Leitartikel
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Strom- und Gaspreise: Wir bezahlen ihre parasitäre Wirtschaftsordnung!
Hunderttausende Haushalte haben in den letzten Wochen erfahren, dass ihre Strom- oder Gasanbieter kurzfristig den Betrieb eingestellt haben und sie sofort zu einem anderen Anbieter wechseln müssen. Nun müssen sie als Neukunden fast überall doppelt so hohe Preise bezahlen wie vorher. Hunderttausende Menschen müssen damit bis zu 1.500 Euro mehr im Jahr bezahlen. Für viele eine Katastrophe! Und in den nächsten Monaten könnte dieses Los noch viele weitere Menschen treffen. Schuld daran sind die verrückten Preis-Explosionen der letzten Monate und vor allem die Privatisierung der Energieversorgung.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Energieversorgung als einheitliches System wieder aufgebaut. Kraftwerke, Leitungen und Kundenbetreuung waren in öffentlicher Hand und halbwegs aufeinander abgestimmt. Zwischen 1998 und 2005 aber, als die Profitquellen der Kapitalisten weniger wurden, schenkte die Regierung ihnen die Energieversorgung: Das Netzwerk wurde zerschlagen und privatisiert. Um das uns gegenüber zu rechtfertigen, behaupteten die Herrschenden, dies wäre effizienter und die Konkurrenz würde für niedrigere Preise sorgen. Das Gegenteil war der Fall. Der Strompreis hat sich seit der Privatisierung mehr als verdoppelt.
Die neuen Profitquellen zogen zahlreiche Glücksritter an. Über tausend Kapitalisten gründeten kleinere Strom- und Gasanbieter, die selber nichts produzieren. Ihr ganzes Geschäftsprinzip bestand darin, die Energie möglichst günstig an der Börse zu kaufen und sie dann an die Verbraucher*innen weiterzuverkaufen.
Solange Strom und Gas günstig zu kaufen waren, machten sie satte Gewinne. Heute aber, wo die Energiepreise an der Börse extrem steigen, gehen diese Glücksritter genauso schnell Pleite und hinterlassen ein Trümmerfeld und ernsthafte Sorgen für Hunderttausende, wenn nicht Millionen Vebraucher*innen.
Einmal mehr erleben wir so heute, wie irrsinnig und schädlich ihre Profitlogik und „freie Konkurrenz“ sind. Alles ist bei der Energieversorgung eng miteinander vernetzt. Alle Menschen, ja die gesamte Gesellschaft, sind auf sie angewiesen. Auch auf Umwelt und Klima hat sie maßgebliche Auswirkungen. Es ist irrsinnig und gefährlich, dass in ihr einzelne Kapitalisten machen, was sie wollen. Die Energieversorgung gehört in die Hände der Gesellschaft und muss im Interesse der Bevölkerung und von ihr geplant werden.
Und das gilt nicht nur für Energie. All die Betriebe, die derzeit weltweit stillstehen, weil Teile und Rohstoffe fehlen und Lieferketten unterbrochen sind, zeigen eindrucksvoll, wie sehr die gesamte Produktion vernetzt ist, wie notwendig eine weltweite Planung wäre – und was für ein Chaos die Anarchie der Konkurrenz und Profitlogik anrichtet.
Der Kapitalismus aber ist so verfault, dass er noch das Wenige zerstört, was er selbst mal an Planung und Organisation geschaffen hat. Und auch den Großteil ihrer Profite stecken die Kapitalisten nicht einmal mehr in die Produktion. Stattdessen spekulieren sie damit im großen Casino der Börse, wo sie heute unter anderem… auf steigende Energiepreise wetten!
Ihre Spekulation ist ein entscheidender Grund, warum heute die Preise für Gas, Öl, Strom, Kohle und andere Rohstoffe explodieren. Und die gigantischen staatlichen „Rettungspakete“, durch die die Kapitalisten in der Pandemie noch reicher geworden sind, haben die Spekulation und damit die Preissteigerungen noch weiter befeuert.In vielen ärmeren Ländern führen die extrem gestiegenen Preise zu Hunger und Elend. In Kasachstan hat dies Massenrevolten und Streiks hervorgerufen. Doch auch in den großen Industrieländern steigt immer mehr Arbeitenden, Rentner*innen und Erwerbslosen das Wasser bis zum Hals.
Die deutsche Regierung plant als kleine Beruhigungspille einen einmaligen Zuschuss von 135 Euro zum Wohngeld. Doch diese Summe bräuchten wir nicht einmalig, sondern jeden Monat. Und selbst das wäre noch zu wenig, um die Preissteigerungen auszugleichen.
Denn nicht nur die Energie wird teurer. Alle Unternehmen geben ihre gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise an uns Verbraucher*innen weiter. Wir sind am Ende der Kette und zahlen ALLE gestiegenen Preise.Unsere Löhne müssen mit den Preisen mitsteigen! Nur so können auch wir die steigenden Preise weitergeben – und zwar an die Kapitalisten, die sie mit ihrer Profitgier verursachen und daher auch bezahlen sollten.
Ab Ende der 1960er Jahre hat es schon mal eine ähnliche Situation gegeben. Auch damals hat die massive Steigerung des Ölpreises zehn Jahre lang alle Preise nach oben getrieben. Doch die Tariflöhne stiegen anfangs kaum. Wütend legten daraufhin 1969 die Arbeiter*innen bei Hoesch in Dortmund spontan die Arbeit nieder – ohne Aufruf der Gewerkschaften und ohne Tarifverhandlungen, obwohl solche „wilden“ Streiks gesetzlich nicht erlaubt sind.
In einer Kettenreaktion folgten in den nächsten Wochen 140.000 Arbeitende aus der Metall- und Stahlindustrie, der Chemie- und Textilindustrie sowie des Öffentlichen Dienstes ihrem Beispiel.Völlig überrumpelt von dieser spontanen Empörung und Streikwelle erfüllten die Kapitalisten fast alle Forderungen – teilweise Lohnerhöhungen von 10%. Eine weitere Welle von wilden Streiks folgte 1973. Nicht zuletzt aus Sorge vor erneuten Wutausbrüchen und Streiks der Arbeitenden rückten die Kapitalisten auch in den folgenden Jahren ähnlich hohe Tariferhöhungen heraus, die einen bedeutenden Teil der steigenden Preise ausglichen. Dieser Weg ist auch heute unsere einzige Chance.
Internationales
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Kasachstan: Putin hilft mafiöser Regierung und westlichen Konzernen
Der folgende Artikel ist angelehnt an einen Artikel unserer französischen Genossen von Lutte Ouvrière in ihrer gleichnamigen Zeitung vom 14.01.2022.
In den letzten Wochen hat Kasachstan einen Aufstand der arbeitenden Bevölkerung erlebt, der sich im ganzen Land ausgebreitet hat und zu einer ernsten Gefahr für die Regierung wurde.
Auslöser war die plötzliche und massive Erhöhung der Treibstoff-Preise am 1. Januar. Sie löste große Empörung aus in diesem Land, in dem die große Mehrheit der Bevölkerung arm, das Land hingegen umso reicher an Gas, Erdöl und Kohle ist.
Der Aufstand begann im Westen des Landes, wo zigtausende Arbeitende zusammengeballt in der Öl- und Erdgasförderung arbeiten. Spontane Streiks breiteten sich in Windeseile von einem Betrieb zum nächsten aus, und es kam zu großen Demonstrationen.Präsident Tokajew versuchte, die Protestierenden als „Terroristen und Banditen“ zu verunglimpfen, die „vom Ausland gesteuert“ wären. Er verhängte den Ausnahmezustand und verbot damit alle Streiks. Gleichzeitig versuchte er, die Bevölkerung mit ein paar Zugeständnissen zu beruhigen.
Er nahm die geplante massive Erhöhung der Treibstoffpreise zurück. Außerdem entmachtete er den langjährigen Diktator Nazarbajew, der sich zwar offiziell zurückgezogen hatte, aber als Chef des Sicherheitsrates noch immer die Fäden der Macht in der Hand hielt. Voller Genugtuung konnte die Bevölkerung erleben, wie Nazarbajew – das verhasste Symbol der reichen und korrupten Bürokratie – endlich aus dem Sicherheitsrat rausflog und auch seine engsten Vertrauten ihre Posten an der Spitze der Macht verloren. Doch Präsident Tokajews Plan, dass die einfache Bevölkerung sich damit zufrieden geben und die Proteste beenden würde, ging nicht auf.Im Gegenteil, der Aufstand breitete sich immer weiter aus. Von den Ufern des kaspischen Meeres erreichte er den Norden und den Süden, wo sich die wirtschaftliche Hauptstadt Almaty befindet. Dort kam es zu härteren Auseinandersetzungen zwischen Armee und Polizei auf der einen und den Demonstranten auf der anderen Seite. Letzteren gelang es, einige Waffengeschäfte zu plündern und so Armee und Polizei nicht vollkommen unbewaffnet gegenüberzustehen. In anderen Städten gelang es den Demonstranten, dass Soldaten und Polizisten ihnen gegenüber eine wohlwollend neutrale Haltung einnahmen, was den Demonstranten ermöglichte, eine Reihe staatlicher Gebäude zu besetzen.
Die Lage entglitt Präsident Tokajew zusehends, weshalb er schließlich den Befehl gab, mit scharfer Munition auf die Bevölkerung zu schießen. Und er rief seinen Nachbarn, den russischen Präsidenten Putin zu Hilfe, der kurz darauf militärisch in Kasachstan einmarschierte.Um die russische Bevölkerung darauf vorzubereiten, überflutete der Kreml die Medien mit Falschinformationen. Es wurden angebliche „Beweise“ dafür präsentiert, dass islamistische Terroristen in die Proteste verwickelt seien, ebenso aus dem Ausland hergeschickte Banditen, Vergewaltiger und Plünderer sowie antirussische Nationalisten.
Der kasachische Präsident Tokajew trug seinen Teil zur Propaganda bei, indem er die Proteste als eine vom Ausland gesteuerte Operation zur Destabilisierung des Landes darstellte. Das lieferte Putin den Vorwand, um Truppen und Panzer nach Kasachstan zu schicken.Der russische Präsident hatte dabei völlig freie Hand, da auch die westlichen Staaten nicht mal so taten, als würden sie die kasachische Bevölkerung unterstützen, die sich gegen ihr tyrannisches Regime auflehnt. Selbst als die kasachische Regierung 160 Tote und 6.000 Verhaftungen meldete – und das sind nur die offiziellen und vorläufigen Zahlen – rief die Europäische Union ernsthaft zur „Wiederaufnahme des Dialogs“ auf. Und die USA? Während diese seit Monaten keine Gelegenheit auslassen, um Russlands tatsächliche oder vermeintliche Kriegsabsichten in der Ukraine aufs Schärfste anzuprangern, bezeichneten sie den Einmarsch der russischen Truppen in Kasachstan schlicht als „Wiederherstellung der Ordnung“! Der Form halber mahnten sie einzig an, man solle dabei „zurückhaltend“ vorgehen.
In Wahrheit kam es für die westlichen, imperialistischen Mächte sehr gelegen, dass Putins Soldaten die Drecksarbeit übernommen haben, die kasachische Bevölkerung in die Schranken zu weisen. Denn deren Massenproteste und ihr plötzliches Eingreifen in die politischen Verhältnisse behindert die Geschäfte der US-amerikanischen, britischen, deutschen und französischen Konzerne.
British Gaz, Chevron, Exxon Mobil, TotalEnergies, Arcelor und führende chinesische Unternehmen betrachten Kasachstan als Eldorado. Auch für die deutschen Konzerne ist Kasachstan der wichtigste Handelspartner in Zentralasien. Und die internationalen Konzerne erwarten von den kasachischen und russischen Machthabern, dass letztere alles dafür tun, damit dies so bleibt. Die Aussicht, dass das Öl, Gas oder Uran in Kasachstan mit dem Blut demonstrierender Arbeiter gefärbt wird, stört sie nicht, solange ihre Profite weiter fließen.Doch auch wenn sie die Unterstützung der internationalen Konzerne hat, gibt es keine Garantie dafür, dass die russische Militärintervention die Proteste auf Dauer brechen wird. Vor knapp zehn Jahren hat das kasachische Regime bereits einmal ein Blutbad angerichtet, um massive Streiks von Öl- und Gasarbeitern zu beenden. Dies geschah in Schangaösen; genau der Stadt, in der auch diesmal die Kämpfe gegen die Preiserhöhungen und das Regime ihren Anfang genommen haben.
Sicher ist, dass es nicht die letzte Revolte gewesen sein wird, mit der es die internationalen Konzerne weltweit angesichts der explodierenden Preise und des wirtschaftlichen Chaos in absehbarer Zeit zu tun bekommen werden.