Seit einem Monat gehen vor allem junge Frauen und Männer im Iran auf die Straße. Ausgelöst wurden die Proteste durch den Tod einer jungen Frau, die von der Sittenpolizei verhaftet und gefoltert wurde, weil Haare aus ihrem Kopftuch herausguckte. Mittlerweile sind daraus Massenproteste gegen das gesamte Regime geworden, das über 40 Jahre lang unantastbar schien.
Mit Rufen wie „Tod dem Diktator“ und „Nieder mit der Islamistischen Republik“ stellt sich die Jugend Tag für Tag mutig der Sicherheitspolizei entgegen. Vorneweg die Frauen, die das Regime 40 Jahre gezwungen hat, sich unter einem Schleier zu verstecken und in der Öffentlichkeit unauffällig, ja am besten unsichtbar zu sein. Nicht einmal die absolute Brutalität des Regimes, das bereits über 12.000 Protestierende verhaftet, zahllose weitere verletzt und mehrere hundert getötet hat, hält sie davon ab, immer wieder auf die Straße zu gehen.
Die Jugend greift die religiösen Führer an, die Moral predigen, aber selber verrottete und korrupte Milliardäre sind. Damit treffen sie den Nerv von Millionen Ausgebeuteten, die täglich unter Entbehrungen, Inflation und der Korruption des Regimes leiden.
Sie finden Sympathie selbst bei Teilen derjenigen, die bislang das Regime unterstützt und auch die vielen unterdrückerischen Maßnahmen gegen die Frauen im Namen der Religion nicht in Frage gestellt haben.
Auch die Propaganda des Regimes, dass die Revolte der Jugend „vom Westen und Israel gesteuert“ wäre, verringert diese Sympathien nicht. In Wahrheit sind die westlichen Staaten den Protesten gegenüber sogar sehr zurückhaltend. Zwar ist das iranische Regime ihnen ein Dorn im Auge, seit es sich 1979 an die Spitze der Revolution gegen die Schah-Diktatur gestellt hatte, unter der der Iran quasi Kolonie der USA gewesen war. Doch auch wenn es den USA gegenüber viel weniger gehorsam ist als zum Beispiel Saudi-Arabien, so ist es doch ein Stabilitätsfaktor in der Region und gegenüber der eigenen, 80-Millionen-starken Bevölkerung. Und das letzte, was die US-Regierung möchte ist, dass das Regime von einer Revolte der Bevölkerung gestürzt wird.
Daher halten sich die westlichen Staatschefs bedeckt. Sie warten ab, ob es dem Regime doch noch gelingt, die Revolte nach und nach zu ersticken. Gleichzeitig halten sie diskret nach einer möglichen Alternative Ausschau: sprich nach einem neuen (am besten pro-westlichen) Diktator, der die Bevölkerung wieder in den Griff bekommen könnte.
Reza Pahlavi, der in New York lebende Sohn des ehemaligen Schahs, versucht sich als Nachfolger in Stellung zu bringen. Doch auch im Iran selber könnten ganz schnell Politiker angeblich demokratischer Gesinnung auftauchen, um diese Rolle zu übernehmen. Selbst aus dem Regierungslager gibt es die ersten Anwärter, die sich vom jetzigen Diktator abgrenzen und Reformen wie die Abschaffung der Sittenpolizei fordern.
Im Süden des Irans sind die Arbeiter mehrerer Großbetriebe der Öl-Industrie kürzlich in den Streik getreten, um die Protestbewegung der Jugend zu unterstützen. Diese Arbeiter stellen eine bedeutende Kraft dar.
Sie sind zahlreich und konzentriert in großen Betrieben – in einer Branche, die die wichtigste Einnahmequelle des Landes ist. Außerdem verfügen sie über Kampf-Traditionen. Erst letztes Jahr hat es hier einen langen, harten Streik gegeben. Und da die offiziellen Gewerkschaften den Bossen und dem Regime unterstehen und unabhängige Gewerkschaften verboten sind, haben die Arbeiter außerdem die Gewohnheit angenommen, eigene Komitees zur Leitung ihrer Kämpfe zu gründen.
Wenn die Arbeiter*innen dieser und anderer Branchen sich in den Kampf werfen würden und mit ihren eigenen Organisationen an die Spitze der Bewegung treten, dann gibt es eine Chance, dass das Regime der Ayatollah gestürzt und durch etwas Anderes als eine neue Diktatur ersetzt wird.