Leitartikel
-
Für offene Grenzen und Niederlassungsfreiheit für alle Menschen!
Presse und Politiker überschlagen sich seit Wochen darin, die ehemalige Leitung der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) anzuschwärzen. Man könnte den Eindruck gewinnen, man habe es regelrecht mit Verbrechern zu tun. Was ihnen vorgeworfen wird? Sie hätten bis zu „1.200 Menschen zu viel“ Asyl gewährt.
Entgegen den Anweisungen der Regierung haben sie bei Flüchtlingen aus dem Irak, Syrien und der Türkei nicht nach jedem Vorwand oder formalen Fehler gesucht, um das Asyl zu verweigern. Sie haben etwas menschlicher geurteilt und damit den Menschen die Angst genommen, wieder dorthin zurückgeschickt zu werden, wo sie Krieg und Verfolgung ausgesetzt sind. Das soll ein Verbrechen sein?Andere Außenstellen des BAMF (insbesondere in Bayern und Brandenburg) missbrauchen ihr Amt, um systematisch Flüchtlingen Asyl zu verweigern, die sich in Gefahr befinden und gesetzlichen Anspruch auf Asyl haben. Ist nicht eher das ein Verbrechen? Sie aber klagt niemand an.
Die BAMF-Beschäftigten in Bremen sind suspendiert und angeklagt. Anfangs wurde obendrein behauptet, sie hätten sich von den Flüchtlingen bezahlen lassen. Für diesen Vorwurf der Korruption gab es nie Beweise, ja nicht mal irgendwelche Indizien. Mittlerweile gestehen auch Politiker ein, dass die Beschäftigten wohl einfach helfen wollten.
Wenn sie von den Flüchtlingen Geld verlangt hätten, wäre dies abscheulich. Doch Seehofer oder Gauland sind die letzten, die das Recht hätten, sich darüber zu entrüsten. Mit den Flüchtlingen machen sie schließlich ihre Karriere und ihr Geld. Aber nicht, indem sie ihnen helfen – sondern mit einer Politik, durch die noch mehr Flüchtlinge ertrinken oder in libyschen Lagern gefoltert werden.
Nicht erstaunlich, dass diese Leute jetzt die Gelegenheit ergreifen, um Wahlkampf zu machen. CSU, FDP und AfD verbreiten, Merkels Flüchtlingspolitik hätte chaotische Zustände geschaffen, in denen sich Flüchtlinge ganz leicht beim BAMF Asyl erschleichen könnten.Eine Lüge! Alle Zahlen beweisen, dass das BAMF nicht „zu lasch“, sondern viel zu hart gegen Flüchtlinge vorgeht. 2016 hat es 146.000 Flüchtlingen Asyl verweigert, die dagegen geklagt haben. Und bei 44%, also bei 62.000 Flüchtlingen haben die Richter festgestellt, dass sie sehr wohl ein Recht auf Schutz hatten. Was sind die 1.200 Flüchtlinge, bei denen das BAMF die Gesetze etwas großzügiger ausgelegt hat – gegen diese 62.000 Flüchtlinge, denen es allein 2016 widerrechtlich Asyl verweigert hat?
Doch die herrschenden Politiker und Medien verbreiten lieber das Märchen, beim BAMF herrsche Chaos und Laschheit, um damit eine noch härtere Politik gegen Flüchtlinge zu rechtfertigen. Zum Beispiel begründet Seehofer damit, warum er Flüchtlinge in straff organisierte Massenlager mit bis zu 1.500 Insassen stecken und dort über ihr Asyl entscheiden will. Und die jetzt verbreitete Lüge, viele Flüchtlinge wären Asyl-Betrüger, soll auch die Empörung darüber ersticken, dass man Flüchtlinge sogar in Kriegsgebiete zurückschicken will.
Und diejenigen, die der Barbarei nicht tatenlos zusehen, stempeln sie als Verbrecher ab – wie vor einem Monat die Flüchtlinge im Lager Ellwangen. Als dort im Morgengrauen sechs Polizisten kamen, um einen 23jähigen Mann aus Togo abzuschieben, stellten sich 40 Bewohner vor den jungen Mann. Sie stellten sich vor ihn, obwohl sie wussten, dass sie für diese Tat selber abgeschoben werden könnten. Sie hatten keine Waffen, sie waren einfach nur viele… und zwangen die Polizisten so, unverrichteter Dinge wieder zu gehen.
Für diesen Reflex der Solidarität wurden sie drei Tage später von mehreren hundert Polizisten nachts überfallen, nackt gefesselt und 15 von ihnen aus dem Lager geholt und wegen Widerstands gegen die Polizei angeklagt – als wären sie Schwerstkriminelle!
All diese Menschen, die sich für andere einsetzen, denen die Herrschenden Unrecht zufügen, sind keine Kriminellen. Sie sind ein Vorbild: Piloten, die sich weigern, Flugzeuge zu fliegen, mit denen Flüchtlinge abgeschoben werden sollen. Schüler, die demonstrieren und ihre Schule besetzen, um die Abschiebung eines Mitschülers zu verhindern…Sie machen genau das, was wir überall in der Arbeiterklasse wieder brauchen!
Wie würde sich das Klima und das Kräfteverhältnis verändern, wenn ein Leiharbeiter entlassen werden soll – und die ganze Abteilung sich vor ihn stellt? Wenn 30 Arbeiter in eine schlecht bezahlte Fremdfirma ausgelagert werden sollen – und 300 Arbeiter des Betriebs dagegen in den Streik treten? Wenn eine Familie von der Polizei aus ihrer Wohnung geschmissen werden soll, weil sie die 100 Euro Mieterhöhung des profitgierigen Immobilienkonzerns nicht bezahlen kann – und die anderen Mieter des Wohnblocks dazu kommen und die Räumung verhindern?Genau das wollen die Herrschenden verhindern. Deshalb versuchen sie jedes Bewusstsein dafür zu zerstören, dass das, was heute unseren Arbeitskollegen, Nachbarn oder eben den Flüchtlingen passiert, morgen uns passieren kann. Deshalb verbreiten sie die Ideologie und Gewohnheit, dass „jeder sich selbst der nächste“ sei und man wegguckt, wenn es den anderen trifft – wodurch die ganze Gesellschaft immer unmenschlicher wird.
Und eben deshalb ist jeder Angriff der Herrschenden auf Menschen, die heute Solidarität mit anderen Ausgebeuteten üben, ein Angriff auf uns alle!
Internationales
-
USA: Streiks sind ansteckend
Seit drei Monaten geht eine spontane Streikwelle durch die Schulen in den USA.
Die Wut ist explodiert, weil die Verhältnisse sich so drastisch verschlechtert haben. In vielen Bundesstaaten haben die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes seit 2008 keine Lohnerhöhung bekommen. Stattdessen wurde ihnen Rente und Krankenversicherung gekürzt. Die Schulen wurden so zusammengespart, dass die Lehrer zum Teil aus eigener Tasche das Unterrichtsmaterial kaufen.
Doch auch ihre Löhne reichen hinten und vorne nicht mehr. Manche Lehrer müssen einen Zweitjob annehmen. Im reichen Kalifornien gibt es Lehrer, die in ihren Autos wohnen, weil sie sich von ihren 2.500 Dollar Gehalt die Miete für eine bescheidene Wohnung nicht leisten können, die in manchen Gegenden 2.000 Dollar beträgt.
Begonnen haben die Streiks in West-Virginia, wo die Lehrer und anderen Beschäftigten der Schulen neun Tage gelang gestreikt, alle Schulen geschlossen, Großdemonstrationen organisiert und so 5% Lohnerhöhung erkämpft haben. Der Erfolg war ansteckend, nach ihnen sind Lehrer spontan erst in Oklahoma, dann in Colodardo, Kentucky, Arizona und schließlich in North Carolina in den Streik getreten.
Auch da, wo es keine Gewerkschaften gibt oder der Streik sogar verboten war, haben sie trotzdem gestreikt.Angesichts ihrer Entschlossenheit sind die Regierungen überall zurückgewichen. In Arizona hatte der Gouverneur vor dem Streik 1% mehr Lohn angeboten, jetzt erhalten die Beschäftigten der Schulen 10% Lohnerhöhung sofort und weitere 10% in zwei Jahren.
2016 und 2017 gab es in den USA so wenig Streiks wie seit 1947 nicht mehr. Die Lehrer haben diese Niedergedrücktheit jetzt durchbrochen. Und es ist zu hoffen, dass sie damit anderen Beschäftigten Mut und Lust gegeben haben, es ihnen gleich zu tun.
-
Irland: ein Schritt nach vorne für die Rechte der Frauen
In einer Volksabstimmung am 25. Mai hat die große Mehrheit der Iren dafür gestimmt, dass Abtreibung endlich legal wird. Vorher gab es in Irland eines der grausamsten Gesetze Europas. Auf Druck der katholischen Kirche war Abtreibung seit 1983 in allen Fällen verboten – selbst bei Inzest, Vergewaltigung oder Lebensgefahr für die Mutter – und wurde mit lebenslanger Haft bestraft.
Seitdem gab es immer eine Minderheit von Frauen und Männern, die gegen diese unmenschlichen Gesetze gekämpft haben und für das Recht der Frauen, über ihren eigenen Körper zu entscheiden.
1992 haben sie erreicht, dass Frauen zumindest ins Ausland fahren dürfen, um dort abzutreiben. Doch dies war teuer und kompliziert und daher fast nur für Frauen aus den wohlhabenderen Schichten der Städte möglich. 2013 wurde dann die Abtreibung in ganz seltenen Fällen (zum Beispiel bei Lebensgefahr für die Mutter) möglich, und in den übrigen Fällen „nur“ noch mit 14 Jahren Gefängnis bestraft.
Wie viele Frauen sind in all den Jahren wohl an den Folgen einer heimlichen Abtreibung ohne ärztliche Betreuung gestorben, zu der das Gesetz sie getrieben hat?
Diejenigen, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzten, sind von der Kirche all die Jahre in Hetzkampagnen verleumdet, manchmal sogar körperlich bedroht worden. Doch sie haben nicht aufgegeben. Heute nun beginnt für die Frauen in Irland ein neues Kapitel. Der zähe Kampf hat sich gelohnt.
-
Italien: Wut über die Ermordung von Soumaila Sacko
Der Landarbeiter Soumaïla Sacko – ein junger Gewerkschaftsaktivist aus Kalabrien (Italien) – ist am 2. Juni ermordet worden.
Der junge Mann, der ursprünglich aus Mali kommt, hat sich für die Rechte der ausländischen Erntehelfer eingesetzt, die wie Sklaven behandelt werden. Seine Ermordung hat Wut und Entsetzen ausgelöst. Am 4. Juni kam es zu spontanen Streiks der ausländischen Erntehelfer und zu Demonstrationen in mehreren Städten Italiens.
Der Anschlag auf den jungen Gewerkschafter fand in einem Kontext statt, in dem Italien gerade eine neue, rechtsgerichtete Regierung bekommen hat und ihr Innenminister Salvini – der Chef der rechtsextremen Lega – mit widerwärtigen Maßnahmen und Sprüchen wie „Jetzt könnt ihr eure Koffer packen“ Stimmung gegen Migranten macht. Der Streik der Erntehelfer und die Demonstrationen, an denen Arbeiter italienischer wie ausländischer Herkunft gemeinsam teilnahmen, sind die beste Antwort auf alle diejenigen, die die Arbeiter spalten wollen, um sie alle einfacher der Ausbeutung unterwerfen zu können.