Türkei: Pogrome gegen syrische Flüchtlinge,angefacht von Wirtschaftskrise und demagogischen Politikern

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In den letzten Tagen gab es in mehreren Gegenden der Türkei Ausschreitungen gegen syrische Flüchtlinge.
 
Ein Vorfall mit einem syrischen Mann, der wohl ein Kind belästigt hat, verbreitete sich in den sozialen Medien und brachte eine ohnehin schon brodelnde Stimmung zum Kochen. In mehreren Städten zogen Gruppen durch die Straßen. Sie riefen: „Wir wollen keine Syrer mehr, wir wollen keine Flüchtlinge mehr“ und zündeten Geschäfte, Wohnungen und Autos von Syrern an. Ein 15jähriger Syrer wurde niedergestochen.
 
In der Türkei leben über 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge, sehr viel mehr als in Deutschland. In den letzten Jahren verschlechtert sich die Stimmung ihnen gegenüber zusehends – vor allem aufgrund der immer schlimmer werdenden Wirtschaftskrise.
 
Denn diese treibt immer mehr Menschen in der Türkei in Armut und Existenznot. Die Preise sind unfassbar gestiegen. Wohnungen sind kaum noch bezahlbar. Der Lohn reicht kaum noch für das Nötigste, die Rente noch weniger. Viele Rentner müssen rechnen, wie viele Zwiebeln oder Tomaten sie auf dem Markt kaufen können, von allem anderen ganz zu schweigen.
 
Dann kam noch das Erdbeben im Südosten der Türkei – genau der Region, in der auch die allermeisten Flüchtlinge wohnen. Viele Familien haben noch immer keine neue Wohnung. Die staatliche Hilfe für Erdbebenopfer hat ihnen geholfen, über den Monat zu kommen. Doch kurz vor den Ausschreitungen hat die Regierung ihnen per SMS (!) mitgeteilt, dass diese Hilfe ab Juli gestrichen wird.
In der immer verzweifelteren Lage hat sich das Gefühl verbreitet: „Die Flüchtlinge bekommen alles, wir bekommen nichts.“ Was natürlich nicht stimmt. Schon vor den jetzigen Ausschreitungen kam es immer häufiger zu Angriffen auf syrische Flüchtlinge.
 
Diese Stimmung wird von den Politikern verschiedener Parteien gezielt geschürt und angeheizt – allen voran sogar von der größten linken Oppositionspartei, der CHP! Diese Partei, die auch von der deutschen Regierung unterstützt wird, klagt seit Jahren Erdogan dafür an, dass dieser die Flüchtlinge ins Land gelassen hat. Die CHP hat Proteste gegen Syrer oder gegen ihre Geschäfte organisiert und im letzten Wahlkampf offen verkündet: Sollte sie gewinnen, würde sie alle syrischen Flüchtlinge aus der Türkei vertreiben.
 
Mit ihrer Stimmungsmache ist sie mit dafür verantwortlich, wenn ein wachsender Graben aus Hass und Blut zwischen türkischen und syrischen Arbeitenden entsteht.
 
Dabei sind die syrischen Flüchtlinge genau wie die türkische arbeitende Bevölkerung Opfer der Teuerung, von Wohnungsmangel, von überfüllten Schulklassen. Sie bekommen eher noch schlechtere Arbeiten, meist nur Schwarzarbeit, mit der sie sich kaum über Wasser halten können. Sie sind wirklich nicht die Ursache der sozialen Probleme, im Gegenteil.
 
Eigentlich wären türkische und syrische Arbeitende natürliche Verbündete, um sich gegen die Reichen und die Regierung zu wehren, die in Wahrheit maßgeblich für das Elend verantwortlich sind. Und die jüngsten Ereignisse machen auf erschreckende Weise deutlich, wie wichtig es ist, dass politische Aktivisten wieder in diesem Sinn in der Arbeiterklasse aktiv werden – in der Türkei wie auch bei uns.