Der folgende Artikel ist eine Übersetzung eines Artikels unserer französischen Genossen von Lutte Ouvrière aus ihrer gleichnamigen Zeitung vom 24.7.20.
Im Morgengrauen des 21. Juli ist es den Verantwortlichen der 27 EU-Staaten endlich gelungen, ein Abkommen zuwege zu bringen, das – wie sie sagen – die durch Covid-19 stark geschädigte Wirtschaft wieder ankurbeln soll.
Die EU wird auf den Finanzmärkten 390 Milliarden Euro an Schulden aufnehmen, die in Form von Subventionen an die am stärksten getroffenen Länder gehen sollen. Im Abkommen ist ebenfalls vorgesehen, dass die EU bis zu 360 Milliarden Euro weitere Schulden aufnehmen kann, um sie an einzelne EU-Staaten weiterzuverleihen. Für die Subventionen kommt die Gesamtheit der 27 Staaten auf, die Kredite hingegen müssen von den Staaten zurückgezahlt werden, die sich das Geld bei der EU leihen.
Diese Summen gesellen sich zu den hunderten Milliarden hinzu, die die einzelnen Staaten bereits aus dem Hut gezaubert haben, um die Profite ihrer Konzerne zu sichern. Infolge der Pandemie haben sich Wirtschaft und Handel verlangsamt. Genau wie 2008 versuchen die Staaten, die Maschine wieder ans Laufen zu kriegen, indem sie sie mit Geld überschütten. Indem sie das EU-Konjunkturpaket akzeptiert haben, das Frankreich und Deutschland vorgeschlagen haben, machen die EU-Staaten einfach nur das gemeinsam, was jeder Staat sowieso schon auf eigene Rechnung macht.
Und im Verhältnis dazu sind ihre gemeinsamen Maßnahmen eigentlich ziemlich gering. Frankreich zum Beispiel wird aus dem EU-Paket 40 Milliarden Euro erhalten. Die sollen laut dem Wirtschaftsminister einen Teil der Kosten des 100 Milliarden Euro schweren Konjunkturpakets decken, das die französische Regierung im September beschließen will. Und vor diesem Konjunkturpaket gab es bereits das 340 Milliarden Euro schwere Rettungspaket, das die französische Regierung zu Beginn der Krise bereitgestellt hat.
Ganz zu schweigen von den einzelnen (ebenfalls milliardenschweren) Rettungsplänen, die der Automobil-, Luftfahrt- oder Rüstungsbranche gewährt werden.
[Und die Summen, die die deutsche Regierung für ähnliche nationale Rettungs- und Konjunkturprogramme ausgibt, sind noch höher.] (Anmerkung der Übersetzer)
Das 750-Milliarden-Euro-Paket, das ursprünglich von Merkel und Macron vorgeschlagen wurde, dient vor allem dazu, die Wirtschaft in Südeuropa wieder anzukurbeln. Denn die Wirtschaft der EU-Staaten ist sehr eng verflochten, und die deutschen und französischen Kapitalisten können sich den Bankrott so wichtiger Länder wie Italien oder Spanien nicht leisten, die für sie ebenso Lieferanten wie Kunden sind. Deshalb haben die deutschen Kapitalisten ihre bisherige Haltung geändert. Waren sie vorher immer absolute Gegner gemeinsamer europäischer Schulden, haben sie nun ihre politische Sprecherin aufgefordert, sich für diesen Plan auszusprechen.
Die Staatschefs der beiden großen EU- Mächte Frankreich und Deutschland hatten einen zweiten Beweggrund für ihren Vorschlag. Macron hat es im Laufe der Verhandlungen folgendermaßen ausgedrückt: „Wenn wir die Staatschefs in Schwierigkeiten bringen, dann droht uns ein Erstarken des Populismus in diesen Ländern.“ Dies gilt vor allem für die Nutznießer des Konjunkturprogramms – insbesondere für Italien, wo die extreme Rechte mit ihrer Propaganda, die EU lasse Italien im Stich, wieder
an die Regierung zu kommen droht.
Der niederländische Premierminister Rutte hingegen, der den Plan bekämpft hat, regiert ebenfalls unter dem drohenden Schatten der extremen Rechten: Er wollte ihr auf dem Gebiet des nationalen Egoismus Zugeständnisse machen und hat sich entsprechend geweigert, für die südeuropäischen Länder zu zahlen.
Doch im Moment wollen die großen Konzerne und Banken Europas über einen gemeinsamen Binnenmarkt und eine einheitliche Währung verfügen, was die EU gewährleistet. Und das zählt mehr als die Schwierigkeiten irgendeines Politikers. Das Abkommen wurde also geschlossen, und alle Verhandler konnten sich als Sieger präsentieren: um dem Preis, dass die finanziellen Beiträge der zögerlichen Staaten gesenkt wurden; mit der Versicherung, dass man die kreditnehmenden Staaten zwingen werde, ihre Bevölkerungen für die europäischen Gelder bezahlen zu lassen; und mit einer nichtssagenden Resolution, die niemanden in Bezug auf den Rechtsstaat zu irgendwas verpflichtet.
Die Einigkeit wird wohl nur von kurzer Dauer sein. Denn die Wirtschaftskrise kann letztlich nur die Kräfte stärken, die die EU auseinandertreiben. Das Beispiel Großbritanniens und des Brexit zeigt, dass politische Entgleisungen zu unkontrollierten Austritten führen können. Und vor allem drängt der Existenzkampf zwischen den Konzernen jeden einzelnen Konzern dazu, sich immer stärker auf seinen Nationalstaat zu stützen. Und eben dies ist das aggressivste unter den Lösungsmitteln, das auf die Europäische Union der Kapitalisten einwirkt.