Leitartikel
-
Stuttgart zeigt: Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen…
Die Politik hat versucht, sie zu ignorieren, totzuschweigen und wegzuprügeln: Doch die Proteste zehntausender Menschen gegen den Bahnhofsneubau halten an.
Sie haben unterschiedliche Beweggründe, aber in einem sind sich alle einig: Sie protestieren gegen ein Prestige-Projekt, für das gigantische 5 Milliarden Euro und mehr ausgegeben werden sollen – während gleichzeitig im öffentlichen Nahverkehr, bei Schulen, Gesundheit und Arbeitslosen alles zusammengespart wird. Auch würden allen, die täglich auf S- und Regionalbahnen angewiesen sind, Verschlechterungen und steigende Preise drohen.
Wenn wir nicht gefragt werden…
Natürlich wurde die Bevölkerung nie gefragt, ob sie das Milliardenprojekt will. Sobald es um wichtige Fragen geht, wird die Bevölkerung nicht gefragt. Wir sind in dieser „Demo-kratie“ dafür da, alle paar Jahre einen da oben zu wählen und dann die Folgen ihrer Entscheidungen auszubaden. Das aber wollen viele Menschen in Stuttgart diesmal nicht mitmachen.
Bereits 2008 hatten 67.000 Einwohner für ein Bürgerbegehren gegen den Bahnhofsbau unterschrieben. Der Stadtrat weigerte sich schlicht, eine solche Abstimmung durchzuführen. So gingen die Proteste weiter, Monat für Monat. Die Politiker versuchten sie zu ignorieren, hofften wohl, irgendwann ginge den Demonstranten die Puste aus. Stattdessen wuchs die Zahl der Demonstranten ständig – bis heute.
Die große Mehrheit ist gegen das Bauvorhaben und will die Bauarbeiten nicht so einfach zulassen. Was hinderte Regierung und Bahn so lange daran, einen Bau- und Vergabestopp zu verfügen und in Ruhe zu klären, wie es weiter geht? Was, wenn nicht die Interessen der großen Bau-, Industrie- und Immobilienkonzerne, für die Milliarden Euro auf dem Spiel stehen?
Milliardenaufträge bringt ihnen alleine der Bau des unterirdischen Bahnhofs… und weitere Milliarden die teuren Flächen in der Stuttgarter Innenstadt, die sie mit Büros und Einkaufszentren bebauen und vermarkten wollen.Die Interessen solcher Konzerne bestimmen die Entscheidungen der Politik. Und so hat die CDU-Landes-regierung letztlich mit Gewalt versucht, die „störenden“ Demonstranten zu beseitigen: Am 30.9. ließ sie die Polizei mit Wasserwerfern, Reizgas, Schlagstöcken gegen tausende Demonstranten vorgehen, gegen alte Leute, Kinder,…. Hunderte mussten in überfüllte Krankenhäuser gebracht werden, teilweise mit gebrochenen Rippen, Nasenbeinbrüchen,… Einer hat für immer sein Gehör verloren.
Diese Brutalität hat Empörung und Solidarität im ganzen Land ausgelöst. Und sie hat noch mehr Menschen dazu bewegt, sich den Protesten anzuschließen: Bereits zwei Mal gingen an die 100.000 Menschen in Stuttgart auf die Straße. Damit ist dieser widerliche Plan der Regierung gescheitert.
…mischen wir uns selber ein!
Zwischen den handfesten Profitinteressen großer Konzerne und dem ebenso handfesten Druck hunderttausender Einwohner winden sich heute die Politiker. Sie werden mit Sicherheit versuchen, die jetzige Schlichtung in die Länge zu ziehen, um die Demonstranten zu ermüden und zu entzweien. Sie werden Zahlen fälschen, verzweifelt mit Tricks und Täuschungen arbeiten, um bis zu einer Volkabstimmung oder den Landtagswahlen im März die Stimmung zu verändern.
Und wenn heute noch keiner weiß, wie die Auseinandersetzung letztlich enden wird: Es ist für alle eine wichtige Erfahrung zu erleben, wie hilflos und klein diese selbstherrlichen Politiker werden können, wenn sich viele „Kleine“ einmischen und sich nicht nur einmal, sondern immer wieder und entschlossen mobilisieren.
Internationales
-
Venezuela: die arme Bevölkerung trifft ihre Wahl
Erneut hat die einfache Bevölkerung Venezuelas bei den Parlamentswahlen ihre Sympathie für den Präsidenten Hugo Chavez zum Ausdruck gebracht. 55% der Stimmen erhielt seine Partei.
In den letzten 12 Jahren hat Chavez einen beachtlichen Teil der Einnahmen aus dem staatlichen Ölgeschäft in soziale Maßnahmen gesteckt, in Bildung, Wohnungsbau, Gesundheit und Hilfen für die Armen. Erwachsene lernen lesen, Schulen und Häuser werden gebaut, die Kindersterblichkeit sinkt… Deswegen unterstützt die arme Bevölkerung das Regime von Chavez.
Umgekehrt haben diese Ausgaben für soziale Maßnahmen Chavez bei den Kapitalisten, den großen westlichen Staaten und bei der Rechten in Venezuela sehr unbeliebt zu gemacht. Zwei Mal haben sie daher bereits einen Putsch versucht. Die Unterstützung der armen Bevölkerung für Chavez aber ließ beide Putsche scheitern.Die weltweite Wirtschaftskrise allerdings macht auch vor Venezuela nicht Halt. Die sinkenden Ölpreise verringern die staatlichen Einnahmen, haben eine 30%ige Inflation und wachsende Arbeitslosigkeit hervorgerufen. Und sie gefährden die Finanzierung der sozialen Hilfsprogramme.
Denn die Regierung Chavez hat nichts unternommen, um grundlegendere gesellschaftliche Veränderungen durchzuführen. Alle Schlüsselindustrien und Banken sind weiter in den Händen privater Kapitalisten.
Damit hat Chavez ihnen auch ihre gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht gelassen, was es ihnen unendlich einfacher macht, vielleicht schon morgen alle sozialen Verbesserungen mit einem Schlag wieder zu beseitigen, und Chavez wahrscheinlich gleich mit.
Für eine dauerhafte Verbesserung ihrer Verhältnisse ist es nötig, dass die arbeitende Bevölkerung selber grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft durchsetzt – angefangen damit, selber die Kontrolle über die größten Industriekonzerne und die Banken zu übernehmen.
-
Ungarn: Eine Naturkatastrophe… mit Namen Profit
9 Tote, 150 Verletzte, 7 Orte verwüstet, tausende Hektar Land auf Jahre unfruchtbar, schwermetall-belasteter, krebserregender Staub in der Luft und Schlamm in den Flüssen – das ist die verheerende, vorläufige Bilanz der Katastrophe vom 4. Oktober, als nach einem Dammbruch fast 700.000 m³ Rotschlamm aus einem Becken der Aluminiumfabrik MAL ätzend die Gegend überschwemmten.
Die vorherige Warnung eines Ingenieurs, dass das Schlammbecken brüchig ist, wurde von der Unternehmensleitung einfach nicht beachtet. Auch hätte die ätzende Lauge nach heutiger Technik nicht in diesen Becken lagern müssen.
Bei der Privatisierung der Staatsbetriebe wurde 1995 das Aluwerk MAL den neuen Besitzern quasi geschenkt. Dafür versprachen sie, in die Sicherheit und Modernisierung des Werks zu investieren. Doch das ist nie geschehen. Die Sicherheit von Arbeitern und Anwohnern wurde dem Profit geopfert.Und heute besitzt das Unternehmen noch die Frechheit, seinen Opfern lächerliche 360 Euro Entschädigung anzubieten. Dabei besitzen allein die beiden Hauptaktionäre, die zu den 30 Reichsten Ungarns gehören, 140 Millionen Euro Privatvermögen.
Ja, die Gewinne sind seit dem Ende des Ostblocks privatisiert worden. Die Folgen aber tragen die Arbeiter und die gesamte Bevölkerung. -
Eine Sprache, die sie alle verstehen
Frankreich, Spanien, Irland, Griechenland: In mehreren Ländern haben Arbeitende in den letzten Wochen mit Streiks und Demonstrationen auf die Pläne ihrer Regierungen geantwortet, die die „leeren Kassen“, die Schulden der Krise auf die arbeitende Bevölkerung abwälzen wollen.
Die Regierungen erklärten ihnen, dass die ganzen Reformen doch nur zum Wohl der einfachen Bevölkerung wären. Sie würden das nur nicht verstehen! Doch diese Arroganz der Politiker hat eher noch mehr Menschen dazu gebracht zu zeigen, dass sie sehr genau wissen, was „ihrem Wohl“ dient… und sie haben sich den Streiks und Protesten angeschlossen. Denn das ist einzige Sprache, die die Herrschenden verstehen… egal in welchem Land.