Leitartikel
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Ihre Zukunftsvorstellung: (Grund)rente für alle… ab 69 Jahren?
Anderthalb Millionen Rentnerinnen und Rentner, die nur eine Armutsrente haben, obwohl sie 35 Jahre und länger geschuftet haben, werden künftig die „Grundrente“ der Regierung bekommen. Die meisten von ihnen haben damit rund 100 Euro mehr im Monat. Als Alleinstehende haben sie dann 900 oder 1.000 Euro im Monat zum Leben. Und das nennt die Regierung eine „Ehren-rente für lebenslange harte Arbeit“!
Nein, die Grundrente befreit nicht aus der Altersarmut. Mit ihr wird man weiter jeden Tag rechnen müssen, wird bei jeder Stromnachzahlung oder kaputten Waschmaschine zu den Tafeln gehen oder Schulden machen müssen. Und die Regierung gibt offen zu, dass in absehbarer Zeit die Hälfte aller Arbeitenden solche Armutsrenten haben wird!
Wie sollte es auch anders sein? Seit Jahren vernichten alle Konzerne feste Tarifarbeitsplätze oder lagern sie an Subfirmen mit Niedriglöhnen aus. Immer mehr Arbeitende bekommen nur noch Teilzeit- oder befristete Jobs, wo sie zwischendurch immer wieder arbeitslos werden. Diese Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne sind der Hauptgrund für die niedrigen Renten. Und die derzeitigen Entlassungen in vielen Betrieben, und erst recht die Werksschließungen wie bei Knorr, Michelin oder Continental bedeuten, dass weitere Zehntausende (die bislang auf eine halbwegs sichere Rente hoffen konnten) in Altersarmut gestürzt werden.
Die Regierung hat mit zig Reformen ebenfalls die Renten gesenkt – und senkt sie weiter. Hinter dem Feigenblatt der Grundrente wird das Rentenalter schrittweise auf 67 Jahre erhöht. Und sie reden sogar schon davon, es auf 69 Jahre anzuheben! Warum nicht gleich arbeiten bis zum Tod?
Die Erhöhung des Rentenalters aber läuft darauf hinaus, dass immer mehr Arbeitende schon lange vor dem Rentenalter entweder arbeitslos oder so krank werden, dass sie nicht mehr arbeiten können – was in beiden Fällen drastisch gekürzte Renten und ein Lebensende in Armut bedeutet.Ja, Kapitalisten und Regierung zerstören systematisch unsere Löhne und Renten. Und dann tun sie noch so, als würden sie uns mit der Grundrente ein gnädiges Geschenk machen. Was für eine Umkehrung der Tatsachen!
Die Rente ist kein Almosen, und wir Arbeiter keine Bettler. Wir haben ein Recht, von unseren Löhnen und Renten sorgenfrei leben zu können. Ob wir Frisörin, Lagerarbeiter, Paketbote, Altenpfleger, Busfahrerin oder Putzfrau sind, ob wir in Voll- oder Teilzeit arbeiten oder in Rente sind – keiner dürfte weniger als 1.800 Euro Netto bekommen!Denn wir erzeugen mit unserer Arbeit allen Reichtum dieser Gesellschaft. Nicht nur das kleine bisschen, das wir als Lohn oder Rente bekommen. Wir erarbeiten auch alles, was die Unternehmer an Steuern oder Rentenbeiträgen zahlen. Und natürlich den gigantischen Reichtum, den sich die Kapitalisten in die Tasche stecken.
Die Regierung hingegen ist so sehr damit beschäftigt, den Kapitalisten noch mehr Geld zuzuschanzen, dass sie selbst ihre kleine Grundrente – mit der sie den Wählern ihr soziales Gewissen beweisen wollte – letztlich den meisten armen Rentnern verweigert.
Sie verweigert sie Millionen Rentnern, die keine 35 Beitragsjahre voll haben, zum Beispiel weil sie krank geworden sind – oder weil sie zwischendurch mehrere Kinder großgezogen haben.
Ebenso verweigert sie sie drei Millionen Rentnerinnen, die zwar 35 Jahre und länger eingezahlt haben, deren Ehepartner aber angeblich „zu viel“ verdient. Eine Verkäuferin zum Beispiel, die 40 Jahre an der Kasse gestanden und nun 600 Euro Rente hat – und deren Mann als Stahlarbeiter 1.500 Euro Rente bekommt, erhält die Grundrente nicht… weil es ihr laut der CDU „zu gut“ geht!
Am gleichen Tag aber, als die Regierung nach zwei Jahren (!) Diskussion 1 Milliarde Euro für die Grundrente bereitgestellt hat, hat sie 10 Milliarden Euro bereitgestellt, um Firmen bei der Digitalisierung zu unterstützen. Da hat sie natürlich nicht gefragt, ob es den Firmen nicht vielleicht „zu gut“ für diese staatliche Hilfe geht. Ebenso wenig, als sie beschlossen hat, Firmen mit über einer Milliarde Euro beim Kauf von E-Dienstwagen zu sponsern. Und den Energie-, Auto- und Immobilienkonzernen, die mit dem „Klimapaket“ bis zu 50 Milliarden Euro geschenkt bekommen, geht es nicht zu gut für staatliche Hilfen?Ohne mit der Wimper zu zucken, überhäuft die Regierung die reichen Kapitalisten mit unendlichen Summen – und plündert dafür die öffentlichen Kassen.
Also nein, es mangelt nicht an Reichtum in diesem Land. Die unfassbaren Reichtümer der Konzerne und die großzügigen Geschenke der Regierung an sie führen es uns jeden Tag vor Augen. Und wenn wir Arbeitenden, die einzige produktive Klasse der Gesellschaft, trotzdem immer ärmer werden – dann weil es das Kräfteverhältnis den Kapitalisten ermöglicht, einen immer größeren Teil dieses Reichtums an sich zu reißen.
Die kapitalistische Klasse benutzt dafür alle ihre Machtmittel: Sie benutzt die Tatsache, dass sie Unternehmen und Banken wie auch die Presse besitzt – außerdem einen ganzen Staatsapparat, der ihr zu Diensten ist.
Doch wir Arbeitenden verfügen über ein noch größeres Machtmittel: Denn wir machen die gesamte Arbeit in dieser Wirtschaft. Ohne uns läuft gar nichts. Diese entscheidende Rolle verleiht uns die Möglichkeit und die Kraft, den Kampf gegen diese parasitäre kapitalistische Klasse und ihre Angriffe aufzunehmen und gemeinsam das Kräfteverhältnis umzukehren – und damit auch der ganzen Gesellschaft eine andere Zukunft zu eröffnen.
Internationales
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Irak: Massenproteste gegen Armut, Korruption und die religiösen Parteien
Seit bald zwei Monaten gehen Hunderttausende vor allem junge Menschen im Irak auf die Straße. Mutig stellen sie sich den Machthabern entgegen und verlangen Arbeit, würdige Lebensbedingungen, das Ende der Korruption und den Rücktritt der Regierung und aller korrupten Politiker. Nach all den Jahren des Krieges und des Lebens in einem zerstörten Land brechen sich in den Protesten die sozialen Forderungen der Bevölkerung und ihr Wunsch nach einem würdigen Leben Bahn.
Die Regierung reagiert mit brutaler Gewalt. Sie hat bereits über 300 getötet und 15.000 verletzt. Doch es gelingt ihr nicht, die Massenproteste einzudämmen. Viele können und wollen die jetzigen Zustände einfach nicht mehr ertragen. „Wir haben keinen Öffentlichen Dienst mehr, keine Krankenhäuser. Die Schulen sind in erbärmlichem Zustand, alles wird immer schlimmer. 90% der Leute haben hier keine wirkliche Arbeit“, klagt ein Arbeiter aus den Arbeitervororten Bagdads das Regime an.
Die Arbeitslosigkeit trifft ganz besonders junge Leute, die gegen den Islamischen Staat gekämpft haben und die sich nun ohne Arbeit und Zukunft auf der Straße wiederfinden.Die Wut richtet sich insbesondere gegen die unerträgliche Korruption auf allen Ebenen des Staates, angefangen bei der Regierung und den religiösen Parteien unterschiedlichster Glaubensrichtungen, die sie unterstützen. Selbst nach offiziellen Angaben haben die korrupten Politiker 410 Milliarden Dollar an staatlichen Geldern abgezweigt und auf ihre Privatkonten geschafft, seit das Regime 2003 von den USA installiert wurde.
Damals hatten die USA den Irak nach einem zerstörerischen Krieg besetzt. Um das Land besser unter Kontrolle zu halten, führten sie eine neue Verfassung ein, in der sie den Irak nach religiöser und ethnischer Zugehörigkeit ordneten. Sie teilten den Irak in eine schiitische, eine sunnitische und eine kurdische Zone und zwangen jede Bevölkerungsgruppe, eigene Parteien zu gründen. Vorher hatte es nur irakische Parteien gegeben, jetzt gab es dank den USA auf einmal sunnitische, schiitische und kurdische Parteien, die alle korrupt waren – und alle außerdem ihre eigenen bewaffneten Milizen gründeten.
Diese Milizen fanden in dem völlig ausgebeuteten, zerrütteten und gespaltenen Land einen idealen Nährboden. Sie wurden immer stärker, terrorisierten die Bevölkerung und bekriegten sich gegenseitig – insbesondere weil viele dieser Milizen von unterschiedlichen Großmächten bewaffnet und unterstützt werden, die sich um den Einfluss im Irak streiten: allen voran die USA und der Iran. Die vom Iran zur Bekämpfung des IS gegründeten Milizen sind derzeit besonders stark und beherrschen vielerorts das Leben der Menschen.
Während der Imperialismus dafür gesorgt hat, dass das Land von konkurrierenden religiösen Milizen beherrscht wird, setzen sich die Massenproteste über alle diese Spaltungen hinweg. Die Demonstrationen richten sich gegen die Machthaber, Parteien und Milizen jeder religiösen Richtung. Denn hinter ihrem religiösen Etikett sind sie überall gleich – und ebenso die Lebenssituation der Bevölkerung. „Im Namen der Religion plündern uns die Diebe aus!“, rufen sie in den Demonstrationen.
Ein 22-jähriger Student erklärt: „Wir finden keine Arbeit, wenn wir nicht einer Partei beitreten. Wir haben die Nase voll vom Rassismus, von der Spaltung nach Religionszugehörigkeit. Wir wollen einfach Iraker sein und von kompetenten Leuten regiert werden.“Gerade das aber ist der springende, alles entscheidende Punkt: Der ständige Kriegszustand und das daraus resultierende Elend lassen sich nicht durch einen einfachen Regierungswechsel beenden. Denn neben den Herrschern vor Ort sind hierfür auch und vor allem die Herrschenden der imperialistischen Staaten verantwortlich, angefangen bei dem mächtigsten von ihnen: den USA.
Einen Ausweg aus ihrer unerträglichen Lage gibt es für die arbeitende Bevölkerung nur dann, wenn sie sowohl die imperialistische Herrschaft in Frage stellt als auch die mit den Imperialisten verbundenen lokalen Machthaber stürzt.
Die Massen im Irak sind in der Region nicht allein mit ihren Kämpfen und Hoffnungen. Auch im Libanon und jetzt sogar im Iran gehen derzeit Hunderttausende für ein würdiges Leben auf die Straße. Ebenso wie in zahlreichen Ländern auf dem südamerikanischen Kontinent.
Durch diese Kämpfe kann die arbeitende Klasse Mut und Energie schöpfen. Sie kann anfangen, sich zu organisieren und vor allem ein Bewusstsein ihrer eignen Interessen und ihrer Perspektiven entwickeln.