Leitartikel
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Von der Ukraine bis Deutschland: Nieder mit dem Nationalismus!
Tag für Tag versinkt die Ukraine tiefer im Bürgerkrieg. Die einfache Bevölkerung ist gefangen zwischen den rechtsextremen ukrainischen Milizen, den pro-russischen Milizen und den Kampfein-sätzen der Armee.
Wohin wird diese Spirale der Gewalt führen? Zu Strafmaßnahmen gegen alle, die nicht die „richtige Sprache“ sprechen oder die an der „falschen“ Nationalflagge festhalten? Zu einer Teilung der Ukraine, zu einer Grenze mitten durch das Land, die Städte, Familien, Freunde auseinanderreißt? Zu einem neuen Graben aus Blut und Hass, wie in Jugoslawien vor 20 Jahren?
Die Bevölkerung kann nur verlieren, wenn sie sich in diesen nationalistischen Fehden auseinanderreißen lässt.Die von Russland betriebene Propaganda ist widerwärtig. Doch die Propaganda der westlichen Medien ist ebenso gefährlich. Sie prangern unablässig den „heimlichen Drahtzieher Putin“ an, doch was soll man von der anderen Seite sagen? Von den USA, die seit Jahren versteckt daran arbeiten, die Ukraine in ihr wirtschaftliches, politisches und militärisches Einflussgebiet zu ziehen.
Was soll man über die Westmächte sagen, die die Kraftprobe ausgelöst haben, weil sie den Einfluss Russlands in der Ukraine zu ihren Gunsten zurückdrängen wollten, obwohl die Geschichte, die Wirtschaft und die Bevölkerung dieser beiden Länder ganz eng miteinander verwoben sind.
Heute unterstützen die amerikanischen und europäischen Machthaber die provisorische Regierung in Kiew: eine Regierung, in der mehrere wichtige Minister Rechtsextreme sind, die sich offen auf die Nazis berufen. Der Beweis dafür, dass die westlichen Regierungen – genau wie Putin – bereit sind, sich auf die finstersten, rückschrittlichsten Kräfte zu stützen. Genau wie Putin zählen sie zu den Kriegsverbrechern.
Die fürchterliche Tragödie in der Ukraine sollte uns außerdem zum Nachdenken bringen, denn sie ist auch Ausdruck einer stärker werdenden reaktionären und nationalistischen Strömung in ganz Europa und auch innerhalb der EU.
Im derzeitigen Europawahlkampf reiben sich die Parteien, die auf nationalistische und fremdenfeindliche Abgrenzung setzen, die Hände. Für sie sind diese Wahlen die Gelegenheit, sich in exzessiver Heimatliebe und Nationalismus zu übertreffen.
Die europäischen Bevölkerungen haben Gründe genug, sich nicht mit dem heutigen Europa zu identifizieren. Vom europäischen Aufbau haben die Ungarn oder die Griechen nichts als die deutschen oder französischen Banken und Großkonzerne gesehen, die sich wie Raubtiere auf sie gestürzt haben.
Von Europa haben sie nichts gesehen als die Gerichtsvollzieher, die sie aufgefordert haben, das Wenige an Sozialsystemen zu zerstören, das sie hatten; sie haben nichts gesehen als die Krise, die sie zur Arbeitslosigkeit verdammt hat. Doch wurden sie von ihren einheimischen Regierungen, Banken und Bossen besser behandelt?
Die Arbeitenden wissen, dass sie von den europäischen Institutionen nichts zu erwarten haben. Ihre Maßnahmen zur „Gleichberechtigung“ von Mann und Frau bestanden darin, den Kapitalisten zu erlauben, Frauen generell auch Nachts auszubeuten. Abtreibung hingegen ist noch immer nicht in allen EU-Ländern erlaubt. Und einen europäischen Mindestlohn einzuführen und dafür die Mindestlöhne der einzelnen Länder nach oben, an den höchsten Mindestlohn anzugleichen, das stand
nie auch nur zur Debatte.
Doch die einzelnen, nationalen Regierungen sind nicht besser! Auch sie versuchen immer nur, die Rechte der Arbeitenden oder Arbeitslosen so weit wie möglich… nach unten anzugleichen.
Diejenigen, die die Europäische Union ablehnen und dabei glauben machen, dass die nationale Abkapselung der arbeitenden Bevölkerung Glück und Wohlstand bringen würde, sind Lügner.
Als ob die Kapitalisten und die Regierungen uns nur wegen der EU angreifen würden! Als ob Merkel die Rente mit 67 von der EU eingeflüstert bekommen hätte! Als ob uns E.ON die Strompreise in D-Mark weniger erhöhen würde als in Euro! Und wenn Zalando Leiharbeiter wie Sklaven ausbeutet und Siemens beschließt, zehntausend Arbeitende zu entlassen, aber Milliarden für den Kauf von Alstom auszugeben, dann ist auch daran nicht Brüssel schuld.Die Nationalisten machen die EU, die Ausländer und die Immigranten zu Sündenböcken. Sie lenken die Arbeitenden von dem einzigen Kampf ab, den sie führen müssen: den Kampf gegen die Kapitalisten, ihre Gier und ihre Profite. Der Nationalismus ändert gar nichts an der Ausbeutung. Er fügt nur noch Willkür hinzu; gegen denjenigen, der nicht die „richtige“ Staatsangehörigkeit hat, nicht die „richtige“ Sprache spricht, nicht dieselbe Religion wie die anderen hat.
Die Ereignisse in der Ukraine führen uns vor Augen, was für eine tödliche Falle der Nationalismus ist – eine Falle, die von heute auf morgen über einer ganzen Bevölkerung zuschnappen kann. Alle diejenigen, die von Donezk und Kiew bis Berlin versuchen, die Arbeitenden gegeneinander aufzuhetzen, sind Feinde der Arbeitenden. Lassen wir dieses Gift der Spaltung nicht zu!(Artikel übersetzt nach: Lutte Ouvrière, 9.Mai 2014)
Internationales
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Brasilien: Wo ist das Brot zu den Spielen?
Je näher die Fußballweltmeisterschaft rückt, desto lauter werden die Zweifel von FIFA-Verantwortlichen, ob die Entscheidung, die WM in Brasilien stattfinden zu lassen, richtig war. Oh, nicht etwa, weil es sie empören würde, dass ein Teil der brasilianischen Bevölkerung in absoluter Armut und Elend haust und die teure WM (die teuerste aller Zeiten) dieses Elend noch verschlimmert.
Nein, was der FIFA Sorgen bereitet ist, dass ein Teil der Bevölkerung sich dagegen wehrt. Keine Woche, ja kein Tag vergeht ohne neue Proteste.
Schon vor einem Jahr waren in wochenlangen Protesten zum Teil eine Million Menschen auf die Straße gegangen – empört darüber, wie korrupte Politiker für die WM die öffentlichen Kassen plündern und damit die Taschen der Konzernchefs füllen, während man vor der Tür eines Krankenhauses sterben kann, weil kein freies Bett oder kein Arzt da ist, während Schulklassen monatelang ohne Lehrer bleiben und die Fahrkarten für die städtischen Busse so teuer geworden sind, dass sie ein Drittel des Lohns verschlingen.
Seit die WM näher rückt, sind die Gründe für die Empörung nicht weniger geworden. Weil kaum ein Stadion und kein Flughafen rechtzeitig zur WM fertig wird, sind die Baustellen für die Arbeiter lebensgefährlich geworden: Ohne Rücksicht auf Verluste werden sie angetrieben, schneller und immer schneller zu arbeiten, Tag und Nacht, ohne sich Zeit für Sicherheitsmaßnahmen zu nehmen, ohne auf Anzeichen für Gefahren zu achten… Es vergeht keine Woche ohne grausame und nicht selten tödliche Unfälle.
In Sao Paulo führte die Wut über diese skrupellosen Baukonzerne, die Milliarden für den Bau von Stadien geschenkt bekommen, während für die Arbeiter keine bezahlbaren Wohnungen gebaut werden, zu drei Protestmärschen obdachloser Arbeiter, die in der Besetzung der Büros der drei größten Baukonzerne endeten.
Die Obdachlosigkeit hat durch die explodierenden Grundstückspreise und Mieten in den WM-Städten dramatisch zugenommen. Und sie wird noch dadurch verschlimmert, dass die Regierung seit Monaten versucht, die „Schandflecken“ der Armut und mögliche Unruhe-Herde zu vernichten. Bulldozer walzen ganze Armenviertel platt. Ein Teil der Bewohner wird viele Kilometer entfernt in neue Slums zwangsumgesiedelt, die anderen müssen sehen, wo sie bleiben.
In anderen Armenvierteln organisiert die Polizei regelmäßig Großeinsätze, verhaftet, foltert und ermordet mögliche Unruhestifter und alle, deren Nase ihnen nicht passt. Wie den jungen Vater, den die Polizei am 21. April folterte, ermordete und seine Leiche einfach in einem Kindergarten liegen ließ, und dessen Tod die Einwohner des Armenviertels so sehr empörte, dass sie mit Demonstrationen und Barrikaden bis in die berühmten Touristenviertel von Copacabana die Polizei aufforderten, aus den Slums zu verschwinden.
Ausnahmegesetze, Zwangsumsiedlungen, Folter: Nichts haben die Organisatoren der FIFA und die brasilianische Regierung unversucht gelassen, um dafür zu sorgen, dass keine sozialen Unruhen das Image des Großereignisses WM beflecken oder gar die damit verbundenen Milliardengeschäfte der Wirtschaft beeinträchtigen.
Doch erreicht haben sie das Gegenteil. Denn die einfache Bevölkerung in Brasilien lässt sich nicht mit Spielen abspeisen – sie verlangt auch das Brot. -
Die Waffe der Arbeiter ist der Streik – überall
50.000 Arbeiterinnen und Arbeiter des Schuhproduzenten Yueyuen haben in der chinesischen Provinz Guangdong mehrere Wochen lang erfolgreich für die Bezahlung der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung gestreikt. Seit Jahren waren sie darum von dem taiwanesischen Unternehmen betrogen worden, das für Nike, Adidas, New Balance und andere produziert.
Jahrelang galten China und Südost-Asien als das El Dorado der Produktion mit super billigen Arbeitskräften. Aber so einfach ist es für die Kapitalisten nicht mehr, die Arbeiter hier dauerhaft überauszubeuten. Allein in diesem Jahr hat die Zahl der Streiks um 30 Prozent zugenommen, und die Arbeiter setzten bedeutende Lohnerhöhungen durch. Auch in Kambodscha ging Ende 2013 eine riesige Streikwelle durch das Land, in der 400.000 Arbeiter der Textilindustrie für die Verdoppelung ihres Mindestlohns kämpften. Und seitdem flammen immer wieder neue Streiks auf.
Die Kapitalisten können sich drehen und wenden, wie sie wollen: In welchen Teil der Welt sie auch ziehen in der Hoffnung, dort wehrlose Arbeiter ausbeuten zu können… Streik und Klassenkampf kleben an ihren Fersen.
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Türkei: Gestorben für den Profit
„Kein Unfall – Mord“ riefen Zehntausende, tief empört, bei Streiks und Demonstrationen gegen die Zechenbosse und die Regierung Erdogan, nachdem über 300 Bergleute bei der Katastrophe in dem türkischen Bergwerk ihr Leben verloren haben. Für alle diese Arbeiter, die nur ihren Lebensunterhalt verdienen wollten, hat sich ihr Arbeitsplatz in ihr Grab verwandelt.
„Kein Unfall – Mord“ klagen die Demonstranten die Bosse der Zeche an, die sich damit brüsten, die Produktionskosten der Zeche seit der Privatisierung um vier Fünftel (!) verringert zu haben.
Und in den anderen Zechen sieht es ähnlich aus. Seit die früher staatlichen Zechen in den vergangenen Jahren privatisiert wurden, häufen sich die Probleme, die Unfälle, die Todesfälle, weil die Zechenbosse nur ein Interesse haben: möglichst „kostengünstig“, möglichst ohne Einschränkungen, möglichst profitabel die Arbeiter auszubeuten. Den Tod hunderter und tausender Arbeiter nehmen sie ohne zu zögern in Kauf.
„Kein Unfall – Mord“ klagen die Demonstranten auch die Regierung Erdogan an, die diese Privatisierung vorangetrieben hat und die sich vor gerade drei Wochen erst geweigert hat, auch nur eine Kommission einzurichten, um die extrem unsicher gewordene Lage in den Bergwerken zu untersuchen.
Kein Wunder, dass Regierungschef Erdogan vor den wütenden Angehörigen in einen Laden flüchten musste, nachdem er jede Verantwortung der Zechenbosse und der Regierung zurückgewiesen und lapidar erklärt hatte: Solche Arbeitsunfälle passieren ständig, überall auf der Welt.
Ja, Sicherheit kostet Geld. Und sie den Kapitalisten zu überlassen, für die nur der eigene Gewinn zählt, ist lebensgefährlich – in der Türkei und überall.