Russland / Ukraine: Kein Mensch will Kanonenfutter werden

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Sowohl die russische wie die ukrainische Führung haben immer größere Mühe, die Reihen der Soldaten wieder aufzufüllen, die der Krieg bereits verschlungen hat.

Nachdem die russische Regierung erst im Herbst 500.000 Soldaten zwangsweise eingezogen und an die Front geschickt hat, ist sie bereits auf der Suche nach neuem „Menschenmaterial“.

In den ärmsten Gegenden verspricht sie verzweifelten Männern ein Einkommen und die Versorgung ihrer Familien, wenn sie sich verpflichten. Gefangene werden aus dem Zuchthaus entlassen, wenn sie an die Front gehen. Migranten aus Kirgisien, Tadschikistan oder Usbekistan, die in Russland als Menschen zweiter Klasse leben und ausgebeutet werden, verspricht man die russische Staatsangehörigkeit, wenn sie in den Krieg ziehen. Wie viele von ihnen werden lebend zurückkehren?
Überall macht die Regierung außerdem Jagd auf die vielen Wehrpflichtigen, die sich bislang der Einberufung entzogen haben, indem sie umgezogen sind und die Arbeitsstelle gewechselt haben – und verhängt empfindliche Strafen gegen sie und Familien.

Auf ukrainischer Seite ist es nicht anders. Immer häufiger kreuzen die Feldjäger auf der Arbeit oder zuhause auf, um einen Mann festzunehmen und ihn gegen seinen Willen an die Front zu schicken. In den Innenstädten, auf öffentlichen Plätzen und in Cafés führen sie Razzien durch auf der Jagd nach allen, die sich der Einberufung entzogen haben. Mittlerweile warnen sich die Ukrainer über soziale Medien, wo die Feldjäger gerade unterwegs sind.

Die anfängliche Einigkeit hat längst angefangen zu bröckeln. Noch mehr, seit Anfang des Jahres bekannt wurde, dass ukrainische Unternehmer gleich vier stellvertretende Minister (darunter den Verteidigungsminister) und fünf Gouverneure bestochen hatten, um sich durch drastisch überteuerte Aufträge für die Armee und sogar an der Verpflegung für die Soldaten zu bereichern. Gleichzeitig richteten diese Kriegsgewinnler patriotische Appelle an die Bevölkerung, dass jeder für die Verteidigung des Landes Opfer bringen müsse!

Immer mehr Menschen in der Ukraine merken, dass dies nicht „ihr“ Krieg, sondern dass sie ihr Leben lassen für die kleine reiche Minderheit, die ihre eigenen Interessen verfolgt und sich um das Los der Bevölkerung einen Dreck schert. Auf beiden Seiten wollen immer weniger Menschen ihr Leben opfern, da sie sehen, dass nur die Mächtigen davon profitieren – seien es die Oligarchen, die Kapitalisten oder die imperialistischen Großmächte. Diese Erkenntnis war in der Vergangenheit oft der Anfang vom Ende des Krieges.