Leitartikel
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Mitten in der Pandemie: Das Großkapital bereichert sich wie noch nie
Während die Bevölkerungen weltweit unter der Pandemie mit all ihren verheerenden Folgen leiden, haben die 2.365 Milliardäre der Welt ihr Vermögen um satte 54% gesteigert. Diese kleine Minderheit großer Kapitalisten – die Großaktionäre der Industrie, der Banken, der Lebensmittel-, Bau- und Pharmakonzerne – haben sich seit März 2020 um unfassbare 4.000 Milliarden Dollar bereichert.
In derselben Zeit haben die Lohnabhängigen weltweit fast exakt die gleiche Summe, 3.700 Milliarden Dollar, verloren. Die für uns Arbeitende lebenswichtigen Einkommen, die uns durch Entlassungen, Lohnkürzungen und Kurzarbeit geraubt wurden, sind also direkt auf die Konten des Großkapitals geflossen!Diese Zahlen, die die Börsennachrichten der ARD am 7. April veröffentlicht haben, machen eines ganz deutlich: Wenn auch einzelne Branchen von der Pandemie getroffen werden, so hat die große Mehrheit das Virus als Vorwand genutzt, um uns anzugreifen: Um Löhne einzufrieren oder gar zu senken. Und um noch mehr von uns, allen voran die Leiharbeiter*innen, zu entlassen und noch mehr Arbeit aus noch weniger Arbeitenden herauszupressen.
Wie viele verlieren gerade ihre Arbeit – während die übrigen am Ende der Schicht noch kaputter sind als vorher!Letztes Jahr wurden weniger Autos hergestellt als sonst. Doch wurde dies genutzt, um das Arbeitstempo zu verlangsamen? Um den Kolleg*innen, die den ganzen Tag mit Maske arbeiten müssen, zusätzliche Erholungspausen zu ermöglichen? Hat man das Fließband langsamer gestellt, damit die Arbeitenden nicht eng neben- und sogar übereinander arbeiten müssen – mit entsprechend hoher Ansteckungsgefahr?
Das Gegenteil ist der Fall! Die Auto- und Zuliefererfirmen haben fast alle Leiharbeiter*innen und auch Festangestellte entlassen und schicken immer wieder Arbeitende für einzelne Tage in Kurzarbeit – während alle anderen an den Fließbändern, den Maschinen und in den Büros noch mehr ausgelaugt werden als vorher.
Genau dasselbe hat die Metallindustrie in der Finanzkrise von 2008 gemacht: Sie hat die Kurzarbeit genutzt, um auszuprobieren, mit wie wenig Leuten die Arbeit noch irgendwie zu schaffen ist. Und dann hat sie entsprechend viele entlassen und alle anderen dauerhaft mehr arbeiten lassen.Mit diesen Methoden haben es VW, Daimler und BMW auch diesmal geschafft, mitten in der Pandemie 16,6 Milliarden Euro Gewinn zu machen und mehrere Milliarden Euro Dividende allein an die Familien Quandt, Klatten und Porsche-Piëch auszuzahlen. Während im gleichen Zeitraum 20.000 Arbeitende von diesen drei Konzernen in die Arbeitslosigkeit gestoßen wurden!
Die Metallindustrie ist keine Ausnahme. Fast überall haben sich die Arbeitsbedingungen im letzten Jahr weiter verschlechtert. Da sind nicht nur das Arbeiten mit Maske, geschlossene Kantinen, versetzte Arbeitszeiten und andere durch die Pandemie bedingte Erschwernisse, für die es keinerlei Ausgleich gibt. In zahllosen Betrieben wurde uns obendrein noch mehr Arbeit aufgezwungen – bei gleichzeitig stagnierenden oder sogar sinkenden Löhnen.
Bei großen Einzelhandelsketten wie Ikea war das „Click und Collect“ so erfolgreich, dass die Manager es weiter angeboten haben, als die Läden wieder geöffnet waren – natürlich ohne dafür jemanden zusätzlich einzustellen. Die Verkäufer*innen müssen nicht nur die Kunden bedienen, sondern gleichzeitig durch den Laden rennen und Online bestellte Warenkörbe zusammenstellen.
Ganz zu schweigen von den Paketzusteller*innen bei DHL oder Amazon, deren Arbeitstage seit dem Boom des Online-Handels gar nicht mehr enden – und das (oft nicht mal) zum Mindestlohn.
Und in den Krankenhäusern und Pflegeheimen? Wurde da in der Pandemie auch nur eine zusätzliche Pflegekraft oder Reinigungskraft eingestellt? Im Gegenteil! Die Beschäftigten müssen diese Extremsituation sogar mit 9.000 Pflegekräften WENIGER als noch vor einem Jahr bewältigen!
Viele gehen regelrecht am Stock, während das öffentliche Geld, das für Einstellungen in Krankenhäusern oder Kitas genutzt werden könnte, in „Konjunktur-pakete“ fließt, deren Milliarden auf den Konten der Konzerne landen.Niemand von uns steht alleine da. Wir sind dutzende Millionen, die ähnliches erleben. Wir alle sind Opfer des gleichen Klassenkampfes, den die kapitalistische Klasse gegen uns führt – entschlossen, sich in der Krise noch mehr zu bereichern als zuvor.
Doch wir müssen keine Opfer bleiben. Um unsere Haut zu verteidigen, können und müssen wir Arbeitende ebenfalls den Kampf aufnehmen. Und dabei haben wir eine große Stärke. Wir sind viele. Und wir haben alle die gleichen grundlegenden Interessen, die uns vereinen. Wir alle brauchen einen Arbeitsplatz mit Arbeitsbedingungen, die uns nicht kaputt machen und einem Lohn, von dem wir vernünftig leben können.
Zu kämpfen scheint heute weit weg und schwer vorstellbar. Viele von uns haben noch keinen Streik erlebt, kennen nur die Vereinzelung im Betrieb, während die Bosse so stark und mächtig scheinen. Doch ihre ganze Stärke und ihr ganzer Reichtum beruht auf unserer Arbeit, auf unserer Ausbeutung. Das ist ihre Achillesferse. Ohne uns sind sie Nichts.
Und an dem Tag, an dem die ersten von uns den Kampf wieder aufnehmen, werden wir merken, dass wir Arbeitenden viel stärker und wichtiger sind als diese kleine Minderheit von Parasiten – und dass wir der Gesellschaft eine viel bessere Zukunft zu bieten haben.
Internationales
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Nordirland: Der Brexit entzündet wieder das Pulverfass
Es folgt ein übersetzter Artikel unserer französischen Genoss*innen von Lutte Ouvrière in ihrer gleichnamigen Zeitung vom 14. April 2021.
Am Osterwochenende und in der ganzen Woche darauf kam es in den protestantischen Vierteln Nordirlands jede Nacht zu Unruhen – vor allem seitens junger „Unionisten“, die für den Verbleib Nordirlands im britischen Königreich sind. Mit Molotow-Cocktails und angezündeten Fahrzeugen lieferten sie sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. Teilweise griffen sie auch die Bewohner der benachbarten katholischen Viertel an, die ihrerseits Anhänger einer Vereinigung von Nordirland mit der Republik Irland sind.
Aufgrund des Brexits muss zwischen der EU und Großbritannien eine Zoll-Schranke eingeführt werden. Und das Brexit-Abkommen sieht vor, dass diese Zollschranke nicht zwischen der Republik Irland und Nordirland eingeführt wird, um die Insel nicht wieder zu zerreißen, sondern zwischen Nordirland und Großbritannien. Dagegen jedoch wehren sich die Unionisten lautstark, allen voran die derzeitige nordirische Premierministerin Arlene Foster. Denn für sie gibt es keinen schlimmeren Alptraum als eine mögliche Vereinigung mit der Republik Irland.
Seit dem 1. Januar haben Foster und ihre Anhänger daher Öl ins Feuer gegossen… bis es in den protestantischen Arbeitervierteln explodiert ist – dort, wo die Wirtschaftskrise die Jugend mit voller Wucht getroffen hat und es nur einen Funken für die Explosion brauchte. Die ehemaligen protestantischen Terroristen, die über ihre halb politischen, halb mafiösen Strukturen sehr großen Einfluss auf diese Jugendlichen haben, haben sicher auch eine Rolle gespielt.
Was in Nordirland gerade passiert, ist eine Folge der kurzsichtigen politischen Machtspiele des britischen Premierministers Johnson und seines Vorgängers Cameron, der sich verkalkuliert hatte, als er 2016 ein Referendum über den Austritt aus der EU organisierte. Seit der Brexit am Ende einer von fremdenfeindlicher Hetze geprägten Kampagne gesiegt hat, zeigen sich die schädlichen Nebenwirkungen auf das politische und soziale Leben des Landes inklusive Nordirlands.Über diese jüngsten Ursachen hinaus sind die Spannungen auch die Frucht der Spaltungspolitik des britischen Imperialismus. Um den Unabhängigkeitskrieg des irischen Volkes für Großbritannien so kostengünstig wie möglich zu beenden, spaltete er 1922 die Insel nach das Motto „Teile und herrsche“ und behielt Nordirland im Königreich. Durch diese Teilung entstand ein Nordirland, in dem der Konflikt zwischen protestantischen Unionisten und Katholiken jedes Klassenbewusstsein überlagert, zum größten Nutzen der Bourgeoisie.
Heute reißt der Brexit die Wunden des latenten Bürgerkrieges wieder auf, der zwischen 1972 und 1998 wütete und mehr als 3.000 Opfer forderte: in Irland wie in Großbritannien, in den katholischen wie in den protestantischen Familien. Doch auch vor 23 Jahren geschlossene Friedensabkommen hat Nordirland nicht vor der Krise des Kapitalismus in Sicherheit gebracht. Es bleibt die ärmste Provinz Großbritanniens.
Für die Jugendlichen, die an den jüngsten Unruhen teilgenommen haben, war dies sicher auch ein Ventil für ihre Wut über den Mangel an Perspektiven in der heutigen Gesellschaft. Doch die Wut gegen den katholischen Bevölkerungsteil zu richten, deren Jugend genau in derselben sozialen Ausweglosigkeit steckt wie sie selbst, ist eine katastrophale Sackgasse.Angesichts der Krise kann nur der Kampf der Arbeiterklasse gegen die Zwänge des Kapitalismus eine Perspektive eröffnen. Sich in nationalistischen oder religiösen Gemeinschaften abzuschotten, kann einen von diesem Kampf nur entfernen, der der Kampf aller Ausgebeuteten ist.
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Afghanistan: Die Besatzer hinterlassen ein lebensgefährliches Trümmerfeld
US-Präsident Biden und die NATO planen, ihre Truppen bis September aus Afghanistan abzuziehen, in das sie nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingefallen waren. 20 Jahre lang haben die USA und ihre Verbündeten, darunter Deutschland, die Städte Afghanistans militärisch besetzt. Sie haben Militäreinsätze und Bombenangriffe im Hinterland geführt – alles angeblich mit dem Ziel, gegen den Terrorismus und das mittelalterliche Unterdrückerregime der Taliban zu kämpfen.
In Wahrheit haben sie alles nur noch schlimmer gemacht. Auf dem Nährboden von Dauerkrieg und bitterster Armut haben sich so viele bewaffnete Kriegsbanden entwickelt wie noch nie und häufen sich Überfälle und Anschläge. Die einen sind mit den westlichen Besatzungsmächten verbündet, andere mit den Warlords, den Opiumschmugglern… oder den Taliban, die mittlerweile der Verhandlungspartner der USA geworden sind.
Die Bevölkerung, allen voran die Frauen und die Armen, sind die Hauptopfer dieser Entwicklung. Doch anders als die Truppen der imperialistischen Großmächte, die dieses Chaos und die Zerrüttung verursacht haben, können sie nicht einfach abziehen. Im Gegenteil: Deutschland und andere Staaten schieben sogar diejenigen, die dem Wahnsinn entfliehen konnten, teilweise wieder in die Hölle ab. Schließlich hätten die westlichen Truppen hier ja für „Sicherheit und Demokratie“ gesorgt!