Leitartikel
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Mietproteste: Für die entschädigungslose Enteignung der Konzerne
Am 6. April haben Zehntausende gegen den Wahnsinn der explodierenden Mieten demonstriert. Allein in Berlin hat sich die durchschnittliche Miete in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Immer mehr werden von ihnen regelrecht erdrosselt, während Immobilienkonzerne wie Vonovia oder Deutsche Wohnen an der Börse ihre Profite feiern.
Die Forderung der Demonstranten, diese profitorientierten Wohnungskonzerne deswegen zu enteignen, hat bei den Politikern insbesondere von CDU, CSU, FDP und AfD Empörung ausgelöst.
Ja, diese Politiker vergießen keine Träne, wenn Immobilienkonzerne Rentner nach Jahrzehnten aus ihrer Wohnung vertreiben. Wenn sie mit Schein-Sanierungen die Mieten in die Höhe treiben… und Arbeiterfamilien dann mit der Polizei aus der Wohnung werfen lassen, weil sie die Miete nicht mehr zahlen können. Oder wenn Vonovia ein Viertel seiner Arbeiter entlässt, um „fit für die Börse zu sein“.
Für die herrschenden Politiker haben die Kapitalisten das Recht, die Arbeiter zu enteignen: ihnen ihren Arbeitsplatz oder ihre Wohnung zu rauben. Doch die Kapitalisten enteignen und den Wohnungsbau verstaatlichen zu wollen, ist für sie ein Verbrechen.
Als nach dem 2. Weltkrieg alles in Trümmern lag, hat der Staat viele Milliarden ausgegeben und Millionen Wohnungen gebaut. Doch seit Beginn der kapitalistischen Krise brauchen die Kapitalisten neue Profitquellen. Deshalb wurden die von der Allgemeinheit aufgebauten und bezahlten Bereiche wie Strom, Post, Telekom sowie Teile der Krankenhäuser und der Bahn privatisiert. Und genauso wurden ab 1988 große Teile des öffentlichen Wohnungsbestandes an Privatfirmen verscherbelt. Um ein paar Schulden loszuwerden, verschleuderte die Stadt Berlin zum Beispiel Wohnungen für 400 Millionen €, die nun das Zwanzigfache wert sind!
Wohnungen sind seitdem zu einem reinen Spekulationsobjekt geworden. Das hat die Mieten so sehr nach oben getrieben, dass in Städten wie Hamburg oder Frankfurt selbst Familien mit zwei halbwegs vernünftigen Einkommen kaum noch bezahlbare Wohnungen finden.Die Immobilienkonzerne haben außerdem nur noch Wohnungen gebaut, die sie teuer verkaufen oder vermieten können – für Arbeiterfamilien bezahlbare Wohnungen hingegen fast gar nicht. Der Mangel an Sozialwohnungen zwingt die ärmere Bevölkerung, bei Vonovia, und Co. wohnen zu bleiben, selbst wenn sie die Miete kaum noch aufbringen kann. Und diese können dreist jedes Jahr die Miete erhöhen, obwohl sie nicht mal das Nötigste renovieren.
Und reden wir gar nicht erst von den Hedge-Fonds, die Häuser kaufen, eine Zeit lang die Miete kassieren und dann wieder verschwinden – und nicht einmal telefonisch erreichbar sind, wenn Aufzug oder Heizung nicht funktionieren. Bis die Feuerwehr am Ende ganze Hochhäuser wie in Dortmund oder Duisburg räumen muss, weil sie durch mangelnde Reparaturen und Brandschutz lebensgefährlich geworden sind.
Unter dem Druck der anhaltenden Mieterproteste hat die rot-rot-grüne Landesregierung in Berlin jetzt angefangen, ein paar Wohnungen zurückzukaufen – allerdings zum Teil für den zehnfachen Preis, für den sie die Wohnungen an die Immobilienkonzerne verschleudert hatte. Der Rückkauf ist also ein neues Geschenk an die Kapitalisten, das die Bevölkerung teuer bezahlen muss.
Eine solche Politik hat Grünen-Chef Habeck gemeint, als er erklärt hat, „im Notfall“ solle der Staat auch einzelne Grundstücke enteignen. Denn auch für die Grünen, die Linken und Teile der SPD, die heute über Enteignungen reden, ist das Eigentum der Kapitalisten heilig. Sie wollen es nicht enteignen, sondern es ihnen in Ausnahmefällen – ob freiwillig oder nicht – mit einer satten Entschädigung abkaufen, die die Bevölkerung zu bezahlen hat.
Nein! So wie man einem Einbrecher die Diebesbeute ohne Entschädigung und Abkauf abnimmt, muss man es auch mit den Wohnungen machen!
Die Demonstranten „gegen den Mietenwahnsinn“ haben Recht, wenn sie den Wahnsinn einer Gesellschaft anprangern, in der der Profit einer kleinen Minderheit über den elementarsten Bedürfnissen der Menschen steht.
Sie machen zu Recht darauf aufmerksam, dass es schädlich und gefährlich ist, die Entscheidungsgewalt über solche lebenswichtigen Fragen in den Händen einer Handvoll Aktionäre zu lassen.
Und auch wenn dazu selbstverständlich kein einfacher Volksentscheid ausreicht: Ja, es ist notwendig, dass man ihnen diese Macht wegnimmt!Und das gilt nicht nur für die Wohnungsfrage. Ob es um die Herstellung von Lebensmitteln oder Waffen, um die Herstellung von Autos, ob es um Strom, Wasser, Krankenhäuser oder die Bahn geht, um die Entscheidungen der Chemie- und Pharmakonzerne oder der Banken: Überall ist es schädlich und lebensgefährlich, wenn darüber eine Handvoll Kapitalisten entscheidet, deren einzige Richtschnur der Profit ist.
Alle wichtigen Bereiche der Wirtschaft müssen in den Händen und unter der Kontrolle der Arbeiter sein – und nach den Bedürfnissen der Allgemeinheit organisiert werden.
Freiwillig oder per Gesetz werden die Kapitalisten sie allerdings niemals hergeben. Die Arbeiterklasse wird sie ihnen wegnehmen müssen. Sie wird die Macht der Kapitalisten stürzen müssen.
Eine solche revolutionäre Änderung der Gesellschaft ist die einzige Perspektive, für die Arbeiter und die gesamte Gesellschaft.
Internationales
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Algerien, Sudan: Die machtvollen Massenproteste und ihre Lehren
Die Bevölkerung in Algerien und im Sudan hat es mit entschlossenen Massenprotesten geschafft, Diktaturen zu erschüttern, die Jahrzehnte an der Macht waren. Sie haben bewiesen, dass die einfache Bevölkerung eine enorme Macht haben kann, wenn sie gemeinschaftlich und entschlossen kämpft.
Im Sudan hat die Bevölkerung nach vier Monate langen Massendemonstrationen am 11. April den Diktator zum Rücktritt gezwungen. Die Armee hat stattdessen die Macht übernommen und gehofft, so die Proteste zu beenden.
Weit gefehlt! Schon am nächsten Tag gingen die Massen gegen die Militärherrschaft auf die Straße und zwangen den Chef der selbsternannten Militärregierung ebenfalls zum Rücktritt.
In Algerien hat die Bevölkerung in wochenlangen Massenproteste ebenfalls den Herrscher gestürzt. Die daraufhin aus Ministern des alten Regimes gebildete Übergangsregierung hat Neuwahlen im Juli angekündigt. Doch die Bevölkerung misstraut ihnen, und so gehen die Massendemonstrationen und Streiks weiter: Die Menschen wollen verhindern, dass sich nicht nur die Fassade des Regimes ändert, während im Staats- und Militärapparat alles beim Alten bleibt.
Doch genau hierin liegt die große Herausforderung. Die herrschende kapitalistische Klasse hat ein ganzes politisches Arsenal sowie Polizei und Militär zu ihrer Verfügung, um ihre Herrschaft zu verteidigen. Diese politischen und militärischen Handlanger beherrschen viele Täuschungsmanöver, um die Mehrheit der ärmeren Bevölkerung zu überlisten und ihre Proteste in die Sackgasse zu führen.Und wenn diese Tricks nicht mehr funktionieren, setzen sie Militär- und Polizeigewalt zur Unterdrückung ein.
Die herrschende Klasse gibt niemals kampflos auf. Deshalb können die unterdrückten Klassen nur siegen, wenn sie nicht unbewaffnet gegenüber einer bewaffneten herrschenden Klasse bleiben.Die Massenbewegungen in beiden Ländern machen deutlich, was für eine Macht die Unterdrückten sein können. Sie – und die Arbeiterklasse im Besonderen – haben die Kraft und die Fähigkeit, die Gesellschaft grundlegend zu ändern und Ausbeutung und Unterdrückung zu beenden.
Unter einer Bedingung: Sie müssen sich Organisationen aufbauen, die fähig sind, ein Generalstab der Arbeiter gegenüber dem Generalstab der kapitalistischen Klasse zu werden – angefangen bei einer Partei, in der die Arbeitenden sich wiederfinden, die die Tricks und Fallen der Herrschenden entlarven und eine Politik im Interesse der arbeitenden Klassen vorschlagen kann.
Dies gilt im Sudan und Algerien genau wie bei uns. -
Kommunalwahlen in der Türkei: Eine Ohrfeige für Erdogan
Es ist eine erdrutschartige Niederlage. In quasi allen großen Städten der Türkei hat Erdogans Partei AKP die Kommunalwahlen verloren, darunter die ihm wichtigsten: Istanbul und die Hauptstadt Ankara.
Und das, nachdem Erdogan in den letzten Jahren vor keinem Mittel zurückgeschreckt ist, um seine Macht zu sichern.
Er hat hunderttausende Kritiker und vermeintliche Regime-Kritiker aus dem Öffentlichen Dienst entlassen und verhaften lassen und so ein Klima der Angst geschürt. Er hat nationalistische Hetze und Gewalt geschürt, insbesondere durch einen neuen Krieg gegen die Kurden in der Türkei und im Ausland. Er hat reihenweise kritische Journalisten verhaften lassen und 95% der Medien unter seine Kontrolle gebracht, die Tag und Nacht für ihn Propaganda machen. Und bei Wahlergebnissen hat er gerne mal nachgeholfen.
Doch all das hat nicht mehr geholfen. Die Realität der Wirtschaftskrise, der Arbeitslosigkeit, der steigenden Preise und der arbeiterfeindlichen Sparmaßnahmen der Regierung waren stärker. Mit nationalistischen Parolen kann man keinen Einkaufskorb füllen.
Viele ehemalige Anhänger Erdogans sind nicht mehr wählen gegangen oder haben die Oppositionsparteien gewählt. Diese jedoch – ein Bündnis aus der sich sozialdemokratisch nennenden, nationalistischen CHP und einer Abspaltung der rechtsextremen MHP (der Grauen Wölfe) – sind ebenso Feinde der Arbeiter. Sie haben bereits erklärt, dass sie mit Erdogans Regierung „zum Wohle des Landes“ zusammenarbeiten werden.
Auf diese Oppositionsparteien werden die Arbeiter nicht zählen können, um sich gegen diesRegierung und die Konsequenzen der Krise zu verteidigen. Doch das ist auch nicht nötig. Die türkische Arbeiterklasse hat selber die Kraft und die Kampfbereitschaft hierzu. Das hat sie bereits oft genug bewiesen.
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Polen: 500.000 Lehrer im Streik
Seit dem 8. April sind in Polen mehr als eine halbe Million Lehrer im unbefristeten Streik. Sie fordern 30% mehr Lohn. Denn selbst nach 20 Jahren im Beruf verdienen sie kaum 650 Euro – der durchschnittliche Lohn in Polen liegt bei 875 Euro.
Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahren massiv Lehrerstellen abgebaut wurden. Und die Lehrer werden obendrein gezwungen, die nationalistische und traditionalistische Veränderung des Unterrichtsstoffs der rechtspopulistischen Regierung mitzumachen.
All das hat die Wut der Lehrer verstärkt und zum größten Streik geführt, den Polen seit vielen Jahren erlebt hat.
Der Unternehmerverband hat nun der Regierung sogar angeboten, einen Teil der für sie bestimmten Subventionen für die Lehrer zu verwenden, um den Streik endlich zu beenden.
Denn langsam haben sie ernsthaft Sorge, dass die Entschlossenheit der Lehrer auch anderen Arbeitern Mut und Ideen geben kann.