Leitartikel
-
Die Arbeiter müssen sich verteidigen – europaweit!
Nach 50 Jahren mühseligen Aufbaus einer gemeinsamen europäischen Wirtschaft haben die Arbeitenden in Europa heute vor allem… die Folgen der Wirtschaftskrise gemeinsam. In jedem Land versuchen ihre Verursacher, die Kapitalisten, die gesamte Last der Krise auf die Arbeitenden abzuwälzen.
Continental schließt Werke in England, Spanien, Schweden, Frankreich und Deutschland. Arcelor-Mittal entlässt in Polen, Belgien und anderen Ländern Ost- und Westeuropas. VW hat in Wolfsburg ebenso Kurzarbeit eingeführt wie in der Slowakei. In allen Ländern schießen die Arbeitslosenzahlen nach oben, werden täglich Entlassungen, Werksschließungen, Insolvenzen angekündigt – von Italien bis Rumänien.
Anders als sie es uns einzureden versuchen, sind nicht die Arbeitenden in Osteuropa an Entlassungen und Werksschließungen im Westen schuld. Ebenso wenig die Arbeitenden aus anderen Ländern der Welt, aus Russland, der Türkei oder Afrika. Nein, überall, in West- und Osteuropa sind die Arbeitenden, egal welcher Herkunft, vereint im gleichen Schicksal von Lohnkürzungen, Entlassungen, Elend.
Gegen diesen vereinten Angriff auf ihre Lebenslage brauchen die Arbeitenden in Europa eine gemeinsame Verteidigung. Sie müssen es schaffen, dass die großen Unternehmen und Banken, die Verursacher der Krise etwas von den gigantischen Gewinnen der letzten Jahre herausrücken, um in der Krise überall die Arbeitsplätze und Löhne zu erhalten und Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst zu schaffen. Das aber werden die nicht freiwillig tun.Kein Wunder, dass Unternehmer wie Politiker in den vergangenen Wochen fast ohne Ausnahme ihre Befürchtung vor möglichen „sozialen Unruhen“ geäußert haben. Sie alle drückten ihre Sorge aus, dass Wut und Proteste aus einzelnen europäischen Ländern sich ausbreiten und auch die deutsche Bevölkerung anstecken könnten.
Ja, sie ahnen, dass der Tag kommen wird, an dem eine Maßnahme zuviel gegen die einfache Bevölkerung das Fass der Wut zum Überlaufen bringen wird. Doch anders als die hohen Herrschaften kann die arbeitende Bevölkerung auf diese Art der europäischen Vereinigung nur hoffen!
Internationales
-
Massenentlassungen verbieten
Die Zahl der Arbeitslosen in der EU ist seit Beginn der Krise explodiert. Über 19 Millionen Menschen waren laut der OECD im März in der EU arbeitslos. Ob im Westen oder Osten, Norden oder Süden, überall die gleiche dramatische Entwicklung: 17,4% Arbeitslose in Spanien (fast doppelt so viele wie noch vor einem Jahr), 9,2% in Ungarn, 7,6% in Deutschland, 6,6% in Großbritannien. Überall entlassen die Konzerne, um in der Krise ihre Gewinne und Vermögen nicht anzutasten.
Um diese bedrohliche Entwicklung zu stoppen, gibt es nur eine wirksame Möglichkeit: das Verbot von Massenentlassungen. Der Erhalt aller Arbeitsplätze muss von den Gewinnen der vergangenen Jahre bezahlt werden! -
Wie ein Erdrutsch – das Drama der Krise in Osteuropa
Explodierende Arbeitslosigkeit, eine Inflation von 20-40% in 6 Monaten, drastische Sparpläne der Regierungen in allen Bereichen, drohender Staatsbankrott… Das ist die heutige Lage in den osteuropäischen Staaten, von der Slowakei über Rumänien bis Litauen.
EU-Staaten zweiter Klasse
Nie haben diese Länder das Wirtschaftswunder erlebt, dass man ihnen nach dem Mauerfall versprochen hatte. Seit Beginn der 90er Jahre hat sich dafür Westeuropa, allen voran Deutschland, den Löwenanteil der osteuropäischen Wirtschaft unter den Nagel gerissen. Autoindustrie und Maschinenbau in Tschechien, Polen und der Slowakei sind völlig von deutschen Konzernen abhängig; den Telekommunikationsmarkt in Ungarn und der Slowakei kontrollieren deutsche Firmen.
Ihre Aufnahme in die EU ab 2004 bedeutete nur die Fortsetzung dieser wirtschaftlichen Ausbeutung und Abhängigkeit. Die osteuropäischen Staaten sind in der EU Staaten zweiter Klasse, die weder wirtschaftlich noch politisch etwas zu sagen haben. Sie sind einzig dazu da, den westeuropäischen Konzernen als Vorratskammer an billigen Arbeitskräften, als Absatzmarkt und Investitionsgelegenheit für ihr Kapital zu dienen.
Mit der Wirtschaftskrise hat sich die Lage nun dramatisch verschlechtert. Allein in der Slowakei sind seit dem Herbst 100.000 Arbeitsplätze vernichtet worden – in einem Land, das gerade so viele Einwohner hat wie das Ruhrgebiet. Hinzu kommen die vielen, die im Ausland arbeiteten und jetzt als erste entlassen wurden. Und weil die westeuropäischen Banken mit Beginn der Krise ihre Gelder aus Osteuropa abzogen, drohte Ungarn, Rumänien und Lettland sogar der Staatsbankrott.
Monatelang hat die EU einfach zugeschaut, wie so mehrere Mitgliedsstaaten immer tiefer versanken. Im März und April hat sie schließlich einige dutzend Milliarden Kredite gewährt, um deren Staatsbankrott zu verhindern. Sonst hätten nämlich die größten Gläubiger dieser Staaten auch ihr Geld verloren, und das sind westeuropäische Banken.
Keine Rettungspakete
Auch dieses „Rettungspaket“ also ist ein Hilfspaket für die westeuropäischen Banker, nicht aber für die Bevölkerung. Denn als Gegenleistung für die Hilfspakete müssen die osteuropäischen Staaten brutale Sparprogramme durchsetzen: weniger Geld für alle sozialen und öffentlichen Aufgaben, massive Rentenkürzung, Streichung von Familienbeihilfen…
Die Krise erinnert deutlich daran, dass sich die einfache Bevölkerung in Westeuropa und Osteuropa gegen einen gemeinsamen Feind zur Wehr setzen muss: gegen die großen Banken, Konzerne und ihre Regierungen, die überall versuchen, die Arbeitenden an die Wand zu drücken, um in der Krise ihre Vermögen zu retten.
-
Welche Zukunft hat Europa?
Die wirtschaftliche Entwicklung drängt seit langem nach einer wirklichen, und zwar weltweiten Vereinigung. Ein Auto zum Beispiel ist ein durch und durch internationales Produkt. Von der Förderung der Rohstoffe bis zu seinem Verkauf sind hunderttausende Arbeiterhände auf quasi allen Kontinenten daran beteiligt. Anders kann die moderne Industrie gar nicht funktionieren. Sie lässt sich ebenso wenig auf ein Land begrenzen wie die von ihr verursachten Probleme, ob Klimawandel und Umweltprobleme, Energiekrisen oder die derzeitige Wirtschaftskrise.
Bereits vor 100 Jahren stellten die Sozialisten daher die Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa auf: einer Wirtschaftsform und -vereinigung, die sich – anders als die heutige EU – an den Bedürfnissen der Menschen und nicht am Profit orientiert. 100 Jahre später, während der Kapitalismus in einer weltweiten Krise steckt, hat diese Forderung nichts von ihrer Aktualität verloren.
Eine den gesamten europäischen Kontinent umfassende sozialistische Vereinigung ist im Gegenteil heute das Mindeste, und nur als Teil einer weltweiten Vereinigung denkbar. -
Löhne und soziale Rechte nach oben angleichen!
Ob Sozialgesetze, Renten oder Löhne – hier macht jedes EU-Land, was es will. Das Rentenalter ist mal bei 60, mal bei 67, das Streikrecht ist in jedem Land verschieden, ganz zu schweigen von der Arbeitszeit oder der Höhe der Löhne. 20 Staaten haben einen Mindestlohn, doch der reicht von 9,49 Euro in Luxemburg und 8,71 Euro in Frankreich… bis 0,71 Euro in Bulgarien. Und 7 Staaten, darunter Deutschland, haben gar keinen.
Dass es in der EU möglich ist, bis ins Detail Verpackungsgrößen festzulegen, alle Wirtschafts- und Handelsgesetze zu vereinen und sogar eine gemeinsame Währung einzuführen, aber Gesundheitsversorgung oder Arbeitszeiten nicht in Ansätzen vereint werden, ist kein Zufall. Die Konzerne in Europa brauchen einen einheitlichen Markt für ihre Waren. Und sie wollen die Unterschiede bei Löhnen und Sozialgesetzen. Was gibt es schöneres, als mit den schlechteren Löhnen, den längeren Arbeitszeiten im Nachbarland die Arbeiter der verschiedenen Länder gegeneinander auszuspielen und so letztlich alle nach unten zu ziehen?
Die Arbeitenden hingegen können nur ein Interesse an einer Vereinheitlichung der Löhne und sozialen Bedingungen in ganz Europa haben – und zwar an einer Angleichung nach oben! Dies würde den Arbeitern in den ärmeren Ländern nutzen, die so deutlich bessere Lebensbedingungen erhielten. Und es würde in den reicheren Ländern den permanenten Konkurrenzdruck schwächen.
Das fängt an bei einem einheitlichen Mindestlohn in ganz Europa – und zwar ausgerichtet am höchsten Mindestlohn, der in der EU existiert. -
Die EU: beliebter Sündenbock für unbeliebte Maßnahmen
Das europäische Parlament, das am 7. Juni gewählt wird, hat noch weniger Rechte als der Bundestag – und Macht hat es überhaupt keine. Es dient nur zur Dekoration und – wie alle europäischen Einrichtungen – als Sündenbock.
Wenn die Bundesregierung ein unbeliebtes Gesetz verabschiedet, heißt es oft genug: „Europa ist schuld, wir können nichts dafür“ oder „Das hat Brüssel so entschieden.“ Dabei verschweigt sie, dass alle wichtigen Entscheidungen in der EU von allen Regierungen der EU-Staaten gemeinsam gefasst werden – und zwar einstimmig. Jedes unbeliebte EU-Gesetz also hat die deutsche Regierung selber mit beschlossen.
Die Kapitalisten und ihre Politiker nutzen die EU als Ausrede, um etwas zu tun, was sie sowieso vorhaben: Nämlich die Profite der Kapitalisten immer mehr zu erhöhen, indem sie die Arbeiter immer mehr auspressen und alles mögliche Geld aus den öffentlichen Kassen rauben – ob mit Hilfe eines EU-Gesetzes oder ohne.
-
Nein zur Festung Europa!
Während die Grenzen zwischen den europäischen Staaten durchlässiger werden, werden die Grenzzäune um Europa immer höher.
In Osteuropa bezahlen die Menschen die Öffnung der Westgrenzen mit einer neuen, noch härteren Trennung im Osten. Bevölkerungen, die über zig historische, wirtschaftliche, menschliche und familiäre Beziehungen verbunden sind, werden zerrissen durch die neue Grenze aus Stacheldrahtzäunen und massiven Militäraufgeboten.
An der spanischen Grenze zu Marokko zeugen Fetzen blutiger T-Shirts von den erfolglosen Versuchen der Flüchtlinge, die meterhohen, mit modernster Technologie ausgerüsteten Todeszäune zu überwinden.
Diejenigen, die über das Mittelmeer nach Italien oder Malta gelangen, kommen selten weiter als bis zum Abschiebegefängnis an der Küste. Wenn sie überhaupt bis dahin gelangen! Zahllose Menschen, die vor Krieg, Hunger und Krankheit flohen, auf die oft eine ganze Familie ihre Hoffnungen setzt, lassen bereits vor der Küste ihr Leben – auf den Flüchtlingsschiffen, die kein europäisches Land in seinen Hafen laufen lässt, bis sie untergehen.Das Mittelmeer, seit Jahrtausenden traditioneller Raum der Begegnung unterschiedlicher Kulturen und Völker, wird durch diesen neuen eisernen Vorhang zu einem Massengrab, das sich jedes Jahr mit weiteren tausenden Leichen füllt.
Doch auch mit diesen barbarischen Methoden wird Europa nicht die Armut der Welt von sich fernhalten können. Solange der Kapitalismus in einem großen Teil der Welt Elend und Krieg hervorbringt, wird kein Zaun so hoch, keine Grenze so bestialisch sein, als dass sie die Elenden davon abhalten könnten, es zu versuchen… und sei der Strohhalm der Hoffnung, an den sie sich klammern, auch noch so dünn.