Das rote Tuch – Nr. 101

  • „Jamaika“: Eine Koalition gegen die Arbeiter – und angeheizt von der AfD

    Alles rätselt: Wie schaffen es CDU, CSU, FDP und Grüne, eine Regierung zu bilden, obwohl sie in so vielen Fragen gegensätzliche Positionen haben? Dabei ist die Antwort einfach: Alle vier wollen an die Futtertröge der Regierung – da ist alles andere nicht so wichtig.

    Eins jedoch steht schon fest: Einmal an der Regierung, wird diese „Jamaika-Koalition“ eine offen arbeiterfeindliche Politik machen. Denn in diesem Punkt sind sich alle vier Parteien einig.
     
    Klar, das ist nichts Neues. Auch die CDU-SPD-Koalition hat die Lage der Arbeiter weiter verschlechtert. Und letztlich setzt jede Regierung die Politik um, die die Kapitalisten verlangen. Doch die FDP und Teile der CDU stehen dabei ganz offen auf der Seite der Bosse.

    Sie haben sogar Wahlkampf damit gemacht, dass sie mit der Politik der „sozialen Geschenke“ Schluss machen wollen. Dass Paketboten und Frisörinnen wenigstens einen Mindestlohn von 8,84 Euro bekommen, nennen sie ein „Geschenk“! Nach 45 Jahren Arbeit mit 63 in Rente zu gehen, nennen sie ein „Geschenk“! Ja, wir erarbeiten alles, doch jeden winzigen Teil, den wir davon als Lohn oder Rente zurückbekommen, bezeichnen sie als „Geschenk“ an uns.
     
    Die FDP hat außerdem damit geworben, sie wolle die Unternehmer aus ihren „Fesseln“ befreien. Was sie damit meint, zeigt uns die CDU-FPD-Landesregie-rung in NRW. Die hat als allererstes ein „Entfesselungspaket“ verabschiedet, das den Unternehmern erlaubt, die Bauarbeiter auch noch jeden Samstag auszubeuten – und die Verkäuferinnen an zahlreichen Sonntagen. Sprich: Sie fesseln die Arbeiter noch mehr, um die Unternehmer von jeder Einschränkung, Profit zu machen, zu befreien!
    Und es sind sicher nicht die Grünen – diese Partei der Mittelschichten – die einer solchen Politik im Weg stehen.
    „Jamaika“ wird eine Regierung, die mit Arroganz das Recht der Kapitalisten vertritt, für ihren Profit über Leichen zu gehen. Eine Regierung, die den Kapitalisten noch mehr Möglichkeiten verschaffen will, uns ungehindert auszubeuten. Die ihnen noch mehr Krankenhäuser zum Fraß vorwerfen und weiter die öffentlichen Kassen plündern will, um die Konzerne mit Subventionen und Geschenken zu überhäufen. Wir Arbeiter können und müssen uns darauf vorbereiten, uns dem zu widersetzen.
    Einige haben gedacht, sie könnten die Regierungsparteien mit all ihrer Verlogenheit und ihrer Verachtung für die einfache Bevölkerung bestrafen, indem sie AfD wählen. Doch das ist ein gefährlicher Irrtum. Denn die AfD ist kein ernsthaftes Problem für die herrschenden Parteien, dafür aber ein umso schlimmerer Feind der Arbeiter.

    Die AfD hilft den großen Parteien nicht nur, von den eigentlichen Problemen abzulenken. Dank ihr brauchen CDU, SPD und Co. nicht darüber reden, warum viele Menschen wütend und enttäuscht sind und sie daher nicht mehr wählen. Sie brauchen nicht darüber reden, wie viele täglich ausgelaugt von der Arbeit kommen und obendrein in der Unsicherheit leben, ob sie morgen noch einen Arbeitsplatz haben. Sie müssen nicht über die Probleme all der Arbeiter, Alleinerziehenden, Rentner und kleinen Selbstständige reden, die täglich kämpfen müssen, um über die Runden zu kommen.
    Dank der AfD reden sie nur noch über die Flüchtlinge und tun so, als wären sie an allem schuld. Sie reden nur noch von Obergrenzen und Abschiebungen und anderen Maßnahmen, die denen das Leben schwer machen, die vor Krieg, Unterdrückung und Elend fliehen. Als ob diese Maßnahmen etwas an unseren Problemen ändern würden! Als ob mehr Abschiebungen Air Berlin daran hindern würden, zu entlassen! Als ob eine Obergrenze irgendetwas daran ändern würde, dass die Renten sinken und der Personalmangel in den Altersheimen immer unerträglicher wird!
     
    Im Gegenteil: Je mehr alle nur noch über die angebliche „Unsicherheit und Kosten durch Ausländer“ reden, desto ungestörter können die Kapitalisten auf alle, deutsche UND ausländische Arbeiter draufschlagen und unser aller Leben immer unsicherer und ärmer machen.
     
    ThyssenKrupp, Siemens oder Air Berlin fragen nicht, ob man Muslim oder Christ ist, wenn sie einen entlassen. Kaufhof fragt die Arbeiterinnen nicht, ob sie seit ihrer Geburt in Deutschland leben oder erst seit kurzem, wenn sie ihnen jetzt die Löhne kürzen wollen.

    Die AfD will genau das verschleiern. Sie will, dass wir uns als „Deutsche“ fühlen – in einem Boot mit diesen deutschen Kapitalisten. Sie will stattdessen Hass und Krieg unter uns Arbeitern schüren. Eben deshalb ist sie von allen großen Parteien der schlimmste Feind der Arbeiter.
    Sie will uns einreden, dass unser türkischer Arbeitskollege und unser syrischer Nachbar unsere Feinde wären. Genau die, die dieselben Probleme und Interessen haben wie wir. Und mit denen wir im Gegenteil uns zusammentun müssen, wenn wir uns endlich wieder gegen die Angriffe auf unsere Lebensbedingungen wehren – und einen Ausweg aus diesem irrsinnigen System finden wollen.

  • Spanien: die Arbeiterklasse zwischen zwei Nationalismen

    Das Kräftemessen zwischen der spanischen Zentralregierung und der katalanischen Landesregierung spitzt sich weiter zu. Keiner weiß genau, wie sich die Lage entwickeln wird. Wir veröffentlichen zu diesem Thema einen Artikel unserer französischen Genossen von Lutte Ouvrière vom 25. Oktober 2017.

    Seit einigen Monaten steht Katalonien im Mittelpunkt des politischen Lebens in Spanien. Alle Parteien, die für die Unabhängigkeit Kataloniens sind – rechte, linke und linksextreme Parteien – hatten gemeinsam entschieden, am 1. Oktober ein Referendum über die Unabhängigkeit durchzuführen. Madrid hatte dieses Referendum für illegal erklärt. Seitdem geht das Kräftemessen zwischen beiden Seiten weiter.

    Weder das Verbot des Referendums noch der massive, gewaltsame Polizeieinsatz hatten verhindert, dass zwei Millionen Katalanen wählen gingen, um ihrer Unzufriedenheit mit der Politik der spanischen Regierung sowie ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit Ausdruck zu verleihen. Wie zu erwarten, wurde das Ergebnis der Abstimmung von Madrid für null und nichtig erklärt.

    Die Wirtschaftskrise hat Spanien wie den Rest der Welt getroffen und die Lebensbedingungen sehr verschlechtert. Das Erstarken der Unabhängigkeitsbewegung ist der Ausdruck der vielfältigen sozialen Spannungen. Doch ihre Politik hat der arbeitenden Bevölkerung keinerlei Perspektive zu bieten.
    Die katalanischen Organisationen, die für die Unabhängigkeit sind, haben zwar eine radikale Sprache, aber sie richten sich in keinster Weise an die arbeitende Klasse, weder in Katalonien noch sonst wo. Die Arbeiter leiden weiter unter den niedrigen Löhnen, der Arbeitslosigkeit und einer immer härteren Ausbeutung. In den Fabriken, im Öffentlichen Dienst, im Handel, in den Banken, im Tourismus oder in der Landwirtschaft: Überall hat man zu gehorchen, ob man nun katalanischen oder andalusischen Ursprungs ist oder aus einem anderen Land kommt.

    Es ist eine Illusion zu glauben, dass man den Anspruch auf eine bessere Behandlung haben könnte, weil man in Katalonien geboren ist oder eine katalanische Familie hat. Diese Abkapselung von Gruppen auf der Basis ihrer Herkunft spaltet die Ausgebeuteten. Dabei wird es für sie immer notwendiger, sich zusammenschließen, um ihre Rechte geltend zu machen.

    In diese Falle sind heute in Katalonien diejenigen getappt, die glaubten, sie könnten Verbündete im Lager ihrer Ausbeuter finden, weil diese dieselbe Nationalität haben wie sie.

    Puigdemont ist ein Politiker der liberalen Partei, ein offener Verteidiger der kapitalistischen Klasse.
    Diejenigen, die ihm heute vertrauen, lassen sich vor den Karren einer arbeiterfeindlichen Politik spannen und eines Feindes, der bereit ist, alles und das Gegenteil zu verhandeln, um weiter an der Macht beteiligt zu sein. Und vergessen wir nicht Puigdemonts Vorgänger und Parteifreund Arthur Mas, ein Gauner aus der Welt der Hochfinanz und verwickelt in weithin bekannte Skandale, der ebenfalls die Wut der Ausgebeuteten in Sackgassen leiten möchte.

    Ja, man muss – und das gilt für ganz Spanien – gegen die Politik der spanischen Machthaber kämpfen, dieser reaktionären Monarchie. Und man muss auch die Polizeigewalt anprangern, die der konservative Rajoy mit Unterstützung der sozialdemokratischen Partei PSOE eingesetzt hat. Aber dabei darf man nicht stehen bleiben.

    Die Unterdrückung und Gewalt, die Rajoy heute gegen diejenigen organisiert, die sich seiner Politik in der Unabhängigkeitsfrage widersetzen, wird er auch einsetzen, wenn sich Arbeiter gegen die Angriffe der Regierung wehren und ihre Rechte verteidigen.
    Über all diese Probleme muss man diskutieren, über alle Probleme, die mit den Sparmaßnahmen, den Privatisierungen im Öffentlichen Dienst, den Angriffen auf die Rente zusammenhängen.

    Die Puigdemonts und Rajoys streiten sich, weil jeder für einen Teil der kapitalistischen Klasse noch bessere Bedingungen durchsetzen will.

    Aber beide sind – jeder auf seine Art und auf seinem Gebiet – bereit, auf die Arbeiterklasse draufzuschlagen.

  • Streik für mehr Kollegen – und weniger Arbeit

    Am Dienstag haben bereits zum dritten Mal Arbeitende der Uniklinik Düsseldorf auf den Aufruf von Ver.di für ein bis zwei Tage die Arbeit niedergelegt. Wie hier protestieren im Moment in vielen Krankenhäusern Beschäftigte gegen den immer unerträglicheren Stress und Arbeitsdruck.
    Die Streikenden fordern mehr Personal auf jeder Station, damit die Arbeit wieder auf mehr Schultern verteilt werden kann. Die einzig richtige Antwort auf den krankhaften Stellenabbau!

  • Einstellen und Arbeit aufteilen!

    Die Krankenhäuser sind kein Einzelfall. In Fabriken, Büros, Supermärkten: Überall wurden und werden ständig Stellen abgebaut. Oft muss einer alleine das schaffen, was vor zwanzig Jahren noch zwei oder drei gemacht haben – während Millionen andere gleichzeitig nur Minijobs, Teilzeitstellen, kurzfristige Leiharbeitsjobs oder gar keine Arbeit mehr finden.

    Ja, wir brauchen eine Aufteilung der Arbeit. Die privaten und öffentlichen Betriebe müssen gezwungen werden, massenhaft fest einzustellen und die Arbeit unter Allen aufzuteilen.

    Geld dafür gibt es mehr als genug: Nämlich all die gigantischen Gewinne und Reichtümer, die wir Arbeitenden tagtäglich schaffen – und die heute in die Taschen einer kleinen Minderheit superreicher Kapitalisten wandern.

  • Air Berlin Chef: Gut bezahlt für die Drecksarbeit

    Thomas Winkelmann, der die letzten 19 Jahre für die Lufthansa gearbeitet hat, ist im Februar 2017 als Vorstandsvorsitzender zu Air Berlin gewechselt. Nur wenige Monate später hat Air Berlin Insolvenz angemeldet… und zufällig hat die Lufthansa alle Filetstücke von Air Berlin bekommen: über die Hälfte der Flugzeuge und Strecken, alle hochprofitabel – und das für einen Billigpreis. Und nun will die Lufthansa auch noch einen Teil der Arbeitenden von Air Berlin „billig“ bekommen. Rund 1.700 von ihnen will sie einstellen, aber nur, wenn sie auf viel Lohn verzichten, in vielen Fällen auf 30-40%. Gerade für viele Flugbegleiterinnen ist das eine soziale Katastrophe!
    Winkelmann hingegen bekommt noch drei Jahre lang sein volles Air-Berlin-Gehalt (950.000 Euro pro Jahr!), und einen Bonus von 400.000 €. Das hat er sich auch wirklich verdient: Den Auftrag, Air Berlin zum Vorteil der Lufthansa zu zerschlagen, hat er zur vollsten Zufriedenheit der Aktionäre umgesetzt.

  • Ein echtes Vorbild!

    Der Air Berlin Chef bekommt für ein paar Monate Drecksarbeit drei Jahre lang volles Gehalt und einen Bonus. Aber die tausenden Flugbegleiter, Techniker, Piloten und Büroangestellten, die jetzt vor dem Nichts stehen und denen die Arbeitslosigkeit droht, die sollen sich von den Aktionären mit dem Satz abspeisen lassen, für sie wäre „kein Geld“ da?
    Hier kann man sich den Air Berlin Chef doch mal zum Vorbild nehmen. Also: Drei Jahre lang volles Gehalt und einen Bonus für ALLE Beschäftigten von Air Berlin, bezahlt von den Aktionären von Air Berlin, Lufthansa und den anderen Profiteuren der (herbei-geführten) Insolvenz!

  • Arbeiter gemeinsam gegen die Angriffe der Bosse!

    Kaum hatten die Manager die Fusion von ThyssenKruppStahl (TKS) und TataSteel verkündet, da erklärten sie schon, dass sie dabei 4.000 Arbeitsplätze vernichten wollen: 2000 bei TKS in Deutschland, 2000 bei Tata in Großbritannien und den Niederlanden. Dabei sind die Auftragsbücher voll! Doch die beiden Konzerne wollen den Stahl mit weniger Arbeitern produzieren und so mindestens 600 Millionen Euro mehr Gewinn machen.
    Schon ein Jahr vor der Fusion hatte ThyssenKrupp angekündigt, im Stahlbereich auf jedem Fall mehrere tausend Arbeitsplätze vernichten zu wollen. Und auch in vielen anderen Sparten von ThyssenKrupp kommt in den letzten Monaten wieder eine Ankündigung von Stellenabbau nach der nächsten: im Großanlagenbau, in der Verwaltung, … Auch ohne Fusion wären die Stahlarbeiter also nicht vor Angriffen und Entlassungen geschützt.
    Genau das aber behauptet die IG Metall Führung – und hilft damit den Bossen. Sie tut so, als wäre das Hauptproblem, dass nun ein ausländischer Konzern beteiligt ist und der Hauptsitz nicht mehr in Deutschland liegt. Ja, sie gehen sogar so weit, zu erklären, dass die deutschen Arbeiter bei der Fusion angeblich für die britischen Arbeiter bezahlen müssten, weil deren Werk nicht so gut und rentabel sei wie die deutschen! Der Betriebsrat von Tata in den Niederlanden ist nicht besser: Er ist gegen die Fusion, weil angeblich vor allem die niederländischen Arbeiter sie bezahlen müssten, um die deutschen und britischen zu schonen…
    Bravo! Besser könnten die Gewerkschaften den Bossen gar nicht helfen, die Arbeiter gegeneinander auszuspielen und so ihre Pläne durchzubekommen. Genau das Gegenteil wäre nötig. Die Stahlarbeiter werden an allen Standorten in allen drei Ländern angegriffen. Und sie hätten vor allem dann eine Chance, sich dem entgegenzustellen, wenn sie sich zusammentun. Dann sind es nicht mehr 27.500 Arbeiter in Deutschland, sondern 49.000 Arbeiter in Europa, die sich gemeinsam wehren!

  • Ganztag an Schulen: Utopie oder Notwendigkeit?

    Für 2,8 Millionen Schulkinder fehlen Ganztagsplätze. Das hat die Bertelsmann Stiftung durch eine Umfrage unter Eltern ermittelt. Dabei ist der Ganztag gerade für die Kinder, deren Eltern kein Geld für Nachhilfe, mehrere Vereine und andere Angebote haben, besonders wichtig. Und zwar ein Ganztagsangebot an 5 Tagen, wie die Stiftung betont, in dem die Kinder auch wirklich Unterricht, AGs und Förderung von ausgebildeten Lehrern und Pädagogen erhalten. Laut der Stiftung würden diese 2,8 Millionen Plätze den Staat ein paar Milliarden Euro pro Jahr kosten. Prompt haben alle Politiker gesagt: Das sei utopisch. So viel Geld habe man nicht.
    Stimmt, wenn man wie die CDU, FDP und AfD 20-30 Milliarden Euro mehr pro Jahr für Rüstung ausgegeben will, dann ist mehr Geld für Schulen natürlich utopisch.

  • Post: Privates Chaos

    In der Postfiliale in Essen-Werden wurde so viel Personal abgebaut, dass nur ein oder zwei Angestellte krank werden müssen – und schon muss die Filiale tagelang schließen. Die Folge: Anwohner kamen zum Teil eine Woche lang nicht an ihre Einschreiben oder Pakete, darunter bestellte Medikamente.
    Aber es geht noch weiter: Die Post selber hat gar keinen Einfluss darauf, ob die Filiale geöffnet ist. Denn sie wurde 1994 privatisiert und dabei in mehrere völlig getrennte Konzerne aufgeteilt. Die Deutsche Post AG liefert Briefe und Pakete. Die Postfilialen aber gehören der Deutschen Postbank AG, die ihrerseits der Deutschen Bank gehört. Und weil die Deutsche Postbank die Werdener Filiale so unregelmäßig öffnet, hat die Deutsche Post jetzt beschlossen, dass die Werdener Einwohner ihre Einschreiben und Pakete… in der Filiale in Steele-Horst abholen müssen, 15 Kilometer entfernt! Was hat man uns noch erzählt? Die Privatisierungen wären ein Fortschritt, weil private Konzerne viel effizienter und kundenfreundlicher arbeiten als der Öffentliche Dienst?!?

  • Vor 100 Jahren: Die Russische Revolution (Teil 2: von Juli bis Oktober)

    Vor genau hundert Jahren, am 25. Oktober 1917, haben Millionen einfache Arbeiter in Russland die Macht übernommen und einige Jahre lang die Gesellschaft und den Staat selber organisiert.

    Bereits im Februar 1917 stürzen die Arbeiter nach drei Jahren Krieg den Zaren und seinen Staat. In vielen Fabriken, Regimentern und Städten gründen sie Arbeiter- und Soldatenräte, wo sie über ihre Forderungen diskutieren, und auch anfangen, Chefs und Offiziere zu überwachen oder sie gar zu verjagen, wenn sie sich gegen die Arbeiter stellen.

    Dennoch: Die politische Macht überlassen sie zunächst einer „provisorischen Regierung“ aus Großindustriellen und kapitalistischen Politikern. Einzig die bolschewistische Partei von Lenin warnt davor, dieser Regierung die Macht zu überlassen. Weil eine kapitalistische Regierung weder den Krieg beenden noch den Bauern das Land und den Arbeitern Brot bringen kann. Und genau das tritt ein. Die Regierung tut nichts! Krieg, Tod und Hunger gehen weiter.

    Immer mehr Arbeiter sind am Ende ihrer Geduld. Sie sehen, dass die Bolschewiki recht haben. Im Juli wollen die Arbeiter der Hauptstadt Petrograd die verhasste kapitalistische Regierung endlich stürzen. Die Arbeiter- und Soldatenräte sollen die Macht übernehmen. Zwei Tage demonstrieren sie mit der Waffe in der Hand. Doch die Arbeiter und Bauern im Rest des Landes sind noch nicht so weit, sich ihnen anzuschließen, und die Petrograder brechen ihren Vorstoß ab.
    Die Regierung nutzt diese Gelegenheit, um die bolschewistische Partei wegen Aufstands gegen die Regierung zu verbieten: Ihre Anhänger werden verfolgt und zum Teil getötet, und Anführer wie Trotzki werden eingekerkert.

    Die Verfolgung der kämpferischsten Arbeiter und Soldaten jedoch ermutigt die reaktionären Adeligen und Generäle, die nur auf eine Gelegenheit warten, mit der Revolution Schluss zu machen und den Zaren wieder einzusetzen. Ende August organisieren sie einen Militärputsch – angeführt von General Kornilow, dem Oberbefehlshaber der Armee.

    Doch sie haben nicht mit der Arbeiterklasse gerechnet! Sofort bricht ein Generalstreik aus. Innerhalb von 48 Stunden machen die Bolschewiki die Räte gegen den Putsch mobil und koordinieren den Generalstreik. Kornilows Putsch endet im Fiasko: Die Eisenbahner blockieren seinen Zug, seine Division wird von anderen Soldaten entwaffnet, und er wird verhaftet.

    Erneut hat die Arbeiterklasse ihre Stärke bewiesen. Und Millionen Arbeitern und Bauern im ganzen Land wird klar, dass die Bolschewiki von Anfang an recht hatten: Die Arbeiterklasse muss selber die Macht übernehmen. Nur sie kann die demokratischen Rechte schützen und die lebenswichtigen Forderungen der Arbeitenden umsetzen.

    Von da an wird überall, auf der Arbeit, der Straße und in den Zeitungen über die Notwendigkeit eines erneuten Aufstands diskutiert. In unzähligen Fabrik- und Regimentsversammlungen stimmen die Arbeiter und Soldaten für den Aufstand. Und in den meisten Räten erhalten die Bolschewiki nun die Mehrheit.
    Die Oktoberrevolution war also alles andere als ein Putsch: Sie wurde von Millionen Arbeitern und Bauern offen diskutiert und entschieden. Und gerade deshalb ist der eigentliche Aufstand so unspektakulär. In Petrograd besetzen die Arbeiter und Soldaten am 23. und 24. Oktober sogar fast ohne jeden Widerstand Banken, Telefonzentralen, alle anderen zentralen Stellen der Hauptstadt – und letztlich den Sitz der provisorischen Regierung.

    Am Abend des 25. Oktobers beginnt der Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte, zu dem alle Arbeiter- und Soldatenräte Russlands Delegierte nach Petrograd geschickt haben. 390 der 650 Delegierten sind Bolschewiki. Und was für Delegierte! Kaum Krawatten und Anzüge sind zu sehen, dafür umso mehr Arbeiter in alter Arbeitskleidung und bärtige Soldaten, die direkt aus dem Schützengraben kommen.

    Und eben weil sie einfache Arbeiter und Bauern sind, ohne jede Bindung an die Kapitalisten, ihr Eigentum und ihre Parteien, sind sie in der Lage, mit dem jahrhundertealten System radikal zu brechen. Innerhalb von 30 Stunden beschließen sie, sofort den Krieg zu beenden, die Armee zu demokratisieren, den 8-Stunden-Tag und die Kontrolle der Arbeiter über die Fabriken einzuführen. Die Bauern erhalten das Land der Großgrundbesitzer. Und in jedem Dorf, jeder Stadt und im ganzen Land sollen von nun an die Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte die Macht übernehmen. Die Arbeiterklasse regiert.

    Innerhalb weniger Monate erlebt das Land eine riesige Umwälzung. Eine gigantische Alphabetisierungskampagne wird gestartet. Für die Frauen wird das Wahlrecht eingeführt, Ehe und freie Liebe werden gleichgesetzt, die Scheidung vereinfacht. Ein Programm zum Bau von Krippen, Entbindungsheimen, Schulen, Kantinen, Bibliotheken und Arbeiterklubs wird gestartet. Das Land hat nichts? Daran soll es nicht scheitern! Die Arbeiter beschlagnahmen, was sie benötigen. Villen werden beschlagnahmt und in ihnen Obdachlose untergebracht. Mit den Kunstwerken aus den Villen werden öffentliche Museen gegründet.

    Doch den Bolschewiki war klar, dass die Revolution – erst recht in diesem rückständigen Land – auf Dauer nicht überleben konnte, wenn sie alleine blieb. Die Revolutionen in Deutschland, Finnland, Ungarn, Österreich und Italien in den Jahren 1918 – 1920 scheitern jedoch. Und 14 Staaten beginnen gemeinsam mit den Resten des russischen Adels einen grausamen Krieg gegen den jungen Arbeiterstaat.

    Zwar gelingt es der Sowjetunion, diesen Krieg zu gewinnen. Doch das Land ist ausgelaugt und verwüstet, und durch das Scheitern der Revolutionen in Europa zu Isolation und Armut verdammt. Die Arbeiterklasse, von den jahrelangen Kämpfen erschöpft, findet nicht mehr die Kraft, ihren Staat zu kontrollieren. So gelangt eine Schicht von Bürokraten unter ihrem Wortführer Stalin an die Macht, die die Arbeiter unterdrückt, alle Ideale der Revolution und letztlich die bolschewistische Partei liquidiert.

    Trotzdem bleibt, was weder der Stalinismus noch die Anhänger des Kapitalismus auslöschen können. Die Oktoberrevolution hat bewiesen, dass die kapitalistische Herrschaft nicht ewig sein muss. Dass die Arbeiterklasse die einzigartige Fähigkeit hat, sie zu stürzen und eine Gesellschaftsordnung aufzubauen, in der nicht der Profit, sondern die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt stehen. Und wenn man bedenkt, unter welch armen, schwierigen Bedingungen die Arbeiter Russlands, die oft nicht mal lesen konnten, dies geschafft haben – welche Kraft und welche Möglichkeiten haben sie dann erst heute!