Vor genau hundert Jahren, am 25. Oktober 1917, haben Millionen einfache Arbeiter in Russland die Macht übernommen und einige Jahre lang die Gesellschaft und den Staat selber organisiert.
Bereits im Februar 1917 stürzen die Arbeiter nach drei Jahren Krieg den Zaren und seinen Staat. In vielen Fabriken, Regimentern und Städten gründen sie Arbeiter- und Soldatenräte, wo sie über ihre Forderungen diskutieren, und auch anfangen, Chefs und Offiziere zu überwachen oder sie gar zu verjagen, wenn sie sich gegen die Arbeiter stellen.
Dennoch: Die politische Macht überlassen sie zunächst einer „provisorischen Regierung“ aus Großindustriellen und kapitalistischen Politikern. Einzig die bolschewistische Partei von Lenin warnt davor, dieser Regierung die Macht zu überlassen. Weil eine kapitalistische Regierung weder den Krieg beenden noch den Bauern das Land und den Arbeitern Brot bringen kann. Und genau das tritt ein. Die Regierung tut nichts! Krieg, Tod und Hunger gehen weiter.
Immer mehr Arbeiter sind am Ende ihrer Geduld. Sie sehen, dass die Bolschewiki recht haben. Im Juli wollen die Arbeiter der Hauptstadt Petrograd die verhasste kapitalistische Regierung endlich stürzen. Die Arbeiter- und Soldatenräte sollen die Macht übernehmen. Zwei Tage demonstrieren sie mit der Waffe in der Hand. Doch die Arbeiter und Bauern im Rest des Landes sind noch nicht so weit, sich ihnen anzuschließen, und die Petrograder brechen ihren Vorstoß ab.
Die Regierung nutzt diese Gelegenheit, um die bolschewistische Partei wegen Aufstands gegen die Regierung zu verbieten: Ihre Anhänger werden verfolgt und zum Teil getötet, und Anführer wie Trotzki werden eingekerkert.
Die Verfolgung der kämpferischsten Arbeiter und Soldaten jedoch ermutigt die reaktionären Adeligen und Generäle, die nur auf eine Gelegenheit warten, mit der Revolution Schluss zu machen und den Zaren wieder einzusetzen. Ende August organisieren sie einen Militärputsch – angeführt von General Kornilow, dem Oberbefehlshaber der Armee.
Doch sie haben nicht mit der Arbeiterklasse gerechnet! Sofort bricht ein Generalstreik aus. Innerhalb von 48 Stunden machen die Bolschewiki die Räte gegen den Putsch mobil und koordinieren den Generalstreik. Kornilows Putsch endet im Fiasko: Die Eisenbahner blockieren seinen Zug, seine Division wird von anderen Soldaten entwaffnet, und er wird verhaftet.
Erneut hat die Arbeiterklasse ihre Stärke bewiesen. Und Millionen Arbeitern und Bauern im ganzen Land wird klar, dass die Bolschewiki von Anfang an recht hatten: Die Arbeiterklasse muss selber die Macht übernehmen. Nur sie kann die demokratischen Rechte schützen und die lebenswichtigen Forderungen der Arbeitenden umsetzen.
Von da an wird überall, auf der Arbeit, der Straße und in den Zeitungen über die Notwendigkeit eines erneuten Aufstands diskutiert. In unzähligen Fabrik- und Regimentsversammlungen stimmen die Arbeiter und Soldaten für den Aufstand. Und in den meisten Räten erhalten die Bolschewiki nun die Mehrheit.
Die Oktoberrevolution war also alles andere als ein Putsch: Sie wurde von Millionen Arbeitern und Bauern offen diskutiert und entschieden. Und gerade deshalb ist der eigentliche Aufstand so unspektakulär. In Petrograd besetzen die Arbeiter und Soldaten am 23. und 24. Oktober sogar fast ohne jeden Widerstand Banken, Telefonzentralen, alle anderen zentralen Stellen der Hauptstadt – und letztlich den Sitz der provisorischen Regierung.
Am Abend des 25. Oktobers beginnt der Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte, zu dem alle Arbeiter- und Soldatenräte Russlands Delegierte nach Petrograd geschickt haben. 390 der 650 Delegierten sind Bolschewiki. Und was für Delegierte! Kaum Krawatten und Anzüge sind zu sehen, dafür umso mehr Arbeiter in alter Arbeitskleidung und bärtige Soldaten, die direkt aus dem Schützengraben kommen.
Und eben weil sie einfache Arbeiter und Bauern sind, ohne jede Bindung an die Kapitalisten, ihr Eigentum und ihre Parteien, sind sie in der Lage, mit dem jahrhundertealten System radikal zu brechen. Innerhalb von 30 Stunden beschließen sie, sofort den Krieg zu beenden, die Armee zu demokratisieren, den 8-Stunden-Tag und die Kontrolle der Arbeiter über die Fabriken einzuführen. Die Bauern erhalten das Land der Großgrundbesitzer. Und in jedem Dorf, jeder Stadt und im ganzen Land sollen von nun an die Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte die Macht übernehmen. Die Arbeiterklasse regiert.
Innerhalb weniger Monate erlebt das Land eine riesige Umwälzung. Eine gigantische Alphabetisierungskampagne wird gestartet. Für die Frauen wird das Wahlrecht eingeführt, Ehe und freie Liebe werden gleichgesetzt, die Scheidung vereinfacht. Ein Programm zum Bau von Krippen, Entbindungsheimen, Schulen, Kantinen, Bibliotheken und Arbeiterklubs wird gestartet. Das Land hat nichts? Daran soll es nicht scheitern! Die Arbeiter beschlagnahmen, was sie benötigen. Villen werden beschlagnahmt und in ihnen Obdachlose untergebracht. Mit den Kunstwerken aus den Villen werden öffentliche Museen gegründet.
Doch den Bolschewiki war klar, dass die Revolution – erst recht in diesem rückständigen Land – auf Dauer nicht überleben konnte, wenn sie alleine blieb. Die Revolutionen in Deutschland, Finnland, Ungarn, Österreich und Italien in den Jahren 1918 – 1920 scheitern jedoch. Und 14 Staaten beginnen gemeinsam mit den Resten des russischen Adels einen grausamen Krieg gegen den jungen Arbeiterstaat.
Zwar gelingt es der Sowjetunion, diesen Krieg zu gewinnen. Doch das Land ist ausgelaugt und verwüstet, und durch das Scheitern der Revolutionen in Europa zu Isolation und Armut verdammt. Die Arbeiterklasse, von den jahrelangen Kämpfen erschöpft, findet nicht mehr die Kraft, ihren Staat zu kontrollieren. So gelangt eine Schicht von Bürokraten unter ihrem Wortführer Stalin an die Macht, die die Arbeiter unterdrückt, alle Ideale der Revolution und letztlich die bolschewistische Partei liquidiert.
Trotzdem bleibt, was weder der Stalinismus noch die Anhänger des Kapitalismus auslöschen können. Die Oktoberrevolution hat bewiesen, dass die kapitalistische Herrschaft nicht ewig sein muss. Dass die Arbeiterklasse die einzigartige Fähigkeit hat, sie zu stürzen und eine Gesellschaftsordnung aufzubauen, in der nicht der Profit, sondern die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt stehen. Und wenn man bedenkt, unter welch armen, schwierigen Bedingungen die Arbeiter Russlands, die oft nicht mal lesen konnten, dies geschafft haben – welche Kraft und welche Möglichkeiten haben sie dann erst heute!