Leitartikel
-
Corona: Die kapitalistische Profitlogik ist mörderisch
Endlich sollen sich also alle einmal pro Woche kostenlos testen lassen dürfen. Warum erst jetzt? Schon seit Monaten hätte man kostenlose Tests anbieten können. Viele Ansteckungen wären verhindert worden. Doch erst jetzt, da die Regierungsparteien im Wahlkampf sind und daher trotz wieder steigender Infektionszahlen möglichst viel öffnen wollen, da geht das auf einmal.
Währenddessen läuft das Wichtigste – die Impfungen – noch immer im Schneckentempo: Weil noch immer viel zu wenig Impfstoff ankommt, genau wie fast überall auf der Welt. Mit Ausnahme einiger weniger Staaten stehen alle da und warten. Weil die Impfstoffhersteller sich weigern ihre Patente freizugeben, und andere Pharmakonzerne lieber weiter an „ihren“ Impfstoffen forschen, statt in ihren Anlagen die Impfstoffe ihrer Konkurrenten zu produzieren, was ihnen nicht genug Gewinn bringt.
Mit dem Ergebnis, dass sich das Virus noch länger ausbreiten und noch mehr Menschen töten kann, und dass die Gefahr von Mutationen wächst, gegen die die Impfungen gar nicht mehr wirken. Und dann geht alles von vorne los! Doch die Regierungen sind unfähig und unwillig, sich über diese kurzsichtigen und kriminellen Profitinteressen der Konzerne hinwegzusetzen.
Aus demselben Grund haben die meisten von ihnen nicht einmal versucht, mit frühzeitigen und konsequenten Maßnahmen die Ansteckungen auf fast Null zu reduzieren. Einige Länder in Asien und dem Südpazifik allerdings sind diesen Weg gegangen. Sie haben die Pandemie so in den Griff bekommen, haben unendlich weniger Todesopfer und können seitdem ein halbwegs normales Leben führen, was am Ende sogar für die Kapitalisten besser war.Doch die allermeisten Regierungen wollen sich nicht über den Druck der einzelnen Unternehmer hinwegsetzen oder gar konsequente Maßnahmen gegen deren kurzfristigen Interessen ergreifen. Sie beschränken sich seit einem Jahr darauf zu versuchen, die Infektionen soweit im Zaum zu halten, dass die Intensivstationen nicht überlaufen und die Wirtschaft halbwegs weiterlaufen kann. Dafür nehmen sie unzählige Opfer in Kauf.
Jedes Mal, wenn die Zahlen wieder anfangen zu steigen, zögern die Regierungen Maßnahmen zu ergreifen, um „der Wirtschaft nicht zu schaden“. Sie zögern so lange, bis das Virus sich irgendwann unkontrolliert und massiv ausgebreitet hat. Und dann dauert es Monate, bis es wieder halbwegs unter Kontrolle ist. Auch deshalb, weil die Regierungen dann zwar das soziale Leben einfrieren und Schulen und Geschäfte schließen, aber die Großkonzerne selbst dann nicht zwingen, ihre nicht-lebenswich-tigen Produktionen herunterzufahren.
Seit einem Jahr wiederholt sich dieses Szenario vielerorts immer wieder.In Deutschland hatte die Regierung im Frühjahr frühzeitig eine Reihe Maßnahmen ergriffen, was ein wichtiger Grund war, warum es hier damals nicht ganz so dramatisch war wie in vielen anderen Ländern. Doch seit dem Sommer verhalten sie und die Landesregierungen sich wie all die anderen Regierungen.
In den letzten drei Monaten hat dies fast 50.000 Menschen das Leben gekostet. 50.000, von denen viele noch leben könnten, wenn die Regierung rechtzeitig und konsequent gehandelt hätte.
Und wenn sie zur Verhinderung von Ansteckungen alle Ressourcen mobilisiert hätte: Wenn sie für die Produktion und Durchführung von viel mehr Tests gesorgt hätte; wenn sie diejenigen, die (vorübergehend) ohne Arbeit dastehen, zu einem vernünftigen Lohn eingestellt und geschult hätte, um Tests durchzuführen, Schulkinder in Kleingruppen zu beaufsichtigen, das Personal in Altenheimen und Kliniken zu unterstützen… Stattdessen war nicht einmal genug Personal da, um todkranke Corona-Patienten in ihren letzten Stunden zu begleiten. Viele starben ganz allein.Die Regierungen rechtfertigen ihre Politik damit, dass man doch an die Wirtschaft denken müsse und „zu viel“ Gesundheitsschutz die „Wirtschaft kaputt mache“. In Wahrheit sieht man an Ländern wie Brasilien, Großbritannien oder den USA, dass genau die Länder, deren Staatschefs am extremsten nach diesem Motto gehandelt und sich geweigert haben, irgendwelche Maßnahmen gegen Corona zu ergreifen, am Ende gesundheitlich UND wirtschaftlich am schlechtesten dastehen.
Die Großkapitalisten können damit leben. Sie finden dank der Regierungen immer einen Weg, sich an der Krise noch zu bereichern. Aber für alle anderen ist die dadurch verschärfte Wirtschaftskrise eine Katastrophe. Und sie wird auch nicht vorbei sein, wenn die meisten geimpft sind.Für die Millionen, die ihre Arbeit verloren oder nun deutlich weniger Lohn haben, wird nämlich nicht „alles wieder wie vorher“. Für die ruinierten kleinen Selbstständigen ebenfalls nicht.
Mit der Krise sind außerdem rechtsextreme Ideen stärker geworden, vermischt mit Verschwörungstheorien – sowie Gruppen, die diese Ideen mit (Waffen-)Gewalt vertreten. Auch hat sich der weltweite Kampf der Konzerne um den geschrumpften Profit verschärft, angefangen bei dem Kampf, den sie jeden Tag in den Betrieben gegen uns Arbeitende führen. Für uns alle wird die Krise damit ernsthafte, gefährliche Folgen haben.
Seit Jahrzehnten versuchen sie uns einzureden, der Kapitalismus sei das einzige System, das funktioniere. Doch er funktioniert eben nicht. Konkurrenzkampf und Profitgier machen ihn unfähig, ein Virus effizient zu bekämpfen. Ebenso wie irgendein anderes ernsthaftes Problem. Im Gegenteil, der Kapitalismus selbst ist die größte Bedrohung für die Menschheit.
Internationales
-
Myanmar: Massenproteste und Streiks trotzen der Militärgewalt
Der Militärputsch in Myanmar hat eine Welle von Demonstrationen und Streiks ausgelöst – einen Aufstand bisher nicht gekannten Ausmaßes in diesem Land mit seinen 54 Millionen Einwohnern. Jeden Tag gehen Hunderttausende auf die Straßen, um die Freilassung der gewählten Regierung zu fordern, die das Militär abgesetzt und eingesperrt hat. Ein Großteil der Eisenbahner, Lehrer, des Pflegepersonals und der Arbeitenden staatlicher Betriebe sind im Streik, um das Militär in die Knie zu zwingen. An manchen Tagen streiken außerdem die Arbeitenden der allermeisten privaten Fabriken, Geschäfte und Banken.
Das Militär hatte gedacht, die Proteste mit brutaler Gewalt schnell ersticken zu können. Über 50 Demonstranten wurden bereits erschossen, hunderte verletzt. Über 1.500 wurden verhaftet, unter ihnen viele ganz junge Schüler und Studierende sowie Vertreter der Streikenden. Militäreinheiten versuchen Streikende mit vorgehaltener Waffe wieder an die Arbeit zu zwingen. Doch statt sie einzuschüchtern, hat die brutale Gewalt zu noch mehr Empörung, Solidarität und Entschlossenheit der Kämpfenden geführt. All das bringt die Armee ernsthaft in Bedrängnis, die seit Jahrzehnten zu herrschen gewohnt ist.
Seit 1962 war die ehemalige britische Kolonie eine Militärdiktatur. Erst 2011 akzeptierte das Militär unter internationalem Druck und einer anhaltenden Oppositionsbewegung die Einrichtung einer zivilen Regierung. Das Militär ließ jedoch in der Verfassung festschreiben, dass 25% der Parlamentssitze sowie die Posten des Verteidigungs-, Innen- und Grenzschutzministers weiterhin von der Armee bestimmt werden.
Die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi, die unter der Militärdiktatur jahrelang im Gefängnis gesessen hatte, übernahm 2015 unter diesen Bedingungen die Leitung dieser Regierung. Sie und ihre Partei NLD waren also bereit, sich die Macht mit dem Militär zu teilen und dessen entscheidende Machtbasis nicht anzutasten. Fünf Jahre lang tat Aung San Suu Kyi alles, um das Militär nicht zu verärgern und von ihm akzeptiert zu werden. Dafür leugnete sie sogar die brutale Verfolgung und den Massenmord an der muslimischen Minderheit der Rohingya durch das Militär.Doch als die NLD bei den Parlamentswahlen 2020 dann über 80% der Stimmen erhielt, bekam das Militär offensichtlich Angst, dass die NLD nun versuchen könnte, die Verfassung zu ändern und dem Militär auch einen Teil seiner wirtschaftlichen Macht streitig zu machen. Das Militär hat nämlich einen bedeutenden Teil der Wirtschaft unter seiner Kontrolle, insbesondere die wichtigsten Rohstoffquellen Erdgas und Edelsteine sowie die öffentlichen Banken. Und diese Quellen großen Reichtums hätten die rivalisierenden Unternehmer in der NLD gerne für sich. Um all dies zu verhindern, putschte das Militär.
Die Regierungen der USA, Japan oder der EU haben seitdem zwar Protestnoten gegen den Putsch verfasst. Doch hinter der Fassade geht das lukrative Geschäft ihrer Öl- und Autokonzerne mit Myanmars Militär ganz selbstverständlich weiter.
Die Entschlossenheit der Protestierenden zeigt, dass ein Großteil der Bevölkerung Myanmars sich weigert, noch länger vom Militär regiert zu werden. Doch in diesem Kampf können sie sich nicht auf Aung San Suu Kyi und die Politiker der NLD verlassen. Sie haben bereits bewiesen, dass sie nicht bereit sind, die Machtbasis des Militärs wirklich anzugreifen. Wenn die Protestierenden nicht zum Spielball einer bürgerlichen Partei werden wollen, die vor allem selber herrschen will, wenn sie nicht wollen, dass all ihr Mut, ihre Kampfbereitschaft und ihre Opfer am Ende umsonst waren, muss die Arbeiterklasse sich eigenständig organisieren und die Proteste bis zu einer Revolution führen, die die Militärmacht an der Wurzel beseitigt und die wirtschaftliche Macht in die Hände der Bevölkerung legt.
-
Die Familie Windsor: Der Fluch der Mumie
Nach dem Interview von Prinz Harry und seiner Frau Meghan ist deren Familiendrama zu einer internationalen Staatsaffäre geworden. Der britische Premierminister Johnson beeilte sich, der Königin und der Monarchie seinen tiefsten Respekt zu versichern. Internationale Medien, „Spezialisten“ und selbst der Sprecher des Weißen Hauses debattierten darüber, ob die Windsors wohl rassistisch sind.
So erstaunlich ist das nun nicht. Die Königsfamilie ist geprägt von Verachtung und Gleichgültigkeit gegenüber den Arbeitenden und Armen, was oft mit Rassismus einhergeht. Und sitzen die Windsors nicht seit 1714 auf dem Thron? Unter ihrer Herrschaft blühte der Sklavenhandel, dann die brutalste Ausbeutung der entstehenden Arbeiterklasse und die des riesigen Kolonialreichs mit seinen unzähligen Massakern an ihren „Untergebenen“ und Militäreinsätzen bis in die heutige Zeit.Doch das Rückschrittlichste an dieser Geschichte ist nicht die mumifizierte Königsfamilie, die eigentlich in ein Museum gehört. Es ist die Tatsache, dass die britische Bourgeoisie diese Königsfamilie mehr als drei Jahrhunderte nach ihrer Revolution noch immer als Symbol ihres Landes und zur Schaffung eines Nationalgefühls nutzt. Und dass die Herrschenden all dieser angeblich modernen Großmächte dabei voller Respekt mitmachen. Wenn Lächerlichkeit die Verteidiger einer überkommenen Gesellschaftsordnung zu Staub zerfallen lassen würde, bräuchte man keine Revolutionen.
(Der Artikel ist eine gekürzte Fassung eines Artikels unserer französischen Genoss*innen von Lutte Ouvrière in ihrer gleichnamigen Zeitung vom 10.März.2021.)