Mit ihrem NEIN hat die griechische arbeitende Bevölkerung den x-ten Sparplan zurückgewiesen, den die Institutionen des Kapitals ihr aufzwingen wollen. Trotz der massiven Drohungen aller Staatschefs Europas und der reichen Griechen hat sie ihre Weigerung zum Ausdruck gebracht, weiter die Lohnsenkungen, die Entlassungen, die Rentenkürzungen, den Absturz in die Armut zu ertragen. Sie will nicht länger für Schulden bezahlen, die sie nicht gemacht hat und von denen sie nie profitiert hat.
Mit ihrem NEIN hat die arbeitende Bevölkerung mutig ihre Meinung gesagt. Doch sie hat dadurch nicht das Kräfteverhältnis verändert zwischen ihr und dem großen Kapital, das heute ihre Existenzbedingungen zerstört. Dies sind die Grenzen von Wahlen in einer Gesellschaft, die vom Geld, vom großen Kapital beherrscht wird.
Die Regierung Tsipras verlangte nicht mehr, als dass die internationalen Institutionen die Verhandlungen wieder aufnehmen, um einen Kompromiss zu finden mit denen, die die griechische Bevölkerung erdrosseln wollen.
In seiner Auseinandersetzung mit ihnen verteidigt Tsipras die nationale Würde Griechenlands, die von den imperialistischen Mächten Europas mit Füßen getreten wird. Doch deshalb verteidigt er noch lange nicht die Klasseninteressen der Ausgebeuteten. Er hat dies auch niemals behauptet. Die arbeitende Bevölkerung tut daher gut daran, sich dem zu widersetzen, dass in den Verhandlungen ihre Renten, ihr Mindestlohn, ihr Überleben geopfert wird.
Was in Griechenland passiert, betrifft auch uns. Heute wird das griechische Volk vom Finanzkapital erdrosselt. Wer wird morgen an der Reihe sein?
Seit Jahren investiert die kapitalistische Klasse immer weniger in Fabriken, Maschinen, in Produktion, die Arbeitsplätze schafft. Oh, investiert hat sie auch früher nicht aus Sorge um das Gemeinwohl, sondern um durch die Ausbeutung der Arbeiter Profit zu machen. Doch zu produzieren ohne die Sicherheit, die Produkte auch verkaufen zu können – dieses Risiko sind die großen Konzerne mit der Krise immer weniger bereit einzugehen.
Sie haben etwas Besseres gefunden: Sie verleihen gegen Zinsen Geld, an Privatpersonen, Städte, Institutionen, Staaten. Kurz gesagt: Wucher statt Produktion.
Seit Jahrzehnten durchdringt die Finanz die gesamte Gesellschaft, fesselt und erstickt sie: Der Kredit tritt an die Stelle der unzureichenden Löhne. Die verschuldeten Krankenhäuser müssen immer mehr Geld für Zinsen abzweigen, auch wenn dadurch die Arbeitsbedingungen unerträglich werden und die Qualität der Pflege immer problematischer wird.
Auch die Kommunen werden von den Schulden erdrosselt. Sie machen einen Sparplan nach dem anderen, schließen Schwimmbäder und Schulen, streichen Buslinien und privatisieren die Müllabfuhr. Und trotzdem haben sie nach jedem Sparplan noch mehr Schulden als vorher. Weil sie allein, um die horrenden Zinsen an die Banken zu bezahlen, jedes Jahr neue Schulden machen müssen.
Sie alle hängen im selben Teufelskreis wie Griechenland. Genau deshalb wiederholen alle herrschenden Politiker und ihre Medien wie Papageien, dass es eine heilige Pflicht sei, die Zinsen der Schulden zu bezahlen, selbst wenn man daran zugrunde geht. Deshalb können sie nicht akzeptieren, dass ein Land – und sei es noch so klein – die Rechtmäßigkeit seiner Schulden in Frage stellt.
Und genau deshalb will das Finanzkapital heute an den ausgebeuteten Klassen in Griechenland ein Exempel statuieren. In dem Krieg, den es führt, um sein Schmarotzertum überall durchzusetzen, soll das Los der griechischen Bevölkerung eine Warnung an uns alle sein.
Selbstverständlich also muss die Solidarität aller Ausgebeuteten der arbeitenden Bevölkerung Griechenlands gelten.
Unter denen, die über das NEIN jubeln, sind jedoch nicht nur Freunde der ausgebeuteten Klassen. Es gibt auch alle diejenigen, die versuchen, das Misstrauen der einfachen Bevölkerung von ihren wirklichen Feinden abzulenken – und es stattdessen auf die Euro-Zone und Europa zu lenken. Doch nicht Europa ist verantwortlich für das Unglück des griechischen Volkes, sondern das Großkapital und diejenigen, die es besitzen.
Was würde es schließlich für die griechischen Ausgebeuteten ändern, wenn sie vom Finanzkapital in Drachme statt in Euro ausgeplündert würden?
Die Gesellschaft krepiert an der Diktatur des Großkapitals, an der Jagd nach Profit einer kleinen Minderheit.
Über die einzelnen Auseinandersetzungen hinaus – heute in Griechenland und morgen vielleicht hier – wird die Zukunft daher von der Fähigkeit der ausgebeuteten Klasse abhängen, das Übel an der Wurzel zu packen: Sich das Ziel zu setzen, das Großkapital zu enteignen und die Wirtschaft unter die Kontrolle der Bevölkerung zu stellen. Und sich die Mittel und Wege zu verschaffen, um dies zu erreichen.
(nach Lutte Ouvrière, 6. Juli 2015)