Das rote Tuch – Nr. 107

  • Vom Krankenhaus zur Profit- und Ausbeutungs-Maschine

    Erst hat der neue Gesundheitsminister Jens Spahn entdeckt, wie toll HartzIV angeblich die Armut bekämpft. Und nun erzählt er uns, wie toll wir im „guten deutschen Gesundheitswesen“ versorgt würden! Was meint er? Die Krankenhäuser und Pflegeheime, wo Beschäftigte von einem Patienten zum nächsten hetzen, zig Dinge gleichzeitig erledigen und nicht mal Zeit haben, Patienten zu trinken zu geben? Die Arztbesuche, wo gesetzlich Versicherte selbst notwendige Untersuchungen und Medikamente nicht bekommen?
     
    Spahn hat mit seinen arroganten Sprüchen über die angeblich „eingebildete“ Benachteiligung von gesetzlich Versicherten und unseren angeblich zu hohen Ansprüchen klargemacht: Von ihm haben wir nichts zu erwarten. Im Gegenteil, hinter ein paar leeren Worten über „Sofortmaßnahmen für die Pflege“ plant die neue Regierung, die Zustände weiter zu verschlimmern. Die Kapitalisten haben nämlich in ihrer kriselnden Weltwirtschaft das Gesundheitswesen als Möglichkeit entdeckt, Gewinn zu machen. Und alle Regierungen helfen ihnen seitdem dabei, sich immer mehr Geld aus dem Gesundheitswesen unter den Nagel zu reißen. Eben deshalb werden die Zustände immer schlechter.
     
    Nehmen wir nur die Krankenhäuser: Früher kam man hier nicht einmal auf die Idee, man könnte mit der Behandlung von Patienten „Gewinn“ oder „Verlust“ machen. Jede Untersuchung und jede Übernachtung wurde von den Krankenkassen einzeln bezahlt. Seit 15 Jahren aber erhält das Krankenhaus pro Patient nur noch eine Pauschale, die oft vorne und hinten nicht reicht. Daher machten auf einmal fast alle Krankenhäuser „Verlust“.
    Also haben sie angefangen zu sparen. Sie haben viele Bereiche an Subfirmen ausgelagert, wo die Arbeiter zum Teil weniger verdienen als HartzIV. Und sie haben radikal Stellen abgebaut. Der Staat hat obendrein viel zu wenig Pflegekräfte ausgebildet.
    Milliarden sind so bereits beim Personal eingespart worden (während die Konzerne für Medikamente und medizinische Geräte Jahr für Jahr mehr Geld von den Krankenhäusern bekommen).
    Und die Spar-Schraube nimmt kein Ende. Denn jedes Mal, wenn die Krankenhäuser Geld eingespart haben, werden die Pauschalen weiter verringert… Mit katastrophalen Folgen: Mittlerweile sind die Zustände in den Krankenhäusern eine Gefahr für die Gesundheit aller dort Arbeitenden, und für die Patienten.
    Und da die GroKo die Pauschalen nicht abschaffen will, werden weitere Einsparungen kommen!

    Pauschalen und Gewinn-Verlust-Logik haben die Krankenhäuser in eine Art Fabrik verwandelt. Patienten werden nach „Stückzahlen“ gerechnet: Man muss möglichst viele von ihnen pro Monat „durchschleusen“ – mit möglichst wenig Beschäftigten und großer „Gewinnmarge“. Ein Fünftel aller Krankenhäuser wurde sogar geschlossen, damit in den übrigen Krankenhäusern jedes Bett und jeder OP-Saal voll „ausgelastet“ ist. Lieber sollen Patienten auf dem Flur liegen, als dass manchmal Betten leer sind!
     
    Mit dieser Fabrik-Logik ist ein Teil der Krankenhäuser trotz Spar-Pauschalen so rentabel geworden, dass private Konzerne sie haben wollen. Die fünf großen Krankenhaus-Konzerne (wie Fresenius/Helios oder Asklepios) haben bereits ein Drittel aller deutschen Krankenhäuser aufgekauft! Diese Konzerne verschenken einen Teil der Gelder des Krankenhauses als Gewinn-Ausschüt-tung an die Aktionäre. Meist kaufen sie das Krankenhaus obendrein auf Kredit und zahlen dann die Raten ebenfalls mit dem Geld des Krankenhauses zurück.

    Banken und Aktionäre stehlen so einen ganzen Teil des Gesundheitsbudgets. Und für die Arbeitenden bleibt umso weniger übrig. Kein Wunder, dass nach einer Privatisierung meist ein Viertel der Arbeitsplätze vernichtet oder mit drastischen Lohnkürzungen an Fremdfirmen ausgelagert wird. Entlassungen, unbeschreibliche Arbeitshetze und Niedriglöhne sind Alltag in den privatisierten Krankenhäusern.
    Diese Konzerne führen außerdem nur Behandlungen durch, die Geld einbringen. Alles andere wird den öffentlichen Krankenhäusern überlassen oder schlichtweg gestrichen. Auf der Insel Sylt gab es nur eine einzige Geburtenstation. Asklepios hat sie geschlossen: Sie war nicht rentabel genug. Und sie schließen auch skrupellos das einzige Krankenhaus in 50 Kilometer Umkreis.
     
    Und genau diese Privatisierung will die Große Koalition weiter vorantreiben! Mit einer Milliarde Euro pro Jahr will sie gezielt private Spezialkliniken fördern und Prämien für die Schließung gemeinnütziger Krankenhäuser zahlen. Ja, die Regierung will Prämien zahlen für die Zerstörung von Krankenhäusern mit all ihren Arbeitsplätzen und wunderbaren Möglichkeiten, Menschen zu heilen. Nur, um Auslastung und Gewinn der privaten Krankenhäuser noch zu steigern.
    Diese kapitalistische Profitlogik ist wirklich krank, gefährlich und zerstörerisch: im Gesundheitswesen wie in allen anderen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft!
     
    Doch mit der Verwandlung der Krankenhäuser und Pflegeheime in Profitmaschinen wurde auch offensichtlicher, dass die Beschäftigten dort Arbeiter sind wie alle anderen. Dass sie streiken können. Und dass sie dieselben Probleme und Gegner haben wie die Arbeiter in der Industrie und allen anderen Branchen: Arbeitshetze, Stellenabbau… Und genau das kann eine Stärke werden: Denn nur, wenn die Arbeiter sich zusammentun und entschlossen kämpfen, können sie das Kräfteverhältnis ändern, können sie Konzerne und Regierung zwingen, viele Arbeitende einzustellen und die Arbeit überall wieder unter mehr Kollegen aufzuteilen… und letztlich irgendwann die Gesellschaft aus dem Sumpf der Profitlogik befreien.

  • Frankreich: Eisenbahner im Streik gegen den Angriff auf ihre Arbeitsbedingungen

    Vor einem Jahr ist Macron in Frankreich Präsident geworden. Seitdem hat er ein Gesetz nach dem anderen verabschiedet, das den Superreichen ermöglicht, sich noch mehr und noch schneller zu bereichern: Die Konzerne müssen weniger Steuern zahlen, von der Vermögenssteuer ist quasi nichts übrig geblieben…
    Für die arbeitende Bevölkerung hingegen hat er Schlag auf Schlag Maßnahmen durchgesetzt, die ihr Leben schwerer machen. Dank Macron können die Arbeiter noch einfacher entlassen werden, haben noch unsicherere und noch schlechtere Arbeitsbedingungen. Und geht es nach ihm, so gibt es bald noch 120.000 Arbeitsplätze weniger in Schulen, Krankenhäusern, im ganzen Öffentlichen Dienst.

    Und nun hat er einen regelrechten Frontalangriff auf die Arbeiter der französischen Bahn (SNCF) begonnen. Er will ihnen die Rechte wegnehmen, die die Arbeiter bei der Bahn noch hatten. Alle, die neu eingestellt werden, sollen weniger Rente und weniger Lohn bekommen und kaum noch Kündigungsschutz haben. Und vor allem will Macron, dass Strecken und Arbeiten der Bahn einfacher privatisiert werden können. Die Eisenbahner könnten dann gezwungen werden, zu den Privatbetrieben zu wechseln, die die Strecke oder Werkstatt übernommen haben: Betriebe, in denen wesentlich schlechtere Bedingungen herrschen.
    Die Eisenbahner wollen diesen Angriff auf ihre gesamten Arbeitsbedingungen verhindern. Deshalb haben sie seit Ende März angefangen zu streiken. Sie kämpfen dagegen, dass all die Verschlechterungen, die die Bosse bereits in den Privatbetrieben durchsetzt haben, auch bei der Bahn stattfinden. Und sie wollen verhindern, dass die junge Generation in noch größerer Unsicherheit und für noch schlechtere Löhne und Renten arbeitet.

    Die Regierung und die Medien tun so, als würden die Arbeitenden bei der Bahn – weil sie noch nicht ganz so schlechte Bedingungen haben wie in vielen Privatbetrieben – unerträgliche „Privilegien“ genießen. Sie versuchen auf diese Weise, die Eisenbahner von der übrigen Bevölkerung zu isolieren. Doch in Wahrheit betrifft der Angriff auf die Eisenbahner alle Arbeiter.
    Die Eisenbahner haben den Ruf, dass sie mehr als andere in der Lage sind, Widerstand zu leisten. Macron will sie genau deswegen kleinkriegen. Er hofft, dass er danach die gesamte Arbeiterklasse in die Knie zwingen und ihr ohne großen Widerstand Verschlechterungen in noch ganz anderer Größenordnung aufzwingen kann. Gerade deshalb ist es besonders wichtig, dass die Arbeiter bei der Bahn sich wehren.
    Bislang beteiligen sich viele an dem Streik, wenn auch in unterschiedlichem Maß. Manche streiken nur eine Stunde mit, manche einen Tag, andere an allen Streiktagen… Insbesondere bei den Lokführern und Zugbegleitern ist die Streikbeteiligung sehr hoch.

    Nachdem es ein Jahr lang kaum Reaktionen auf die Angriffe gegeben hatte, bringen derzeit außerdem verschiedene Gruppen mit Protesten und einzelnen Streiktagen ihren Unmut über die Verschlechterungen in ihrem Bereich zum Ausdruck: Beschäftigte der Krankenhäuser und Altenheime, Müllwerker, Rentner, Arbeitende des Öffentlichen Dienstes, Studenten, ebenso Arbeiter privater Konzerne wie bei Air France oder der Einzelhandelskette Carrefour. All das schafft eine etwas andere Stimmung und stärkt die streikenden Eisenbahner.

    Wie wird ihr Streik weitergehen? Es gibt gerade bei der französischen Bahn Traditionen, dass sich alle Streikenden Tag für Tag in ihren jeweiligen Betrieben versammeln, jeden Tag gemeinsam entscheiden, ob und wie sie weiter streiken wollen, wo sie über die Entwicklung des Streiks diskutieren und organisieren, was sie tun wollen: zum Beispiel, sich an die Fahrgäste wenden, an nicht-streikende Bahnarbeiter, an Arbeiter anderer Betriebe…
    Doch statt an diese Traditionen anzuknüpfen, hat die Gewerkschaftsführung diesmal von oben entschieden, dass nur an einzelnen Tagen gestreikt wird und sogar bereits für drei Monate festgelegt, welche Tage dies sein werden. Dies nimmt nicht nur den Streikenden das Recht, über ihren eigenen Streik zu entscheiden und ihn zu gestalten. Es ist vor allem auf Dauer zermürbend.

    Noch allerdings ist alles offen. Die Eisenbahner erleben derzeit an den Streiktagen ihre Stärke und sind stolz auf die große Streikbeteiligung. Diejenigen, die Flugblätter verteilen oder sich an anderen Aktionen in der Öffentlichkeit beteiligen, werden bestärkt durch die Solidarität von anderen Arbeitern und Fahrgästen, die sie dort erleben. Zum ersten Mal seit Jahren fangen einige an sich zu sagen, dass sie nicht nur protestieren, sondern gegen die Regierung gewinnen könnten.
    Und so bleibt eine Chance, dass der Kampf weitergehen und sich über die einzelnen Tage hinaus ausweiten kann.

  • 1968, vor fünfzig Jahren: Ein Aufbegehren der Jugend in vielen Ländern der Welt

    Die Revolte der Jugend und Studenten, die im Frühjahr 1968 – vor genau 50 Jahren – ihren Höhepunkt hatte, war ein Aufbegehren, das sich wie ein Lauffeuer um die halbe Welt ausbreitete.

    Die Jugend der 60er Jahre wächst auf in dem ständigen Kalten Krieg, der das gesamte politische Leben beherrscht. Sie wird groß umgeben von konservativen, rückschrittlichen, autoritären Lebensweisen, die die Erziehung, Schule und Uni und den ganzen Staat beherrschen. Und ein wachsender Teil der Jugend kann und will diese Zustände nicht länger ertragen.

    Ein entscheidender Motor der Revolte ist die Empörung über den Krieg, den die USA in Vietnam führen. In den USA kommen die Proteste gegen den Vietnamkrieg und die Bewegung der Schwarzen gegen Rassengesetze und soziale Ausgrenzung zusammen und verstärken sich gegenseitig. 1967, 1968 kommt es überall und immer wieder zu Massenprotesten.

    Auch in Deutschland ist die Jugend erschrocken und empört, dass die angebliche Beschützerin der Demokratie und Westberlins in Vietnam ein ganzes Volk auf grausamste Weise terrorisiert. Gleichzeitig entdeckt sie mit den Auschwitz-Prozessen Anfang der 60er Jahre die Bilder der totgeschwiegenen Vernichtungslager der Nazis. Sie fängt an, die Vergangenheit ihrer eigenen „demokratischen“ Richter, Polizeichefs, Uni-Professoren und Politiker zu hinterfragen… bis hin zu Bundeskanzler Kiesinger, von dem sich herausstellt, dass er von 1933 an bei den Nazis dabei war.

    Als 1967 die Polizei dann eine Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien mit brutaler Gewalt niederschlägt und einen Studenten niederschießt, läuft das Fass über: Ein Jahr lang kommt es zu Massendemonstrationen im ganzen Land.

    Nach der politischen Eiszeit des Kalten Krieges stellt die Jugend nun alles in Frage: Sie diskutiert über alles, über die Ausbeutung, den Imperialismus, den Rassismus, die heuchlerische Moral, die Unterdrückung der Frauen, das Bildungssystem. Sie diskutiert über verschiedene politische Alternativen zum Kapitalismus und zum angeblich „realsozialistischen“ Ostblock.
    Und dies in vielen Ländern der Welt. Ob in Belgien, in Japan, in Mexiko, im diktatorischen Spanien: Überall besetzen Studenten die Universitäten und diskutieren darüber, wie eine andere Zukunft aussehen kann. Die Bewegung springt sogar über den Eisernen Vorhang auf Polen und die Tschechoslowakei über – und das, obwohl die Herrschenden auf beiden Seiten alles getan haben, um diesen hermetisch abzuriegeln und der Bevölkerung weiszumachen, dass sie in zwei völlig gegensätzlichen Regimen und Welten leben würden.
    Von wegen! Im Prager Frühling diskutieren Zehntausende in den Unis, den Fabriken und Büros darüber, wie man weder Kapitalismus noch stalinistische Diktatur, sondern einen Weg zu einem wirklichen Sozialismus finden könne.
    Überall reagieren Staat und Presse mit Gewalt und Hetze auf die protestierende Jugend. Sowjetische Panzer ziehen in Prag ein. In Mexiko begeht das Militär im Herbst einen regelrechten Massenmord: Es greift eine friedliche Demonstration an und ermordet 300 Studenten. In den USA hetzt die Polizei Hunde auf die Demonstranten, und am 4. April 1968 erschießt ein Attentäter Martin Luther King.

    Nur 7 Tage später wird Rudi Dutschke, Wortführer der deutschen Studentenbewegung, bei einem Anschlag lebensgefährlich verletzt. Er wird zehn Jahre später an den Spätfolgen sterben. Während die Polizei mit Schlagstöcken und Wasserwerfern gegen die Studenten vorgeht, hetzt die BILD-Zeitung Tag für Tag gegen die Studentenbewegung und schreibt: „Man darf nicht die ganze Drecksarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen“ – eine Aufforderung, die der Attentäter wörtlich nimmt und auf Dutschke schießt.
    Zum Teil erreicht der Staat mit seiner Brutalität das Gegenteil. In Frankreich beteiligen sich hunderttausende Arbeiter, schockiert über das Verhalten der Polizei und beeindruckt von der Entschlossenheit der Studenten, an einer Solidaritätsdemonstration. Einzelne Betriebe beginnen daraufhin zu streiken. Wenige Tage später legt ein sechswöchiger Generalstreik das Land lahm.

    In Italien ist die Bewegung von Anfang an sowohl Arbeiter- als auch Studentenbewegung. Damit beginnt die Bewegung in einigen Ländern auch die Arbeiter zu erreichen: die gesellschaftliche Klasse die die wirtschaftliche Macht hätte, die von den Studenten diskutierten Veränderungen der Gesellschaft in die Tat umzusetzen. Doch soweit kommt es nicht.

    Hierzu fehlte eine revolutionäre Partei in der Arbeiterklasse. Eine solche Partei hätte alles dafür getan, dass die streikenden Arbeiter ihren Kampf selber in die Hand nehmen, sich treffen, gemeinsam diskutieren, gemeinsam entscheiden, damit ihre Bewegung wirklich ihnen gehört und sie sich dadurch ihrer Kraft und ihrer Möglichkeiten bewusst werden können.
    Die bestehenden reformistischen Parteien und Gewerkschaften machen genau das Gegenteil. Sie nehmen alles an Stelle der Arbeiter in die Hand. Ja, sie halten sogar zum Teil gewaltsam die Studenten mit ihren revolutionären Ideen von den bestreikten Betrieben fern und raten den Arbeitern, während des Streiks zuhause zu bleiben. Und sie verkaufen die Massenstreiks, die ein viel weitergehenderes Potenzial hatten, für ein Linsengericht aus ein paar kleinen Zugeständnissen bei Löhnen und Arbeitszeiten… und für die Aussicht auf eine andere Regierung.

    Die Bewegung verebbt, ohne den Kapitalismus anzutasten und mit ihm die Ursache für Imperialismus, Krieg, Ausbeutung, Rassismus, dessen Opfer die Menschheit bis heute ist. Selbst die Veränderungen im Alltagsleben, in Moral, Erziehung oder auch in den Beziehungen zwischen Mann und Frau, die die mächtige Jugendbewegung bewirkt hatte, werden heute wieder in Frage gestellt.

    Doch 1968 erinnert auch daran, wie schnell es geschehen kann, dass eine neue Generation mit einem Schlag alles aufrüttelt und in Frage stellt, womit sich ihre Eltern und Großeltern bereits resigniert abgefunden haben – und damit Systeme, die fest im Sattel zu sitzen scheinen, ins Wanken bringen kann.

  • Arbeiten bis zur Geburt?

    Schwangere Frauen, die bis zur Geburt arbeiten: Das ist in Deutschland wieder legal. Seit 1952 hat das Mutterschutz-Gesetz dafür gesorgt, dass Frauen mindestens 6 Wochen vor der Geburt nicht mehr arbeiten durften, aber weiter Lohn erhielten. Das Gesetz war genau dafür gedacht, Frauen vor Druck oder Erpressungen des Unternehmers zu schützen. Doch seit Anfang des Jahres können die Betriebe Frauen wieder bis zur Geburt arbeiten lassen, wenn die Frauen dies… „freiwillig“ machen. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie viele Frauen zukünftig von ihren Chefs so unter Druck gesetzt werden, dass sie „freiwillig“ bis zum letzten Tag arbeiten kommen.
    Man wird an die finstere Vergangenheit erinnert, wo Frauen unter größter Anstrengung, unter Schmerzen und Sorgen bis zur Geburt in der Fabrik standen. Wo nicht wenige zwischen den Maschinen ihre Wehen bekamen.
    Noch sind wir da nicht wieder angekommen. Doch die Gesetze, die diese schlimmsten Auswüchse der kapitalistischen Ausbeutung etwas eingedämmt haben, werden nach und nach abgeschafft. Denn diese Vergangenheit ist die Zukunft, die sich die Kapitalisten für uns vorstellen.

  • Seehofer schafft Ghettos für Flüchtlinge

    Alle Flüchtlinge, die aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit wenig Chancen auf Asyl haben, sollen nicht mehr in kleinen Flüchtlingsheimen oder Wohnungen leben dürfen. Die Regierung will sie in großen Sammellagern zusammenpferchen, isoliert von der Bevölkerung.
    Den dort lebenden Flüchtlingen wird verboten, Deutschkurse zu besuchen. Ihnen wird verboten zu arbeiten. Ehrenamtliche Arbeit, bei der die Flüchtlinge hier lebende Menschen kennenlernen können, wird unmöglich gemacht. Sogar Besuche sind nur eingeschränkt erlaubt. Sie werden quasi eingesperrt, wegen eines einzigen Verbrechens: Sie haben die falsche Staatsangehörigkeit.
    Innenminister Seehofer wirbt damit, dass die Asylverfahren dann „effizienter“ ablaufen und Flüchtlinge schneller abgeschoben werden könnten. Doch das Asylverfahren erfordert trotzdem viele Monate. Und die ganze Zeit, bis zu anderthalb Jahre, müssen die Flüchtlinge in diesen Ghettos leben.
    In Bayern (in Bamberg und Manching) gibt es bereits zwei solcher Zentren, und die Erfahrungen sind katastrophal, auch für die dortigen Einwohner. Denn man kann sich vorstellen, was passiert, wenn man viele hundert perspektivlose Menschen zusammenpfercht, die keinen Menschen kennen, kein Deutsch sprechen, keinen Cent Geld haben und denen man erklärt, dass sie – egal was sie machen, ob sie sich gesetzestreu verhalten, stehlen oder sich prügeln – sowieso bald wieder abgeschoben werden.

    Seehofer, der sich im bayrischen Landtagswahlkampf bemüht, die bessere AfD zu werden, behauptet, er würde der „deutschen Bevölkerung“ mit diesen „beschleunigten Abschiebezentren“ einen Gefallen tun. In Wahrheit schafft er nur explosive Ghettos von Armen und Verzweifelten, die für niemanden etwas verbessern, aber die gesamte Gesellschaft noch etwas kälter und unmenschlicher machen.

  • Ein Jahr neues Leiharbeitsgesetz: noch mehr Unsicherheit und weniger Lohn

    Seit einem Jahr gilt das neue Leiharbeitsgesetz. Seitdem dürfen Leiharbeiter nur noch höchstens 18 Monate am Stück im gleichen Betrieb arbeiten. Und ab dem 9. Monat müssen sie dort offiziell den gleichen Grundlohn bekommen wie die Stammbelegschaft. SPD und Gewerkschaften hatten behauptet, durch das neue Gesetz würde Leiharbeit „fairer“ bezahlt, und viele Leiharbeiter würden nun nach 18 Monaten fest eingestellt, statt ewig Leiharbeiter zu bleiben. Das Gegenteil ist passiert.

    Viele Betriebe sind dazu übergegangen, Leiharbeiter systematisch nach 8 Monaten rauszuschmeißen, damit sie nicht mal die paar Euro mehr Lohn ab dem 9. Monat zahlen müssen. Und das läuft sogar an großen öffentlichen Betrieben wie dem Uniklinikum Essen so ab.

    Andere Betriebe, in der Chemieindustrie zum Beispiel, haben „Verbünde“ gebildet: Nach 8 Monaten wechseln die Leiharbeiter in einen anderen Chemiebetrieb und kommen dann nach kurzer Zeit wieder zurück, bleiben wieder 8 Monate und so weiter. So können die Betriebe die Leiharbeiter ewig behalten, ohne sie jemals fest einstellen zu müssen – und müssen ihnen obendrein immer nur den Einstiegslohn zahlen.

    In der Metall- und Elektroindustrie oder bei der Deutschen Bahn läuft es noch anders: Hier haben Unternehmer und Gewerkschaft einfach einen Tarifvertrag abgeschlossen, dass alles so bleibt wie vorher und Arbeiter auch 4 Jahre am Stück als Leiharbeiter im gleichen Betrieb eingesetzt werden können.

    Die Bilanz des neuen Gesetzes ist eindeutig: Für die Leiharbeiter ist es nicht besser, sondern vielfach noch unsicherer und schlechter geworden.

    Ja, egal was sie behaupten und egal wie schön sich ihre Gesetze auf den ersten Blick anhören: Die Regierung macht freiwillig keine Gesetze für uns. Sie macht nur Gesetze, die die Bosse für sich nutzen können – und die damit uns schaden. Veränderungen, die etwas für uns verbessern, kann es für uns Arbeiter nur geben, wenn wir sie selber erkämpfen.

Kein Artikel in dieser Ausgabe.

Kein Artikel in dieser Ausgabe.