mancher privatisierter Bahnlinien einfach „Wir fahren derzeit nicht. Bitte wenden Sie sich in allen Fragen an die Deutsche Bahn.“ Andere, wie Abellio, waren gar nicht zu erreichen. Und was die Taxigesellschaften angeht, so nahmen diese Fahrgäste mit DB-Gutscheinen nur dann, wenn sie gerade keine noch profitableren Fahrten in Aussicht hatten. Egal, dass dadurch die Fahrgäste an den Hauptbahnhöfen drei bis vier Stunden warten mussten!
Wie sollte es auch anders sein? In der kapitalistischen Wirtschaft steht jeder Betrieb in Konkurrenz und lebt davon, eben nicht an andere zu denken, sondern nur an seine Interessen. In dieser Logik sind auch Naturkatastrophen nur eine „neue wirtschaftliche Lage“, durch die man als Firma bloß kein Geld verlieren, sondern am liebsten noch Profit machen möchte, wie heute Baumärkte oder Handwerksbetriebe. In einer solchen Logik können Verantwortung für die Gemeinschaft oder Hilfsbereitschaft keinen Platz haben.
Und diese kapitalistische Logik wird viele in der arbeitenden Bevölkerung vor allem jetzt, wo der Sturm vorbei ist, mit voller Wucht treffen. Denn für sie beginnt nun der Kampf mit ihren Versicherungen oder ihren Vermietern, den Immobilienfirmen, die alles versuchen werden, um die Schäden wenig oder gar nicht zu erstatten.
Wie viele – insbesondere der Ärmsten – werden am Ende ohne Reparaturen in ihrer beschädigten oder vor Nässe schimmelnden Wohnung sitzen! Wie viele werden nur wenig oder gar nichts für zerquetsche Autos und beschädigte Häuser erhalten! Für wie viele wird die Gier dieser Versicherungs- und Miethaie eine größere Katastrophe sein als der Sturm selber!
Der Staat hätte die Mittel, in einer solchen Situation gegen den Indvididualismus und Egoismus der Privatbetriebe vorzugehen. Er hätte in der Woche nach dem Sturm die Bus- und Autovermietungen sowie Taxigesellschaften verpflichten können, gegen eine geringe Aufwandsentschädigung Fahrzeuge und Fahrer zur Verfügung zu stellen. Damit hätte die Bahn all die ausgefallenen Züge kostengünstig und ohne stundenlange Warteschlangen ersetzen können.Und um nicht jeden Geschädigten in der ungleichen Auseinandersetzung mit den Versicherungen und Vermietern allein zu lassen, könnte er heute Beratungsstellen einrichten, die sich um eine schnelle Schadensregelung im Sinne der Opfer kümmern. Auch könnte er alle Schadensmeldungen zentral sammeln und organisieren, dass die Handwerksbetriebe diese nach Dringlichkeit und zu angemessenen Preisen abarbeiten.
Nicht zuletzt könnte der Staat problemlos dafür sorgen, dass die Autovermietungen denen, deren Auto zerstört wurde, übergangsweise Autos zum Selbstkostenpreis zur Verfügung stellen. Und sicherstellen, dass die Autohändler ihnen den Neukauf eines Autos zu gemäßigten Preisen und mit zinslosen Raten ermöglichen.
All dies würde die vielen Sorgen und finanziellen Probleme bedeutend verringern, mit denen heute vor allem die Geschädigten aus der arbeitenden Bevölkerung konfrontiert sind – alle diejenigen nämlich, die kein Geld für Rundum-Versicherungen, teure Autos und Handwerkerrechnungen haben.
Doch dafür dürfte der Staat sich nicht darauf beschränken, mit öffentlichen Mitteln gegen die Sturmfolgen vorzugehen. Er müsste darüber hinaus das Recht der privaten Firmen antasten, an den Katastrophen zu verdienen und sie stattdessen dazu verpflichten, auch ihre Mittel in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Gerade dazu aber ist der heutige Staat nicht bereit.
Internationales
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Irak: Das heutige Chaos ist das Ergebnis des imperialistischen Krieges
Elf Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins und nach Jahren US-amerikanischer Besatzung ist der Irak dabei, tiefer denn je im Chaos zu versinken – in einem Chaos, das sich zu einem religiösen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten zu entwickeln droht.
Der fundamentalistischen Gruppe ISIS (Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien) ist es in den letzten Monaten gelungen, größere Teile der vorwiegend sunnitischen Provinzen im Norden unter ihre Kontrolle zu bekommen. Am 10. Juni hat sie die zweitgrößte Stadt des Iraks Mossul erobert und hat nun eine Offensive Richtung Bagdad begonnen.Die irakische Armee, von der US-Regierung ausgebildet und für teures Geld ausgestattet, hat sich als vollkommen unfähig erwiesen, sich den Milizen entgegen zu stellen. Meist sind ihre Soldaten lieber desertiert oder geflohen und haben Ausrüstung und Militärstützpunkte den islamistischen Milizen überlassen.
Geholfen hat den Milizen sicher auch der Unmut der sunnitischen Bevölkerung über die Regierung von Premierminister Nuri Al-Maliki, die aus zwei religiösen Parteien besteht – und zwar beides schiitische Parteien, während die Schiiten nur 54% der irakischen Bevölkerung ausmachen.Diese Einteilung der Bevölkerung in Religionsgruppen (Schiiten, Sunniten,…) haben die Herrschenden im Irak schon seit langem dazu genutzt, um ihren jeweiligen Einfluss in der irakischen Bevölkerung zu festigen. So hat sich das Regime von Saddam Hussein zum Beispiel besonders auf die sunnitische Minderheit gestützt, aus der er stammte – auch wenn offiziell Religion und Staat getrennt waren.
Vor allem jedoch haben ab 2003 die amerikanischen Besatzer gezielt den religiösen Hass geschürt. Das war ihre Methode, um ein Fundament für die neue Regierung zu schaffen, die sie nach dem Sturz von Saddam Hussein einsetzten. Die USA verboten seine Partei, die Baath-Partei, und lösten die irakische Armee auf. Anstelle dessen errichteten sie ein neues Regime, das von Anfang an eine religiöse, konfessionelle Grundlage hatte. Das von den USA eingeführte Regime berief und beruft sich bis heute auf das islamische Gesetz, die Scharia, und stützte sich ausschließlich auf die schiitischen Parteien und Milizen.Diese Politik der USA hat die religiösen Spannungen dramatisch verschärft. Und ihr erstes Ergebnis war, dass schon 2006 ein blutiger Bürgerkrieg zwischen schiitischen und sunnitischen Milizen begann, der bis 2009 dauerte. In diesen ersten Jahren der amerikanischen Besatzung gründete sich übrigens auch ISIS.
Nachdem sich die Lage vorübergehend etwas beruhigt hatte, haben sich seit einiger Zeit die religiösen Auseinandersetzungen erneut verschärft. Die Regierung ist geschwächt, weil sie seit dem Abzug der US-Soldaten Ende 2011 alleine ihre Macht durchsetzen muss – und zwar gegen eine wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Hinzu kommt der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien. ISIS hat von Beginn an Kämpfer nach Syrien geschickt. Wie alle fundamentalistischen Kämpfer haben sie dort viel Unterstützung und Geld bekommen, und zwar von all den Staaten, die im syrischen Konflikt eingreifen wollen und dafür Truppen gesucht haben: die Türkei, Saudi-Arabien, Katar… Diese Staaten haben ISIS und den anderen Milizen all die Waffen geliefert, die sie brauchten, und zwar mit der wohlwollenden Zustimmung der USA und der westlichen Staaten insgesamt, die alle froh über diese Möglichkeit waren, das Regime von Assad zu schwächen.
Die USA haben mit dieser Politik in Syrien selber zu dem beigetragen, was heute im Irak passiert. Denn diese nun gut ausgerüsteten und kampferfahrenen fundamentalistischen Milizen sind aus Syrien in den Irak zurückgekehrt und kämpfen hier. Unter ihren Angriffen droht das Regime, das die USA an die Macht gebracht haben, zusammenzubrechen.Ganz offensichtlich wissen die USA nicht mehr wirklich, wie sie in dem Chaos überhaupt noch eingreifen sollen; in diesem Chaos, zu dessen Entstehung sie selber beitragen haben; in diesem Zerfall einer ganzen Region, den sie verursacht haben, aber den sie selber nicht mehr unter Kontrolle haben. So wenig, dass sie sogar über ein Bündnis mit dem Iran nachdenken, nach all den Jahren, in denen sie mit dem iranischen Regime auf Kriegsfuß standen.
In der Zwischenzeit bezahlt die einfache Bevölkerung auf fürchterliche Weise die Folgen dieser zynischen Politik und der amerikanischen Militärintervention, die ihnen – welch ein schlechter Scherz! – Freiheit und Fortschritt versprochen hatte. Zerstörung, Verarmung, Verfolgung, Herrschaft religiöser Milizen, Ausbreitung mittelalterlicher Weltanschauungen und Zerfall des Landes, das ist die Bilanz ihres imperialistischen Kriegseinsatzes.
(nach einem Artikel unserer französischen Genossen von Lutte Ouvrière vom 20.6.2014)